Jeder fünfte Schüler erlebt Mobbing im Netz
Warum Ermittler sich schwertun, Fälle wie den in Nördlingen aufzuklären
Nördlingen Mobbing gehört unter Schülern zum bitteren Alltag. Wie schwierig es ist, die Täter zu überführen, zeigt der schwere Fall von Nördlingen, wo die Belästigung bis zu einer gefälschten Todesanzeige reichte. Zum einen bestreitet der Verdächtige alle Vorwürfe, zum anderen verwischt das Internet viele Spuren. Mehr als zehn Ermittler arbeiten daran, den Täter zu überführen. Darunter seien auch IT-Kriminalisten, sagte der Leiter der Dillinger Kriminalpolizei, Michael Lechner, unserer Redaktion. Sie werten Material auf den sichergestellten Datenträgern eines 14-Jährigen aus, der mehrere Achtklässler über Monate gemobbt haben soll. Er steht im Verdacht, zuletzt auch die Todesanzeige für einen Mitschüler in unserer Zeitung veröffentlicht zu haben.
Anfangs hatte der Täter die Schüler vor allem im Internet belästigt. Cybermobbing nennt man dieses Phänomen, das im Zeitalter von Smartphones andere Formen des Mobbings überlagert oder ersetzt. Die Studie „Jugend, Information, Multimedia“befragt Schüler in Deutschland jährlich zu Ausgrenzungserfahrungen im Netz. Jeder fünfte Jugendliche zwischen zwölf und 19 Jahren musste schon erleben, dass falsche oder beleidigende Inhalte über ihn per Smartphone verbreitet wurden. Und jeder Dritte kennt zumindest jemanden, der im Netz diskriminiert wurde. Das belegen Zahlen aus dem vergangenen Jahr.
Die Statistik liefert jedoch keine Indizien dafür, dass die Zahl schwerer Mobbingfälle im Internet-Zeitalter deutlich angestiegen ist. Nur weil heute 97 Prozent der Jugendlichen ein Smartphone besitzen, gibt es nicht zwangsläufig mehr Täter. Jörg Breitweg, Experte für Gewaltprävention bei der Aktion Jugendschutz in Bayern, erklärt das so: „Ich denke, früher war es nicht besser. Körperliche Gewalt wurde noch eher geduldet, dafür finden heutzutage die Angriffe auch online statt.“Die Grenzen zwischen Mobbing im Internet und in der realen Welt sind fließend. „Wer auf dem Schulhof Opfer wird, muss auch Cybermobbing befürchten. Und geht ein Foto im Internet herum, läuft das Mobbing in der Schule weiter.“Bei der Aktion Jugendschutz, die vom Familienministerium gefördert wird, nimmt man an, dass aktuell drei bis fünf Prozent der Schüler unter schwerem Mobbing leiden, sie werden also mindestens einmal die Woche über mehr als ein Jahr hinweg belästigt.
Ein Problem speziell beim Cybermobbing stellt jetzt auch die Kripo Dillingen wieder vor Schwierigkeiten: Die Taten sind schwer nachzuverfolgen, sofern sie nicht unter echten Namen über WhatsApp oder soziale Medien stattfinden. Denn das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung besagt, dass Anbieter von Kommunikationsdiensten nicht verpflichtet sind, Informationen ihrer Kunden über einen längeren Zeitraum zu speichern. Kripo-Leiter Lechner: „Fakt ist, dass für die Polizei eine Speicherung der Daten besser wäre.“Im Nördlinger Fall sei die Polizei im Oktober über das Mobbing informiert worden. Daten aus der Zeit vor den Sommerferien seien da längst nicht mehr verfügbar gewesen. Außerdem gibt es Anbieter, die IP-Adressen verschlüsseln und so die Aufklärung erschweren.
Immer wieder hatte es in den vergangenen Jahren Fälle gegeben, in denen Ermittlungen bei Bedrohungen via Internet ins Leere liefen. Ein Beispiel, bei dem Jugendliche weltweit in Angst und Schrecken versetzt wurden, war der Kettenbrief Momo. Eine Computerstimme hatte darin Kinder mit dem Tod bedroht. Für Ermittler war es unmöglich nachzuvollziehen, in welchem Land der Urheber saß. Lesen Sie im Kommentar, wie Opfer unterstützt werden können. Auf Bayern finden Sie ein Interview mit dem Experten Jörg Breitweg.