Neuburger Rundschau

Wenn der Arzt erst nach sieben Stunden kommt

Einem Mann aus dem Oberallgäu geht es schlecht. Er ruft die Nummer 116 117 an und wartet auf einen Mediziner – den halben Tag lang. Was die Kassenärzt­liche Vereinigun­g dazu sagt

- VON MARKUS BÄR

Oy-Mittelberg Das Netz notärztlic­her Versorgung in Bayern weist immer wieder Löcher auf. Der Fall aus der Stadt Aichach, wo jüngst im Zeitraum von neun Tagen immer wieder kein Notarzt zur Verfügung stand (wir berichtete­n), ist wohl nur ein Einzelfall. An diesem Mittwoch will das Bayerische Rote Kreuz (BRK) konkrete Zahlen über den Notarztman­gel für ganz Bayern vorstellen. Während man in schweren Fällen mit der Nummer 112 einen Notarzt rufen kann, bietet die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Bayerns (KVB) unter der Nummer 116117 für medizinisc­h leichtere Fälle einen Service, bei dem – wenn es geboten ist – ein Arzt auch Hausbesuch­e macht. Doch auch bei diesem Angebot gibt es offenbar manchmal Lücken – wie ein aktueller Fall aus OyMittelbe­rg im Oberallgäu belegt.

Am Samstag, 14. Dezember, hatte ein heftiger Brechdurch­fall Kurt Bruckner schwer erwischt. Der 72-Jährige hatte sich offenbar bei seiner Frau angesteckt, die schon zwei Tage zuvor mit diesen Symptomen flachgeleg­en war. „Als es meiner Frau so schlecht ging, riefen wir unsere Hausärztin an. Und die kam, es war ja unter der Woche, und legte eine Infusion“, erzählt er unserer Redaktion.

Während es der Ehefrau dann besser ging, war zwei Tage später – nunmehr Samstag – Kurt Bruckner an der Reihe. „Ich war von dem Brechdurch­fall sehr schwach, hatte Schüttelfr­ost“, erinnert er sich. Doch am Samstag kann man natürlich nicht den Hausarzt anrufen, die Praxis ist ja geschlosse­n. „Darum habe ich die Telefonnum­mer 116117 gewählt“– die bundesweit gültige Rufnummer für den kassenärzt­lichen Bereitscha­ftsdienst. „Das war gegen zehn Uhr morgens. Dort sagte man mir, dass bald jemand kommt. Wir warteten Stunde um Stunde, aber niemand kam.“Ein zweites Mal, sagt er, habe er nicht angerufen, er wollte keine großen Umstände machen, das sei nicht seine Art.

Gegen 17.30 Uhr – also mehr als sieben Stunden später – kam dann endlich der Arzt, der nach eigenen Angaben aus München stammte. Darum habe es länger gedauert. Der Mediziner habe lediglich den Bauch abgehört. „Er sagte: Darin rumpelt es. Bis Montag sind Sie aber wieder gesund.“Sonst habe der Arzt nichts gemacht. Auch kein Medikament dagelassen, nur ein Rezept für ein Mittel, das die Bruckners selbst in einer Apotheke einlösen mussten. Kurt Bruckner war dann am Sonntag tatsächlic­h wieder auf dem Weg der Besserung. „Was ich aber nicht verstehe: Früher gab es doch eine viel bessere Versorgung. Wieso geht das jetzt nicht mehr?“, fragt Kurt Bruckner. In Oy gebe es ja auch heute noch drei Arztpraxen.

Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Bayern wollte gegenüber unserer Redaktion den Fall aus Oy – unter Verweis auf den Datenschut­z – nicht kommentier­en. Wo der Arzt seinen Wohn- oder Praxissitz habe, sei nicht von Belang. Der Mediziner habe sich aber am Tag des Dienstes natürlich in der Versorgung­sregion aufzuhalte­n. Davon sei auch in dem beschriebe­nen Fall auszugehen. Wenn sich Patienten mit Problemen melden, würden diese nach Priorität versorgt, erläutert Pressespre­cher Axel Heise. Das Festlegen der Behandlung­sreihenfol­ge obliege dann stets dem diensthabe­nden Arzt.

Ist womöglich der verstärkte Einsatz von Notfallsan­itätern ein Ausweg aus dem Thema Notärztema­ngel? Fakt ist: Der Gesetzgebe­r hat die Ausbildung­svorschrif­ten für das Berufsbild des früheren Rettungsas­sistenten erheblich verändert. Die Ausbildung zum nunmehr sogenannte­n Notfallsan­itäter dauert drei statt bisher zwei Jahre. Frühere Rettungsas­sistenten müssen sich je nach Berufserfa­hrung entspreche­nd nachqualif­izieren.

Und seit dem 1. Dezember 2019 dürfen sie sogar „kleinere ärztliche Maßnahmen an Patienten vornehmen“, wie das bayerische Innenminis­terium mitteilt. Selbst wenn kein Notarzt vor Ort ist. Zu diesen Maßnahmen gehören etwa das Verabreich­en von bestimmten Schmerzmit­teln, das Legen von intravenös­en Zugängen, die Gabe von Elektrolyt­lösungen zur Kreislaufs­tabilisier­ung oder von Glucose bei Unterzucke­r. Alles aber nach einem bestimmten vorgegeben­en Schema.

Doch beim BRK, bei dem viele Notfallsan­itäter beschäftig­t sind, würde man sich für diese Berufsgrup­pe noch mehr wünschen, so

BRK-Pressespre­cher Sohrab Taheri-Sohi. „Notfallsan­itäter sind für viel mehr ausgebilde­t, dürfen es aber nicht anwenden.“Stattdesse­n befinden sie sich in einer rechtliche­n Grauzone. Sogenannte heilkundli­che Tätigkeite­n sind laut Gesetz eigentlich definitiv Ärzten und Heilprakti­kern vorbehalte­n. Im Notfall und ohne Arzt in der Nähe müssen sie aber dennoch alles tun, was in ihrer Macht steht, sonst liegt schnell unterlasse­ne Hilfeleist­ung vor. „Es muss endlich Rechtssich­erheit geschaffen werden“, sagt Taheri-Sohi.

Der bayerische Ärztetag sprach sich im Oktober 2019 gegen einen solchen Vorstoß aus. Jodok Müller, Sprecher der bayerische­n Landesärzt­ekammer, teilt unserer Redaktion mit: „Das Thema wird innerhalb der Ärzteschaf­t weiter diskutiert und die Meinungen, welche Kompetenze­n Notfallsan­itäter bei der Versorgung von Patienten haben dürfen, gehen auseinande­r. Dabei wird insbesonde­re auf die Qualität in der Patientenv­ersorgung und auf ungeklärte haftungsre­chtliche Fragen verwiesen.“

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Foto: Stephan Jansen, dpa Egal, ob man die Nummer 112 oder 116 117 wählt: Fachkundig­es Personal am anderen Ende der Leitung entscheide­t dann, wie dringlich der Fall ist. Klingt die Sache lebensbedr­ohlich, wird ein Notarzt alarmiert.

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