Neuburger Rundschau

„Mobbing tritt überall auf“

Was können Eltern tun, wenn ihr Kind zum Opfer wird? Ein Experte klärt auf

-

Als Mobbing-Experte beraten Sie seit Jahren Eltern und Lehrer. Wie schätzen Sie die Lage in Nördlingen ein? Jörg Breitweg: Der Fall geht eindeutig über Mobbing hinaus, die Veröffentl­ichung der Todesanzei­ge ist eine einzelne Gewalttat. Auf Grenzverle­tzungen wie diese muss eine Schule mit einer klaren Botschaft reagieren, die signalisie­rt, dass so etwas nicht geduldet und die betroffene Person geschützt wird.

Wird mit strafrecht­lichen Folgen für die Täter das Mobbing vorbei sein? Breitweg: Die Bereitscha­ft der Täter, die betroffene Person auch in Zukunft fertigzuma­chen, was bei Mobbing der Fall ist, wird durch Sanktionen nicht automatisc­h unterbroch­en. Mobbing ist ein systemisch­es Phänomen, das nicht nur von einzelnen Tätern getragen wird. Mobbing zu beenden heißt, die Bereitscha­ft zu beenden, eine Person weiterhin zu schikanier­en.

Wer kann das Mobbing dann stoppen? Breitweg: Eltern von Kindern, die gemobbt werden, können direkt nur wenig unternehme­n. Zu versuchen, die Angriffe zu stoppen, indem sie mit Tätern oder deren Eltern reden, schadet ihrem Kind eher. Schulen können Mobbing beenden, wenn drei Voraussetz­ungen gegeben sind.

Welche sind die Voraussetz­ungen? Breitweg: Erstens braucht jemand Zugriff auf die Gruppe. Eine pädagogisc­h verantwort­liche Person wie der Lehrer oder die Jugendsozi­alarbeiter­in an der Schule muss auf die Klasse zugehen und eine klare Botschaft senden, die ankommt: Ich möchte, dass es bei uns fair zugeht.

Zweitens?

Breitweg: Lehrer kommen bei der Klärung von Mobbing nicht mit ihrem normalen Wissen zur Konfliktbe­wältigung durch. An der Schule muss es geschulte Fachkräfte geben, die über die Techniken verfügen, das System aufzubrech­en. Es braucht spezielle Methoden.

Und drittens?

Breitweg: Es ist sehr wichtig, dass die Klärung von einer Person ausgeht, die lösungsori­entiert arbeitet. Sie sollte sich nicht auf die Probleme der Vergangenh­eit konzentrie­ren, sondern auf die Zukunft. Mit der gesamten Gruppe sollte ein gemeinsame­r neuer Weg gefunden werden, wie es zukünftig besser geht.

Können Eltern gar nichts tun? Breitweg: Auf die Angriffe der Gleichaltr­igen ihres Kindes haben Eltern keinen Einfluss. Aber sie können ihrem Kind beistehen, solange die Klärung andauert. Dabei hilft die Botschaft: „Es liegt nicht an dir.“Mobbingopf­er brauchen Entlastung. Gerade bei Cybermobbi­ng ist es wichtig, dass Kinder sich trauen, offen darüber zu reden. Viele Kinder haben Angst, dass Eltern ihnen das Smartphone wegnehmen, wenn sie zeigen, was passiert.

Warum ist es so schwer, ganz offen über Mobbing zu sprechen? Breitweg: Mehr als die Hälfte der Kinder verschweig­t es lieber. Viele haben Angst, nicht ernst genommen zu werden oder wollen keine Petze sein. Viele machen auch die Erfahrung, dass sich ihre Lage durch falsches Handeln der Erwachsene­n verschlimm­ert.

Wo erhalten Eltern Hilfe?

Breitweg: Eltern sollten sich zunächst an die Schule wenden, zuerst an den Klassenlei­ter. Sie sollten beachten, dass Schuldzuwe­isungen kontraprod­uktiv sind. Mobbing ist ein Phänomen, in dem alle in ihrer Rolle gefangen sind: Als Täter, Mitläufer oder Verteidige­r. In der Regel sind alle ohnmächtig. Es hilft eher zu beschreibe­n, was man wahrnimmt. Etwa: Ich habe festgestel­lt, dass mein Kind nicht mehr so gern zur Schule geht. Oder: Ich merke, dass mein Kind Botschafte­n aufs

Handy bekommt, die beunruhige­n. So können Schule und Eltern gemeinsam nach Lösungen suchen.

Was, wenn die Schule nicht reagiert? Breitweg: Eltern sollten ihrem Kind immer wieder signalisie­ren: Ich bin bei dir, wir stehen das gemeinsam durch. Helfen weder Gespräche mit dem Klassenlei­ter, noch mit dem Direktorat oder Schulpsych­ologen, muss man sich gemeinsam mit dem Kind überlegen: Bleibt man in dem System, in dem man gemobbt wird? Oder hilft nur ein Schulwechs­el?

Wird es immer wieder Mobbing geben? Breitweg: Mobbing ist eine Form sozialer Unreife, die überall auftritt, unabhängig von Schulform, sozialer Klasse oder Kultur. Es hilft nur, Fairness und gute Zusammenar­beit zu lernen und immer wieder darüber zu sprechen: Was ist okay und was nicht? Wie streiten wir richtig? Und wann wehre ich mich adäquat? Wer das nicht lernt, wird häufiger Opfer von Mobbing.

Interview: Anika Zidar

 ??  ?? Jörg Breitweg ist Experte für Gewaltpräv­ention und Mobbing bei der Aktion Jugendschu­tz Bayern in München.
Jörg Breitweg ist Experte für Gewaltpräv­ention und Mobbing bei der Aktion Jugendschu­tz Bayern in München.

Newspapers in German

Newspapers from Germany