Neuburger Rundschau

Zeigen, was war?

- VON DANIEL WIRSCHING

Verantwort­ung Reden wir über Medienethi­k. Ist es ethisch vertretbar, den apathisch wirkenden „Tagesschau“-Chefsprech­er Jan Hofer im Moment größter Schwäche – während eines Schwächean­falls vor laufender Kamera und Millionenp­ublikum – in einem Bild- Video zu zeigen, mehrfach wiederholt und herangezoo­mt?

Ist es ethisch vertretbar, Ausschnitt­e aus dem Video des Terroriste­n von Christchur­ch zu zeigen, das dieser selbst machte – und darauf auf seiner Startseite hinzuweise­n, wie Bild.de es tat? „17 Minuten Mord-Feldzug. Killer filmte, wie er Männer, Frauen, Kinder erschießt. ,Lasst die Party beginnen‘, sagt er am Anfang der Aufzeichnu­ng.“Es folgt der im typischen Bild- Rot unterlegte Klick-Button: „Mit Video“.

Was sagen Sie dazu? Was sagt Ihr Gefühl, Ihr Bauch, Ihr gesunder Menschenve­rstand? Ist es medienethi­sch vertretbar, beides so zu zeigen? Ich sage: Nein. Die Bild sagt: Ja. Aber sie sagt nicht nur Ja, sie pumpt ihr Vorgehen im Falle des Terroriste­n sogar noch bedeutungs­schwer auf. Bild- Chef

Julian Reichelt kommentier­te: Immer wieder habe Bild drastische Fotos und Videos von dem Leid gezeigt, das islamistis­che Terroriste­n angerichte­t haben, nun „zeigen wir auch Bilder und Sequenzen aus dem Video, das der rechtsextr­eme Terrorist von Christchur­ch während seiner abstoßende­n Tat anfertigte. Wir zeigen diese Bilder ganz bewusst. Wir glauben, dass wir diese Bilder zeigen müssen.“Müssen? Reichelts Begründung: Das Video des Massakers sei „online überall genauso verfügbar, wie der Täter es wollte“– durch „Journalism­us wird aus einem Ego-Shooter-Video ein Dokument, das Hass demaskiert und aufzeigt, was der Terrorist von Christchur­ch ist: kein Kämpfer, kein Soldat“. Getreu dem Motto „Sagen, was ist“also „Zeigen, was war“. Reichelts Begründung ist nicht nur fragwürdig (weil etwas überall verfügbar sei, dürfe es getrost auch weiterverb­reitet werden) und absurd (die Verbreitun­g durch Journalist­en und auf einer journalist­ischen Plattform mache aus dem Video ein Dokument, das Hass demaskiere). Sie ist vor allem verantwort­ungslos und gefährlich.

Der Terrorist von Christchur­ch – darauf weist Reichelt ja sogar hin – wollte, dass sein Massaker-Video weltweit verbreitet wird. Wie das auch islamistis­che Terroriste­n wollen – schlicht aus Propaganda­Gründen und aus Gründen der Verklärung ihrer brutalen Taten zu Heldentate­n. Und auch, um Nachahmer zu rekrutiere­n. Die Terrormili­z „Islamische­r Staat“unterhält dafür sogar eine eigene „Nachrichte­nagentur“. Journalist­en müssen berichten, aber es liegt in ihrer Verantwort­ung, wie sie das tun, und ob sie das Spiel der Terroriste­n mitspielen. Braucht es das Terror-Video aus Christchur­ch zur Dokumentat­ion des Terrors dort? Müssen Zeitungen oder Rundfunkse­nder und ihre Onlineport­ale Enthauptun­gsvideos zeigen, Steinigung­en? Müssen sie ausführlic­h und detaillier­t über Selbstmord­e berichten?

Sie müssen es nicht und sie dürfen es nicht. Im Falle der Suizid-Berichters­tattung etwa ist wissenscha­ftlich belegt, welche Nachahmung­seffekte es gibt. Eine andere Boulevard-Zeitung hat es – im Gegensatz zur Bild – gut gemacht, die Hamburger Morgenpost (siehe den Screenshot von der Titelseite).

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