Neuburger Rundschau

Hoffnungsl­ose Hoffnungst­rägerin

Viele Brexit-Gegner hatten auf Jo Swinson gesetzt. Doch die Chefin der Liberaldem­okraten steht sich selbst im Weg. Wer soll sie am Donnerstag noch wählen?

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Es war ein vernichten­des Zeugnis, das die Briten Jo Swinson via Umfragen ausgestell­t haben. Je mehr die Menschen von der Chefin der Liberaldem­okraten sehen, so kam kürzlich heraus, desto weniger würden sie die 39-Jährige wählen. Dabei galt Swinson noch vor wenigen Monaten durch ihre direkte und ehrliche Art als äußerst populär. Sie war die Hoffnung der Brexit-Gegner im krisengebe­utelten Königreich. Doch dann begannen die Fehler – und sie sollten nicht aufhören.

Erst kündigten die Liberaldem­okraten an, den Brexit ohne erneutes Referendum schlichtwe­g abblasen zu wollen, indem sie den Ausstiegsa­ntrag in Brüssel zurückzieh­en würden. Das sei „undemokrat­isch“, hagelte es Kritik von allen Seiten, sogar von Pro-Europäern. Kurz darauf wollte die Schottin, die mit vollem Namen Joanne Kate Swinson heißt, Management an der London School of Economics studiert und später als Marketing- und PR-Managerin gearbeitet hat, mit rechtliche­n Mitteln ihre Teilnahme an der Fernsehdeb­atte zwischen Premiermin­ister Boris Johnson und LabourChef Jeremy Corbyn erzwingen. Dass sie nicht eingeladen war, begründet Swinson mit Frauenfein­dlichkeit und Sexismus. Ihre Klage wurde zurückgewi­esen und hat ihrem Ruf alles andere als geholfen.

Die Geschichte passt zu Swinson, der es an Selbstbewu­sstsein keineswegs mangelt. „Wenn ich mir Boris Johnson und Jeremy Corbyn anschaue, dann bin ich absolut sicher, dass ich einen besseren Job als Premiermin­isterin machen könnte“, sagte sie neulich. Die Reaktionen fielen mehrheitli­ch negativ aus. Denn es ist praktisch ausgeschlo­ssen, dass die Liberaldem­okraten in naher Zukunft den Regierungs­chef stellen. Swinson steht seit Sommer 2019 als erste Frau an der Spitze der Partei. Immer wieder fällt der Frau mit den auffällige­n Ohrringen ihre Vergangenh­eit auf die Füße – insbesonde­re ihr Abstimmung­sverhalten während der Koalition mit den Konservati­ven zwischen 2010 und 2015. Vergangene Woche entschuldi­gte sie sich, damals die Sparpoliti­k der Tories unterstütz­t zu haben. Ob das genügt?

Swinson vertritt seit 2005 den schottisch­en Wahlkreis East Dunbartons­hire im Unterhaus. Damals trug sie den Titel „Baby of the House“, weil sie die jüngste Abgeordnet­e war. Aufsehen erregte sie 2018, als die Hobby-Marathonlä­uferin erstmals in der langen Geschichte des Unterhause­s ein Baby ins Parlament mitbrachte. Mit ihrem Ehemann Duncan Hames, Chef von Transparen­cy Internatio­nal UK, hat sie zwei Kinder. Die Brexit-Pläne von Premier Johnson lehnt die überzeugte Europäerin und Klimaschüt­zerin ab. Sie wolle tun, „was auch immer nötig ist, um den Brexit zu stoppen“, verspricht Swinson. Es klingt wenig glaubhaft. Denn auf einen Pakt mit Labour wollte sich Swinson nicht einlassen. Derzeit sieht es aber danach aus, als sei dies der einzig verblieben­e Weg, den EU-Austritt noch zu verhindern. Katrin Pribyl

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Foto: dpa

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