Zeigen, was war?
Verantwortung Reden wir über Medienethik. Ist es ethisch vertretbar, den apathisch wirkenden „Tagesschau“-Chefsprecher Jan Hofer im Moment größter Schwäche – während eines Schwächeanfalls vor laufender Kamera und Millionenpublikum – in einem Bild- Video zu zeigen, mehrfach wiederholt und herangezoomt?
Ist es ethisch vertretbar, Ausschnitte aus dem Video des Terroristen von Christchurch zu zeigen, das dieser selbst machte – und darauf auf seiner Startseite hinzuweisen, wie Bild.de es tat? „17 Minuten Mord-Feldzug. Killer filmte, wie er Männer, Frauen, Kinder erschießt. ,Lasst die Party beginnen‘, sagt er am Anfang der Aufzeichnung.“Es folgt der im typischen Bild- Rot unterlegte Klick-Button: „Mit Video“.
Was sagen Sie dazu? Was sagt Ihr Gefühl, Ihr Bauch, Ihr gesunder Menschenverstand? Ist es medienethisch vertretbar, beides so zu zeigen? Ich sage: Nein. Die Bild sagt: Ja. Aber sie sagt nicht nur Ja, sie pumpt ihr Vorgehen im Falle des Terroristen sogar noch bedeutungsschwer auf. Bild- Chef
Julian Reichelt kommentierte: Immer wieder habe Bild drastische Fotos und Videos von dem Leid gezeigt, das islamistische Terroristen angerichtet haben, nun „zeigen wir auch Bilder und Sequenzen aus dem Video, das der rechtsextreme Terrorist von Christchurch während seiner abstoßenden Tat anfertigte. Wir zeigen diese Bilder ganz bewusst. Wir glauben, dass wir diese Bilder zeigen müssen.“Müssen? Reichelts Begründung: Das Video des Massakers sei „online überall genauso verfügbar, wie der Täter es wollte“– durch „Journalismus wird aus einem Ego-Shooter-Video ein Dokument, das Hass demaskiert und aufzeigt, was der Terrorist von Christchurch ist: kein Kämpfer, kein Soldat“. Getreu dem Motto „Sagen, was ist“also „Zeigen, was war“. Reichelts Begründung ist nicht nur fragwürdig (weil etwas überall verfügbar sei, dürfe es getrost auch weiterverbreitet werden) und absurd (die Verbreitung durch Journalisten und auf einer journalistischen Plattform mache aus dem Video ein Dokument, das Hass demaskiere). Sie ist vor allem verantwortungslos und gefährlich.
Der Terrorist von Christchurch – darauf weist Reichelt ja sogar hin – wollte, dass sein Massaker-Video weltweit verbreitet wird. Wie das auch islamistische Terroristen wollen – schlicht aus PropagandaGründen und aus Gründen der Verklärung ihrer brutalen Taten zu Heldentaten. Und auch, um Nachahmer zu rekrutieren. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“unterhält dafür sogar eine eigene „Nachrichtenagentur“. Journalisten müssen berichten, aber es liegt in ihrer Verantwortung, wie sie das tun, und ob sie das Spiel der Terroristen mitspielen. Braucht es das Terror-Video aus Christchurch zur Dokumentation des Terrors dort? Müssen Zeitungen oder Rundfunksender und ihre Onlineportale Enthauptungsvideos zeigen, Steinigungen? Müssen sie ausführlich und detailliert über Selbstmorde berichten?
Sie müssen es nicht und sie dürfen es nicht. Im Falle der Suizid-Berichterstattung etwa ist wissenschaftlich belegt, welche Nachahmungseffekte es gibt. Eine andere Boulevard-Zeitung hat es – im Gegensatz zur Bild – gut gemacht, die Hamburger Morgenpost (siehe den Screenshot von der Titelseite).