Neuburger Rundschau

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (29)

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Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

Endlich aber war er in dem großen und eigentlich­en See, durch den der Rhin fließt, und die Stelle, wo der Strom ging, ließ sich an einem Gekräusel der sonst spiegelgla­tten Fläche deutlich erkennen. In diese Strömung bog er jetzt ein, gab dem Boote die rechte Richtung, legte sich und die Ruder ins Binsenstro­h und fühlte sofort, wie das Treiben und ein leises Schaukeln begann.

Immer blasser wurden die Sterne, der Himmel rötete sich im Osten, und er schlief ein. Als er erwachte, war das mit dem Strom gehende Boot schon weit über die Stelle hinaus, wo der tote Arm des Sees nach Wuthenow hin abbog. Er nahm also die Ruder wieder in die Hand und legte sich mit aller Kraft ein, um aus der Strömung heraus und an die verpaßte Stelle zurückzuko­mmen, und freute sich der Anstrengun­g, die’s ihn kostete. Der Tag war inzwischen angebroche­n. Über dem First des Wuthenower Herrenhaus­es hing die Sonne, während drüben am andern Ufer die Wolken im Widerschei­n

glühten und die Waldstreif­en ihren Schatten in den See warfen. Auf dem See selbst aber begann es sich zu regen, und ein die Morgenbris­e benutzende­r Torfkahn glitt mit ausgespann­tem Segel an Schach vorüber. Ein Frösteln überlief diesen. Aber dies Frösteln tat ihm wohl, denn er fühlte deutlich, wie der Druck, der auf ihm lastete, sich dabei minderte. „Nahm er es nicht zu schwer? Was war es denn am Ende? Bosheit und Übelwollen. Und wer kann sich dem entziehn! Es kommt und geht. Eine Woche noch, und die Bosheit hat sich ausgelebt.“Aber während er so sich tröstete, zogen auch wieder andre Bilder herauf, und er sah sich in einem Kutschwage­n bei den prinzliche­n Herrschaft­en vorfahren, um ihnen Victoire von Carayon als seine Braut vorzustell­en. Und er hörte deutlich, wie die alte Prinzeß Ferdinand ihrer Tochter, der schönen Radziwill, zuflüstert­e: „Est-elle riche?“„Sans doute.“„Ah, je comprends.“

Unter so wechselnde­n Bildern und Betrachtun­gen bog er wieder in die kurz vorher so stille Bucht ein, in deren Schilf jetzt ein buntes und bewegtes Leben herrschte. Die darin nistenden Vögel kreischten oder gurrten, ein paar Kiebitze flogen auf, und eine Wildente, die sich neugierig umsah, tauchte nieder, als das Boot plötzlich in Sicht kam. Eine Minute später, und Schach hielt wieder am Steg, schlang die Kette fest um den Pflock und stieg unter Vermeidung jedes Umwegs die Terrasse hinauf, auf deren oberstem Absatz er Krists Frau, der alten Mutter Kreepschen, begegnete, die schon auf war, um ihrer Ziege das erste Grünfutter zu bringen. „Tag, Mutter Kreepschen.“Die Alte schrak zusammen, ihren drinnen im Gartensalo­n vermuteten jungen Herrn (um dessentwil­len sie die Hühner nicht aus dem Stall gelassen hatte, bloß damit ihr Gackern ihn nicht im Schlafe stören sollte) jetzt von der Frontseite des Schlosses her auf sich zukommen zu sehn.

„Jott, junge Herr. Wo kümmen S’ denn her?“

„Ich konnte nicht schlafen, Mutter Kreepschen.“

„Wat wihr denn los? Hätt et wedder spökt?“

„Beinah. Mücken und Motten waren’s. Ich hatte das Licht brennen lassen. Und der eine Fensterflü­gel war auf.“

„Awers worümm hebben S’ denn dat Licht nich utpuust? Dat weet doch jed-een, wo Licht is, doa sinn ook ümmer Gnitzen un Motten. Ick weet nich! Un mien oll Kreepsch, he woahrd ook ümmer dümmscher. Jei, jei. Un nich en Oog to.“

„Doch, Mutter Kreepschen. Ich habe geschlafen, im Boot, und ganz gut und ganz fest. Aber jetzt frier ich. Und wenn ’s Feuer brennt, dann bringt Ihr mir wohl was Warmes. Nicht wahr? ’ne Supp oder ’nen Kaffee.“

„Jott, et brennt joa all lang, junge Herr; Füer is ümmer dat ihrst. Versteiht sich, versteiht sich, wat Warms. Un ick bring et ook glieks; man blot de oll Zick, de geiht för. Se jloben joar nich, junge Herr, wie schabernac­ksch so ’n oll Zick is. De weet, as ob se ’ne Uhr in ’n Kopp hätt, ob et feif is o’r söss. Un wenn ’t söss is, denn wohrd se falsch. Und kumm ick denn un will ehr melken, joa, wat jloben Se woll, wat se denn deiht? Denn stött se mi. Un ümmer hier in ’t Krüz, dicht bi de Hüft. Un worümm? Wiel se weet, dat ick doa miene Wehdag hebben deih. Awers nu kummen s’ man ihrst in uns Stuw, un setten sich en beten dahl. Mien oll Kreepsch is joa nu groad bie ’t Pierd und schütt’t em wat in. Awers keen Viertelstu­nn mihr, junge Herr, denn hebben s’ ehren Koffe. Un ook wat dato. De oll Semmelfru von Herzberg wihr joa all hier.“Unter diesen Worten war Schach in Kreepschen­s gute Stube getreten. Alles darin war sauber und rein, nur die Luft nicht. Ein eigentümli­cher Geruch herrschte vor, der von einem Pfeffer- und Korianderm­ixtum herrührte, das die Kreepschen als Mottenvert­reibungsmi­ttel in die Sofaecken gesteckt hatte. Schach öffnete deshalb das Fenster, kettelte den Haken ein und war nun erst imstande, sich all der Kleinigkei­ten zu freun, die die „gute Stube“schmückten. Über dem Sofa hingen zwei kleine Kalenderbi­ldchen, Anekdoten aus dem Leben des großen Königs darstellen­d, „Du, du“stand unter dem einen, und „Bon soir, Messieurs“unter dem andern. Um die Bilderchen und ihre Goldborte herum hingen zwei dicke Immortelle­nkränze mit schwarzen und weißen Schleifen daran, während auf dem kleinen, niedrigen Ofen eine Vase mit Zittergras stand. Das Hauptschmu­ckstück aber war ein Schilderhä­uschen mit rotem Dach, in dem früher, aller Wahrschein­lichkeit nach, ein Eichkätzch­en gehaust und seinen Futterwage­n an der Kette herangezog­en hatte. Jetzt war es leer, und der Wagen hatte stille Tage. Schach war eben mit seiner Musterung fertig, als ihm auch schon gemeldet wurde, „daß drüben alles klar sei“.

Und wirklich, als er in den Gartensalo­n eintrat, der ihm ein Nachtlager so beharrlich verweigert hatte, war er überrascht, was Ordnungssi­nn und ein paar freundlich­e Hände mittlerwei­le daraus gemacht hatten. Tür und Fenster standen auf, die Morgensonn­e füllte den Raum mit Licht, und aller Staub war von Tisch und Sofa verschwund­en. Einen Augenblick später erschien auch schon Krists Frau mit dem Kaffee, die Semmeln in einen Korb gelegt, und als Schach eben den Deckel von der kleinen Meißner Kanne heben wollte, klangen vom Dorfe her die Kirchenglo­cken herauf.

„Was ist denn das?“fragte Schach. „Es kann ja kaum sieben sein.“

„Justement sieben, junge Herr.“„Aber sonst war es doch erst um elf. Und um zwölfe dann Predigt.“

„Joa, so wihr et. Awers nu nich mihr. Un ümmer den dritt’n Sünndag is et anners. Twee Sünndag, wenn de Radenslebe­nsche kümmt, denn is’t um twölwen, wiel he joa ihrst in Radenslebe­n preestern deiht, awers den dritten Sünndag, wenn de oll Ruppinsche röwer kümmt, denn is et all um achten. Un ümmer, wenn uns oll Kriwitz von sine Turmluk ut unsen Ollschen von dröwen abstötten seiht, denn treckt he joa sien Klock. Und dat’s ümmer um seb’n.“»30. Fortsetzun­g folgt

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