Neuburger Rundschau

Erst Durchfall, dann ein dickes Gelenk

Die reaktive Arthritis wird von einer bakteriell­en Infektion ausgelöst. Vor allem jüngere Menschen sind betroffen. Oft ist es schwierig, die Krankheit zu erkennen

- VON ANGELA STOLL

Manche medizinisc­he Fälle kommen Laien ziemlich mysteriös vor. Etwa dieser: Von heute auf morgen fängt die 18-jährige Patientin an zu humpeln und klagt über Schmerzen im Fuß. Das Gelenk ist geschwolle­n und fühlt sich warm an, die Haut darüber sieht rötlich aus. Eine Verletzung? Nein, versichert die junge Frau. Merkwürdig­erweise hat sie auch eine Art Ausschlag an der Fußsohle. Ansonsten fühlt sie sich gesund – von einem Magen-DarmInfekt, den sie sich im Urlaub geholt hatte, spürt sie nichts mehr. Wahrschein­lich hat sich die Frau tatsächlic­h nicht den Fuß vertreten. Die Symptome weisen in eine andere Richtung: nämlich eine reaktive Arthritis.

Dabei handelt es sich um eine Gelenkentz­ündung, die nach einem bakteriell­en Infekt – zum Beispiel einer Blasenentz­ündung oder einer Durchfalle­rkrankung – auftritt. „In der Regel sind nur wenige Gelenke betroffen, und zwar vor allem die großen Gelenke der unteren Extremität­en, also etwa Hüft-, Knie- oder Sprunggele­nke“, erklärt der Rheumatolo­ge Prof. Dr. Andreas Krause, Chefarzt im Immanuel Krankenhau­s Berlin. Meist treten die Symptome asymmetris­ch auf. „Manchmal wandert die Entzündung auch von einem Gelenk zum anderen“, sagt Krause. Dagegen kommt es nur selten vor, dass, wie bei anderen rheumatisc­hen Erkrankung­en, viele Gelenke gleichzeit­ig befallen sind.

Der Verdacht fällt vor allem dann auf eine reaktive Arthritis, wenn Patienten

zuvor eine Infektion des Darmes, der Harn- oder Geschlecht­sorgane oder der Atemwege durchgemac­ht haben. „Meist liegt sie um die 14 Tage zurück“, sagt Krause. Oft verlaufen diese Infekte aber wenig dramatisch, manchmal bleiben sie sogar unbemerkt. „Das muss aus den Patienten herausgefr­agt werden.“Daneben kann es weitere Hinweise geben, die für eine reaktive Arthritis sprechen: etwa Hautveränd­erungen, insbesonde­re an Hand- und Fußsohlen, Harnröhren­entzündung­en oder Entzündung­en der Augen. „Wenn solche Symptome dabei sind, hilft das bei der Diagnosest­ellung“, erklärt der Experte.

Hintergrun­d der rätselhaft­en Krankheit ist eine Reaktion des Immunsyste­ms auf bestimmte Erreger, unter anderem Chlamydien, Campylobac­ter, Salmonelle­n, Yersinien und Streptokok­ken. Sie verursache­n außerhalb des Gelenks – etwa an der

Harnröhre – eine Infektion und werden dann über die Blutbahn in die Gelenke gestreut. Im entzündete­n Gelenk kann man aber keine vermehrung­sfähigen Bakterien, sondern nur Erregerbes­tandteile finden. Die genauen Mechanisme­n, die zu einer reaktiven Arthritis führen, unterschei­den sich nach Angaben der Deutschen Rheuma-Liga von Erreger zu Erreger und sind teilweise noch unklar.

Meistens tritt die Krankheit bei jüngeren Leuten auf. „Am häufigsten kommt sie zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr vor“, sagt Krause. Warum das so ist, sei unklar. Auch zur Häufigkeit gibt es keine exakten Daten, allgemein wird die reaktive Arthritis eher als seltene Krankheit eingestuft. „Wahrschein­lich landen aber auch einige Fälle bei Orthopäden und Hausärzten, von denen wir hier nichts erfahren“, erklärt der Arzt. Außerdem könnte es sein, dass die Krankheit mitunter nicht erkannt wird: So vermutet etwa der Rheumatolo­ge Dr. John D. Carter von der University of South Florida in einer Fachpublik­ation, dass es in dem Zusammenha­ng oft zu Unter- und Fehldiagno­sen kommt. In der Tat können Gelenkentz­ündungen vielfältig­e Ursachen haben: Das Feld reicht von Stoffwechs­el-, Autoimmun- oder chronische­n Darmerkran­kungen bis hin zu viralen Infektione­n.

Wahrschein­lich spielt bei der Krankheit auch die Veranlagun­g eine Rolle. So haben Forscher entdeckt, dass etwa die Hälfte der Patienten Träger des genetische­n Merkmals HLA-B27 sind, das auch als Risikofakt­or für die chronischr­heumatisch­e Erkrankung Morbus Bechterew gilt. „Die Bedeutung dieses Merkmals hat man aber überschätz­t. Prinzipiel­l kann jeder eine reaktive Arthritis bekommen“, betont Krause. „HLA-B27 ist aber ein Risikofakt­or für einen schwereren Verlauf.“

Die Behandlung zielt darauf ab, die Entzündung und die Schmerzen zu lindern. Dazu verordnet der Arzt vor allem kortisonfr­eie Antirheuma­tika wie Ibuprofen oder Diclofenac. Bei schweren Entzündung­en kann kurzzeitig Kortison zum Einsatz kommen – wenn eine bakteriell­e Gelenkinfe­ktion ausgeschlo­ssen ist, kann man es auch direkt ins Gelenk spritzen. Antibiotik­a sind nur dann sinnvoll, wenn sich die auslösende­n Erreger, etwa Chlamydien, noch nachweisen lassen. Dadurch bessert sich die Gelenkentz­ündung zwar nicht, aber das Rückfallri­siko sinkt. „Die Erkrankung hat eine gute Prognose. Normalerwe­ise heilt sie aus und die Gelenke werden nicht geschädigt“, sagt Krause. Im Schnitt habe Patienten eine reaktive Arthritis nach sechs Monaten überstande­n. Dass chronische Beschwerde­n bleiben, kommt nur selten vor.

Hautveränd­erungen können ein Hinweis sein

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Foto: Christin Klose, dpa Schmerzen in den Gelenken können viele Ursachen haben: Sie reichen von Gelenkvers­chleiß über chronische Erkrankung­en bis hin zu Infektione­n.

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