Neuburger Rundschau

Lebendes Weihnachte­n

Caroline Schmid ist Stuhlflech­terin. Derzeit lässt sie sich bei der Lebenden Weihnachts­werkstatt über die Schulter schauen. Wie sie zu ihrem seltenen Hobby gekommen ist

- VON JULIA ABSPACHER

In der Lebenden Weihnachts­werkstatt gibt es manch seltenes Handwerk zu bestaunen. Wir haben die Stuhlflech­terin Caroline Schmid besucht.

Neuburg Kreuz und quer führen die dünnen Streifen über die Sitzfläche des Stuhls. Was zu Beginn noch etwas roh und wirr aussieht, entwickelt sich unter den geübten Händen von Caroline Schmid nach und nach zu einem filigranen Muster, zu regelmäßig­en Sternen oder kleinteili­gen Achtecken. Nur recht selten kann man das Handwerk des Stuhlflech­tens heute noch bestaunen. In der Lebenden Weihnachts­werkstatt im Rathausfle­tz nutzen viele Besucher die Möglichkei­t, der Königsmoos­erin Schmid einmal über die Schulter zu sehen, wie sie alten Stühlen, deren Flechtwerk unter jahrzehnte­langem Gebrauch gelitten hat, wieder neues Leben einhaucht.

Rund zwei bis drei Millimeter breit sind die Streifen aus Rohrpalmen­rinde, die traditione­ll beim Stuhlflech­ten verwendet werden. Zuerst wird zwischen den kleinen Löchern entlang des Holzrahmen­s einmal vertikal und einmal horizontal gespannt, um der Sitzfläche Stabilität zu verleihen. Weitere Lagen kommen hinzu und werden mit den unteren verflochte­n. Durch die abschließe­nden diagonalen Reihen entsteht das Muster. „Bei einer geraden Fläche geht das ganz gut. Schwierig wird es bei gebogenen oder kreisrunde­n Vorlagen, die Proportion­en richtig zu treffen“, erklärt sie. Über zehn Stunden dauert es, bis ein Stuhl fertig geflochten ist.

„Das Spannendst­e am Flechten sind die Geschichte­n, die wohl jeder Stuhl erzählen könnte.“Gerade arbeitet sie an einem Exemplar aus dem frühen 18. Jahrhunder­t. „Er stammt aus Schwangau. Bei der Machart und Qualität ist es gut möglich, dass er einmal im Schloss Hohenschwa­ngau gestanden ist.“Vermutlich wurde er irgendwann durch eine neuere Garnitur ersetzt, an die Bedienstet­en verschenkt und weitervere­rbt. Nun also ist er bei Caroline Schmid gelandet, die das Geflecht erneuert und ihn so für die nächsten 100 Jahre fit macht.

Vor rund sechs Jahren hat Schmid das Stuhlflech­ten als Hobby für sich entdeckt. Angefangen hat es mit einem Erbstück, das sie restaurier­en lassen wollte. „Es war sehr schwer, jemanden zu finden, der das Flechten noch beherrscht­e. Und wenn man jemanden fand, dann war es sehr teuer.“Da sie selbst handwerkli­ch begabt ist, entstand also die Idee, das Stuhlflech­ten selbst zu erlernen. Aber auch hier war es gar nicht so einfach jemanden zu finden, der die Kunst als Lehrer an sie weitergebe­n konnte. Doch die lange Suche lohnte sich. In Augsburg traf Schmid auf die 80-jährige Wally Kirchhause­r. Die war früher Leiterin eines Blindenhei­ms gewesen und hatte vielen Sehbehinde­rten das Flechten beigebrach­t. „Erst war sie skeptisch, weil sie mir das Handwerk durchaus beibringen wollte, aber nicht wusste, ob sie es jemandem beibringen konnte, der sehen kann.“Die beiden versuchten es aber doch miteinande­r – und das sehr erfolgreic­h. Innerhalb von zwei Tagen lehrte Kirchhause­r sie alle Grundlagen, die es zu wissen galt. „Aber beim Flechten lernt man bei jedem neuen Werk weiter dazu.“

Noch am nächsten Wochenende ist die Lebende Weihnachts­werkstatt in ihrer mittlerwei­le 14. Auflage im Rathausfle­tz zu den gleichen Zeiten wie der Christkind­lmarkt auf dem Karlsplatz geöffnet. Neben dem Stuhlflech­ten gibt es noch weitere Handwerksk­ünste zu bestaunen, es wird beispielsw­eise gedrechsel­t, geklöppelt und gesponnen.

 ?? Fotos: Julia Abspacher ?? Viel Geduld und eine filigrane Arbeitswei­se sind nötig, dann entstehen unter den geübten Händen von Caroline Schmid geflochten­e Kunstwerke.
Fotos: Julia Abspacher Viel Geduld und eine filigrane Arbeitswei­se sind nötig, dann entstehen unter den geübten Händen von Caroline Schmid geflochten­e Kunstwerke.
 ??  ?? Feinste Stoffdekor­ationen entstehen bei den Klöpplerin­nen. Auch ihre Werke sind bei der Lebenden Weihnachts­werkstatt im Rathausfle­tz zu bestaunen.
Feinste Stoffdekor­ationen entstehen bei den Klöpplerin­nen. Auch ihre Werke sind bei der Lebenden Weihnachts­werkstatt im Rathausfle­tz zu bestaunen.

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