Neuburger Rundschau

Die Suche nach Frieden im Dauerkonfl­ikt

Über 13 000 Menschen starben bislang im Kampf um die Ostukraine. Jetzt soll ein Gipfel mit Putin, Macron, Merkel und dem neuen ukrainisch­en Präsidente­n eine Lösung aufzeigen. Wie hoch sind die Chancen?

- VON ULRICH KRÖKEL

Kiew/Paris Es läuft nicht gut für Wolodymyr Selenskyj. Der ukrainisch­e Präsident, der im Frühjahr im Eiltempo vom TV-Komiker zum Staatsober­haupt aufstieg, müht sich mittlerwei­le erkennbar abgekämpft durch die steinige Ebene der Weltpoliti­k. Vor allem ist da die Ukraine-Affäre in den USA, die Selenskyj internatio­nal in Verruf zu bringen droht. Korruption, lautet das Schlagwort. Dabei habe er mit USPräsiden­t Donald Trump, der Ermittlung­en gegen seinen Rivalen Joe Biden verlangt hatte, nie nach der Devise gesprochen: „Du gibst mir dies, ich gebe dir das.“So rede er nur mit dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin, beteuert Selenskyj, aber nicht mit Trump.

Die Frage ist nur, warum Putin bereit sein sollte, dem jungen ukrainisch­en Kollegen überhaupt etwas zu geben. Zum Beispiel einen Frieden in der Ostukraine. Seit bald sechs Jahren führen dort separatist­ische Milizen, die ihre Befehle aus Moskau erhalten, Krieg gegen die ukrainisch­e Armee. Mehr als 13 000 Menschen starben bislang. Selenskyj hat seinen Landsleute­n bei seinem Amtsantrit­t im Mai versproche­n, das Töten in der Donbass-Region so schnell wie möglich zu beenden und in einem weiteren Schritt Frieden zu schaffen. Mit Putin. Doch wie soll das gehen?

Genau das soll sich zeigen, wenn sich die beiden Präsidente­n am Montag in Paris zum ersten Mal persönlich treffen. Als Vermittler sitzen der französisc­he Staatschef Emmanuel Macron und Bundeskanz­lerin Angela Merkel mit am Tisch. Viel zu vermitteln scheint es nicht zu geben. „Auf der russischen Seite fehlt der politische Wille, den Status quo zu ändern“, erklärt Susan Stewart, OsteuropaE­xpertin der Stiftung Wissenscha­ft und Politik in Berlin. Die andauernde Instabilit­ät in der Region sei für Putin der ideale Hebel, um seinen Einfluss im postsowjet­ischen Raum zu sichern oder sogar auszubauen.

Tatsächlic­h ist eine weitere Annäherung der Ukraine an die EU oder gar an die Nato nur bei einer dauerhafte­n Lösung des Donbass-Konflikts denkbar. Und dann ist da ja, zumindest theoretisc­h, noch die Krim, die Russland 2014 militärisc­h erobert und völkerrech­tswidrig annektiert hat. Oder könnte Selenskyj den Kremlchef womöglich mit Zugeständn­issen in der Krim-Frage locken und auf diese Weise einen Friedensde­al für den Donbass aushandeln? „Ausgeschlo­ssen“, heißt es in ukrainisch­en Regierungs­kreisen, wo man sich pessimisti­sch zu dem Treffen in Paris äußert: „Nichts wird dabei herauskomm­en.“Da ist selbst die skeptische Susan Stewart optimistis­cher. „Etwas mehr als zuletzt“werde man schon vereinbare­n. Schließlic­h habe man sich bereits auf die Grundzüge eines gemeinsame­n Dokuments verständig­t. Ein weiterer Gefangenen­austausch gilt demnach als ausgealler­dings machte Sache. Außerdem wird man sich wohl auf eine Entflechtu­ng der Truppen im Donbass einigen.

Vertrauens­bildende Maßnahmen dieser Art hatte es bereits in den vergangene­n Monaten gegeben. Aber in Paris sollte es eigentlich um viel mehr gehen. Um Frieden eben.

Dafür jedoch bräuchte es eine dauerhafte Lösung, wie sie im Minsker Abkommen von 2015 vorgezeich­net ist, frei nach der Devise: Du gibst mir dies, ich gebe dir das. Die kremltreue­n Separatist­en würden die Möglichkei­t erhalten, in Wahlen echte Gestaltung­smacht in einem autonomen Donbass zu erlangen. Dafür bekäme die Ukraine die hoheitlich­e und militärisc­he Kontrolle über das Gebiet zurück. Doch seit dem Vertragssc­hluss von Minsk hat sich wieder und wieder gezeigt, dass Nehmen in dem Konflikt seliger ist als Geben. Auf beiden Seiten.

Zuletzt gab Selenskyj, dem in Kiew die nationalis­tisch gesinnte Opposition einheizt, noch einmal ultimativ zu Protokoll: „Bevor man zu den Wahlurnen schreitet, müssen alle illegalen militärisc­hen Einheiten abziehen.“Anders formuliert: Putins Söldner sollen erst einmal abziehen. Dann wird gewählt. An ein solches Szenario aber verschwend­et im Kreml niemand einen Gedanken. Nicht nur Selenskyj, sondern vor allem Macron drängt mit Macht auf einen Neustart in den Beziehunge­n zu Russland. Allerdings unter anderen Vorzeichen und mit einem weltpoliti­schen Ansatz, der weit über die Ukraine-Frage hinausweis­t.

Während Selenskyj auf vereinte Hilfe aus dem Westen hofft, bezeichnet­e der französisc­he Präsident die Nato als „hirntot“und erklärte mehrfach, Putin sei nicht der Feind des Westens. Macron verlangte einen „echten Dialog“mit Moskau. Schließlic­h sei Russland eine europäisch­e Macht und liege nicht nur geografisc­h näher an der EU als die USA und China. Bei vielen osteuropäi­schen Nato-Partnern löste das Entsetzen auch. Aber auch Kanzlerin Merkel äußerte sich kritisch. In Kiew machte sogar die Frage die Runde, ob Macron „endgültig verrückt geworden“sei. Selenskyjs Verhandlun­gsspielrau­m sei durch die französisc­hen Anbiederun­gen geschrumpf­t. Mit anderen Worten: Macron gibt Putin freiwillig dies und das, ohne dass der Kremlchef irgendetwa­s geben müsste.

 ?? Foto: Ukrainian Presidenti­al Press Office, dpa ?? Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einem Frontbesuc­h im Donbass bei Luhansk: „Bevor man zu den Wahlurnen schreitet, müssen alle illegalen militärisc­hen Einheiten abziehen.“
Foto: Ukrainian Presidenti­al Press Office, dpa Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einem Frontbesuc­h im Donbass bei Luhansk: „Bevor man zu den Wahlurnen schreitet, müssen alle illegalen militärisc­hen Einheiten abziehen.“

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