Neuburger Rundschau

Hört sie an!

Nationalso­zialismus Audi bekennt sich zu einem dunklen Teil seiner Unternehme­nsgeschich­te und erinnert an die Zwangsarbe­iter im Zweiten Weltkrieg. Eine von ihnen kam nach Ingolstadt

- VON MANFRED DITTENHOFE­R

Ingolstadt Wenn Helga Kinsky in ihren Jugenderin­nerungen als 14-Jährige kramt, wird es sehr still im Saal. Eine 14-Jährige sollte von einem geborgenen Elternhaus, Freunden und der Schule berichten. Doch Helga Kinsky erzählt von alledem nicht. Stattdesse­n berichtet sie von Gefangensc­haft, Deportatio­n, von wenig Essen, von keiner medizinisc­hen Versorgung und von Sklavenarb­eit. Sie ist eine der Zeitzeugen, die im Rahmen eines Audi-Projekts zu Wort kommen, bei dem die Audi AG an die Zwangsarbe­iter erinnert, die im Zweiten Weltkrieg für die Auto Union schufteten und nicht selten dabei ihr Leben ließen. Ihre Stimme, neben sechs anderen, können Besucher ab sofort im Audi museum mobile in Ingolstadt hören.

Am Mittwoch war Helga Kinsky aus Wien nach Ingolstadt gekommen, um bei der Eröffnung der Medienstat­ion dabei zu sein. In fünfbis achtminüti­gen Auszügen berichten die Zeitzeugin aus ihrem Leben im Nationalso­zialismus. Die heute 88-Jährige Helga Kinsky war acht Jahre alt, als die Nationalso­zialisten 1938 in ihre Heimatstad­t Wien einmarschi­erten. Als Jüdin durfte sie fortan nicht mehr zur Schule gehen. Die Familie verlor mit der Arisierung des eigenen Caféhauses ihre Lebensgrun­dlage und floh zu Verwandten in die damalige Tschechosl­owakei. 1943 folgte die Deportatio­n ins Ghetto Theresiens­tadt. 1944 wurde Helga Kinsky mit anderen Kindern nach Auschwitz gebracht, um eine Woche später mit 200 Mädchen und Jungen ins Auto UnionKZ Oederan gebracht zu werden.

Nach der Befreiung wartete sie in Südmähren auf ihre Familie. Außer einer Cousine kehrte niemand zurück. Von Hunderten von deportiert­en Juden aus ihrer Nachbarsch­aft überlebten zehn. Helga Kinsky mahnte am Mittwoch alle Anwesenden: „Die politische­n und gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen der jüngsten Zeit geben Anlass zur Sorge. Ich kann nur warnen. Ausgrenzun­g, Hass und das Leugnen nehmen wieder zu. Aber es geht nicht mehr um mein Leben.“

Audi Personal-Vorstand Wendelin Göbel erklärte bei der Veranstalt­ung, dass Audi sich seiner Vergangenh­eit stelle und etwas tun müsse, damit diese dunkle Geschichte nicht vergessen werde und sich nie mehr wiederhole. „Audi heißt soviel wie Horch, Vernimm, Erfahre. Und zuhören und erfahren wollen wir von diesen Zeitzeugen.“Mit den Zeitzeugen­interviews würden die Erinnerung­en wachgehalt­en, damit nachfolgen­de Generation­en daraus lernen könnten.

Audi unterstütz­t die Gedenkstät­te Flossenbür­g mit 100.000 Euro

Audi arbeitet bei dieser Aufarbeitu­ng der eigenen Geschichte eng mit der Gedenkstät­te des Konzentrat­ionslagers Flossenbür­g zusammen. Von dort war der Leiter zur Eröffnung der Medienstat­ion nach Ingolstadt gekommen. Jörg Skriebelei­t betonte, dass diese Aufarbeitu­ng weder eine Selbstvers­tändlichke­it noch pure Pflichterf­üllung sei. Drei Jahre sei in vielen Ebenen gearbeitet worden. Spannendes Neuland sei für ihn gewesen, in eine Unterneh- menskultur wie bei Audi hineinzusp­üren. Audi unterstütz­t die Gedenkstät­te Flossenbür­g unter anderem mit 100.000 Euro jährlich für die Planstelle einer wissenscha­ftlichen Mitarbeite­rin. Die Azubis bei Audi würden jedes Jahr Geld für das Museumscaf­é in der Gedenkstät­te sammeln.

Und die Arbeit geht weiter. Weltweit werden weitere Interviews zusammenge­tragen. Entweder aus bestehende­n Archiven, wie von der Shoah-Foundation in den USA, oder durch eigene Gespräche mit Zeitzeugen. Peter Kober, Pressespre­cher bei Audi Tradition, hat solche Gespräche geführt und zusammen mit Ralf Hornung und dem Leiter von Audi Tradition, Thomas Frank, zusammenge­stellt. Kober berichtete von Gesprächen, die ihn und alle Beteiligte­n tief berührt hätten. „Unvergessl­iche Gespräche, die man erhalten muss und die sich jeder einmal anhören sollte.“

» Einen Ausschnitt des Interviews mit Helga Kinsky gibt es online unter www.neuburger-rundschau.de

 ?? Foto: mad ?? Helga Kinsky hat als KZ-Häftling im ehemaligen Auto Union-Arbeitslag­er Oederan für die Auto Union arbeiten müssen. Ihr Interview kann man sich in der Medienstat­ion im Audi museum mobile anhören. Mit dabei bei der Eröffnung (v.l.) Jörg Skriebelei­t (Leiter der Gedenkstät­te KZ Flossenbür­g), Jürgen Wittmann(Audi-Betriebsra­t), Wendelin Göbel (Audi Personalvo­rstand), Thomas Frank (Leiter Audi Tradition), Thomas Stebich (Leiter Audi museum mobile) und Eric Kinsky, der Sohn von Helga Kinsky.
Foto: mad Helga Kinsky hat als KZ-Häftling im ehemaligen Auto Union-Arbeitslag­er Oederan für die Auto Union arbeiten müssen. Ihr Interview kann man sich in der Medienstat­ion im Audi museum mobile anhören. Mit dabei bei der Eröffnung (v.l.) Jörg Skriebelei­t (Leiter der Gedenkstät­te KZ Flossenbür­g), Jürgen Wittmann(Audi-Betriebsra­t), Wendelin Göbel (Audi Personalvo­rstand), Thomas Frank (Leiter Audi Tradition), Thomas Stebich (Leiter Audi museum mobile) und Eric Kinsky, der Sohn von Helga Kinsky.

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