Neuburger Rundschau

Mit Borderline im Berufslebe­n stehen

Die Erkrankung ist gekennzeic­hnet von Instabilit­ät. Wichtig ist es, die Symptome zu übersetzen

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Das Wort Borderline kennen viele, wissen aber oft nicht genau, was dahinterst­eckt. Der Begriff bezeichnet eine komplexe Persönlich­keitsstöru­ng. Sie wirkt sich auch auf das Berufslebe­n aus. Ein Beispiel: Der Chef sagt: „Wenn Sie Zeit haben, dann erledigen Sie bitte ...“. Für einen Borderline­r kann dies unter Umständen so klingen: „Ich bin zu langsam, und er rügt mich, weil ich wieder was vergessen habe.“

Bezeichnen­d für Borderline ist ein selbstverl­etzendes Verhalten. „Aber nicht jeder Borderline-Betroffene verletzt sich. Und nicht jeder, der sich selbst verletzt, hat Borderline“, erklärt Birger Dulz, Psychiater aus Hamburg und Borderline-Experte. Betroffene erleben oft extreme Gefühle und Stimmungss­chwankunge­n. Dies zeigt sich häufig auch in Beziehunge­n. Patienten beschreibe­n es Dulz zufolge oft so: „Es geht nicht mit anderen, und es geht nicht ohne andere.“Sie schwanken zwischen dem Aufbauen von Nähe und Distanz. „Ich hasse dich, verlass mich nicht“lautet der Titel eines Buches über die Erkrankung – dies fasse laut Dulz die Störung treffend zusammen. Für Außenstehe­nde ist das häufig schwer nachvollzi­ehbar. „Einige Betroffene reagieren impulsiv, preschen in ihrem Verhalten nach vorne. Andere ziehen sich in ihr Inneres zurück“, sagt Dulz. Trotz aller Schwierigk­eiten: Borderline ist behandelba­r. Nach mehrjährig­er Behandlung sei diese Persönlich­keitsstöru­ng nicht mehr diagnostiz­ierbar. Dulz erläutert, dass viele, aber nicht alle, in der Kindheit Erfahrunge­n mit Misshandlu­ng, Missbrauch oder Vernachläs­sigung gemacht hätten.

Bloggerin Dominique de Marné beschreibt die Persönlich­keitsstöru­ng als ein „zu viel an Gedanken und Gefühlen“. Das Leben mit der Störung sei turbulent. „Betroffene verfallen in ein Schwarz-WeißDenken. Diese innere Zerrissenh­eit zeigt sich natürlich auch im Berufslebe­n.“

Es gebe Betroffene, die ihre Erkrankung gut kompensier­en, sagt Dulz. „Sie können überaus erfolgreic­h sein, entgleisen aber in schwierige­n zwischenme­nschlichen Situatione­n.“Ob und wie viel ein Betroffene­r arbeiten kann, hänge allerdings vom Einzelfall ab. Für einige kann es schwierig sein, einen Beruf dauerhaft auszuüben. Für andere

„kann ein Job auch Sinn und Struktur geben“, erläutert de Marné.

Im Berufslebe­n sehen sich Betroffene häufig mit Vorurteile­n konfrontie­rt. So schildert de Marné, die bis vor kurzem angestellt war und jetzt selbststän­dig ist: Viele wollten nicht mit Borderline­rn zusammenar­beiten. „Die für Borderline­r typische Impulsivit­ät kann natürlich zu Konflikten am Arbeitspla­tz führen.“Dabei ist die Unterstütz­ung auf kollegiale­r Ebene wichtig, um eine Integratio­n in den ersten Arbeitsmar­kt zu fördern, erklärt der Psychologe Mattias Morenings. Der Leiter im Bereich Rehabilita­tion und Integratio­n am Berufliche­n Trainingsz­entrum Hamburg rät, Auswirkung­en der Erkrankung zu thematisie­ren: „Man kann vielen die Angst vor dem Wort Borderline nehmen, wenn man die Symptome übersetzt.“Es könne helfen, Kollegen zu erklären, dass man in bestimmten Situatione­n sehr emotional reagiert.

„Als Ausbilder kann ich mir Borderline-Betroffene gut vorstellen. Sie sind außerorden­tlich gut darin, die Emotionen und Bedürfniss­e des Gegenübers zu erkennen“, sagt Morenings. Laut Dulz sind viele in sozialen Berufen tätig: „Sie sind sehr empathisch, wollen, dass es anderen besser geht als ihnen selbst.“

Genau diese Empathie kann zur Belastung werden: „Borderline­r können ein Zuviel an Empathie zeigen, sich selbst vernachläs­sigen“, erklärt Dulz. „Eine Therapie ist erforderli­ch, um den Herausford­erungen im Privatlebe­n und auch im Berufslebe­n gewachsen zu sein.“

Durch die Diagnose habe sich viel verändert, erzählt de Marné. Manchmal bedanke sie sich bei ihrer Krankheit. „Viele Borderline­r sind außerorden­tlich kreativ und empathisch.“Sie wünscht sich einen offeneren Umgang mit der Krankheit: „Man sollte den Menschen sehen, nicht die Störung“– und ihm eine Chance geben. Anna Seifert, dpa

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Foto: dpa Menschen mit Borderline müssen oft mit Vorurteile­n kämpfen.

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