Mit Genschers Pulli zurück zum Erfolg
Viele Männer haben ihn im Schrank, auch der frühere Außenminister liebte das Kleidungsstück. Wie es der Münchner Modefirma Maerz gelangt, eine Krise zu überwinden
München Draußen sind eben erst die Blätter von den Bäumen gefallen, doch innen entsteht bereits die Mode für den nächsten Herbst. Designerin Melanie Geyer arbeitet an einer Weste für Männer. Auf einem großen Tisch hat sie Knöpfe ausgebreitet, dazu Garnproben und dutzende Modefotos. Hier, bei dem Modeunternehmen Maerz in München, denkt man ein Jahr voraus. Dazu muss Melanie Geyer wissen, was in zwölf Monaten den Menschen gefallen könnte. Nicht einfach. „Ich schaue mir die Menschen an“, sagt die Designerin. „In anderen Städten, auf Mode-Shows, auch auf Kunstausstellungen, wo sich die Avantgarde trifft.“Melanie Geyer, Jeanshemd, Jeanshose, Turnschuhe, Hornbrille, braune Haare, mittleres Alter arbeitet seit sechs Jahren bei Maerz in München. Trends zu erkennen und umzusetzen, ist eine Kunst, das beginnt schon bei den Farben. Absolute Modefarbe diesen Herbst übrigens: gelb.
Das Unternehmen Maerz hat sich auf hochwertige Strickwaren spezialisiert. Pullover, Pullunder, Westen, Blazer. Der frühere, 2016 verstorbene FDP-Außenminister HansDietrich Genscher trug zum Beispiel Pullunder von Maerz, in leuchtendem Hellgelb. Das Unternehmen ist stolz auf seine Tradition: Im Jahr 1956 stattete Maerz die deutsche Olympia-Mannschaft für die Winterspiele in Cortina d’Ampezzo aus. Maerz lieferte auch für viele Jahre die blauen Pullover der Beamten der Bundespost.
Der klassische Pullover aus Merino-Wolle ist nach wie vor das Hauptprodukt, sagt Geschäftsführerin Katja Beibl. Vor 40 Jahren, 1979, hat das Unternehmen den Pulli entwickelt. Es gibt ihn in zahlreichen Farben. Rot, klassisch in Blau, in Grün, dunklen Erdtönen oder in Schwarz. Das Kleidungsstück hat den Ruf, robust zu sein.
Bei Maerz läuft es unter dem Namen Superwash. „Viele Kunden haben eine wahnsinnige Liebe zu diesem Pullover entwickelt und uns geholfen, schwierige Zeiten zu überwinden“, sagt Beibl.
Typische Maerz-Kunden pflegen das Understatement und seien im Alter „50 plus“, berichtet sie, aber auch Jüngere ließen sich von dem Stil begeistern. Rund 200000 der klassischen Pullover zum Preis von 119 Euro verkauft Maerz im Jahr. Ein Drittel trägt das Modell zum Umsatz bei. Daneben gibt es eine Damen- und Herrenkollektion. Die Zentrale von Maerz befindet sich im
Stadtteil Perlach. Viele junge Mitarbeiter sind in den Fluren unterwegs, Wolle findet sich überall. Als Teppich, als Arbeitsmaterial... In München werden Kollektionen entwickelt, die Fertigung vorbereitet, in der Qualitätssicherung wacht eine Mitarbeiterin darüber, dass das Garn nicht fusselt. Rund 60 Beschäftigte arbeiten in München, im ganzen Unternehmen sind es rund 110 Beschäftigte. Im vergangenen Jahr machte Maerz über 29 Millionen Euro Umsatz. Und die Zahlen weisen wieder nach oben.
Für Maerz ist dies nach einer schwierigen Zeit besonders wichtig. Denn 2004 bis 2010 hatte die Firma eine Insolvenz durchlaufen. „Eine harte Zeit“, sagt Beibl. In der Geschichte der Firma spiegeln sich Aufstieg und Krise der deutschen Textil- und Modeindustrie. Aktuell erleben deutsche Modemarken abermals eine schwierige Phase: Strenesse meldete Insolvenz an, Esprit kämpft mit sinkenden Umsätzen. In München hält Geschäftsführerin Katja Beibl mit einer Mischung aus Tradition, einer Modernisierung der Marke und neuen Kollektionen dagegen. Gegründet wurde das Unternehmen bereits 1920 von Wolfgang März, der in einem Hinterhof in Giesing beginnt, Handstricksachen und Füßlinge herzustellen. Seine Frau Thea bringt viel Kreativität ein, das Wohl der Mitarbeiter liegt ihr besonders am Herzen. Ihr Sohn Günter März setzt nach dem Zweiten Weltkrieg auf MerinoWolle. Die Firma erlebt eine Blütezeit, bis es mit dem Niedergang der Textilwirtschaft in Deutschland für Maerz schwieriger wird: Die Produktion wird nach Ungarn verlegt, die Kinderkollektion eingestellt.
In den 90er Jahren verliert Maerz den Auftrag der Post für die Pullover. Modeketten wie H&M und Zara machen Maerz zusätzlich Konkurrenz. Die Wende kommt erst nach 2010: Der Eigentümer des baden-württembergischen Hemdenherstellers Olymp, Mark Bezner, steigt bei Maerz ein – entschlossen, der Marke eine Zukunft zu geben.
Katja Beibl trägt einen grauen Pullover, sie hat blonde Haare, eine sportliche Figur und kam 2012 als Geschäftsführerin zu Maerz, davor war sie bei Marco Polo und Esprit. An ihr lag es, den Turnaround zu schaffen. Heute wächst die Damenkollektion um 15 bis 25 Prozent pro Jahr, sagt sie. In Krefeld, ihrer Heimatstadt, hat diesen Herbst ein Maerz-Geschäft eröffnet. Für das Design der Shops hat Beibl den Möbeldesigner Nils Holger Moormann aus Aschau am Chiemsee gewonnen.
Im nächsten Jahr – wenn Maerz 100-jähriges Bestehen feiert – soll eine neue Passform des Superwash-Pullovers herauskommen, die auch 20-Jährige anspricht. Eine neue Kinderkollektion ist geplant. Und neben dezenten Unifarben gibt es in der aktuellen Kollektion bunte Pullover mit großen Mustern. Das Unternehmen plant, sich die Farbe „Genscher-Gelb“zu sichern.
Bei allem Sinn für Mode, eines ist für Katja Beibl klar: Das Hauptmaterial von Maerz ist und bleibt Merino-Wolle. „Ein Naturprodukt“, das gefällt ihr. Ein Thema rückt dabei aber immer mehr in den Vordergrund: der Tierschutz.
Denn in Australien gibt es ein Problem: Schafe werden dort an ihrem Hinterteil häufig von Fliegenlarven befallen. Um die Schafe zu schützen, wird die Haut rund um den Schwanz der Tiere abgeschnitten – das sogenannte Mulesing ist blutig und eine häufig kritisierte Praxis. Maerz hat sich entschieden, zum Tierschutz beizutragen: „Wir beziehen grundsätzlich Mulesingfreie Merino-Wolle für unsere Merino-Superwash-Serie – aus Australien als auch aus Südamerika“, sagt Beibl. Für andere Produkte kaufen die Spinnereien, die Maerz beliefern, unterschiedliche Kontrakte, sodass die Rohwolle am Ende zu einem bestimmten Prozentsatz „Mulesing-frei“ist, berichtet Beibl.
Bewusst produziere die Firma außerdem weiterhin im eigenen Werk in Ungarn. Das ist inzwischen eine Ausnahme in der Textilbranche, deren Produktion häufig in Asien stattfindet, nicht selten unter prekären Arbeitsbedingungen. Weitere Produktionsländer sind vor allem Portugal und Bulgarien.
Katja Beibl hat den Eindruck, dass Kunden heute wieder mehr auf die Qualität und Herkunft von Kleidung achten. „Wolle ist wertvoll“, sagt sie und hat dies zum Motto von Maerz gemacht. „Die Kunden haben genug von Wegwerf-Moden.“Ihren eigenen, grauen Pullover hat sie übrigens vor sieben Jahren gekauft.
Die Umsatzzahlen weisen wieder nach oben