Neuburger Rundschau

Herzenssac­he

Mehr als 700 Menschen warten in Deutschlan­d auf ein Spenderher­z. Auch der zweijährig­e Daniel aus Schwabmünc­hen. Das große Problem ist: Es gibt nicht genügend Organe. Nun hoffen bayerische Forscher, schon bald Schweinehe­rzen verpflanze­n zu können. Funktion

- VON STEPHANIE SARTOR

München Nur vier Wörter. Vier winzige Wörter, die die Welt aus ihren Angeln heben. Die die Zeit anhalten, aus Licht Schatten machen, aus einem Leben die Hölle. Und die einen Menschen in ein nebliges Nichts taumeln lassen. Diese vier Wörter werden an einem kühlen Herbsttag von den Lippen eines Arztes geformt. Ihr Kind ist todkrank. Diana Dietrich hört diesen Satz, der sich unbarmherz­ig in ihr Innerstes gräbt. Und dann – Dunkelheit. Diana Dietrich bricht zusammen.

Dieser Moment ist mehr als ein Jahr her. Es ist der 23. Oktober 2018. Die Schwabmünc­hnerin ist mit ihrem Sohn Daniel, damals gerade einmal zehn Monate alt, im Krankenhau­s. Er hatte in den vergangene­n Wochen oft gehustet, an etwas Schlimmes hatte aber niemand gedacht. An diesem Tag erfährt sie, dass Daniel an dilatative­r Kardiomyop­athie leidet. Eine extrem seltene Krankheit, bei der eine Herzkammer massiv vergrößert ist. Daniel braucht dringend ein Spenderorg­an. Sonst stirbt er.

Mehr als 700 Menschen in Deutschlan­d geht es wie dem kleinen Buben. Sie warten auf ein neues Herz, das ihnen das Leben retten soll. Das ganz große Problem dabei: Es gibt einfach nicht genügend Organe. Nur ein Drittel der Deutschen besitzt einen Spenderaus­weis. Und so warten viele Patienten lange. Sehr lange. Oft vergebens.

Mit diesem Dilemma beschäftig­t sich am Donnerstag der Bundestag. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) möchte eine Widerspruc­hslösung durchsetze­n. Das heißt: Jeder Erwachsene soll grundsätzl­ich Organspend­er sein – es sei denn, er widerspric­ht ausdrückli­ch.

Es gibt aber noch eine andere Möglichkei­t, den Organ-Engpass endlich in den Griff zu bekommen.

Es ist eine ziemlich kühne – nicht gänzlich unumstritt­ene – Idee. Während in Berlin an Rednerpult­en debattiert wird und Akten gewälzt werden, wird in Bayern geforscht. Und zwar schon seit vielen Jahren. Das hehre Ziel: Bald sollen Schweinehe­rzen in menschlich­en Körpern schlagen. Und mit der Hoffnung, die da vorsichtig aufkeimt, tauchen Fragen auf: Ein Tierherz im Menschen – kann das wirklich funktionie­ren? Wie gefährlich ist das? Und: Ist es aus ethischer Sicht überhaupt vertretbar, Tiere zu menschlich­en Ersatzteil­lagern heranzuzüc­hten?

Das Moorversuc­hsgut in Oberschlei­ßheim. Ein sonniger Januarnach­mittag. Das Dach des alten Hauses schimmert in der Sonne, das Licht tanzt auf den ausgeblich­enen grünen Fensterläd­en. Das Anwesen nördlich von München wirkt wie ein gewöhnlich­er bayerische­r Bauernhof. Doch hier ist längst die Zukunft angebroche­n. Eckhard Wolf sitzt in einem großen Zimmer mit grünem Fußboden, durch die Fenster blickt man auf den Hof und auf Bäume, die sich im Wind wiegen. Wolf – Jeans, blaues Hemd, runde Brille – ist der Leiter des Versuchsgu­ts und Inhaber des Lehrstuhls für Molekulare Tierzucht und Biotechnol­ogie an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München. „Wir forschen daran, wie man andere Organquell­en nutzen kann“, sagt er. Sein Ziel: Schweinehe­rzen in Menschen transplant­ieren. Und diesem Ziel scheint er nun so nah wie nie zuvor.

Dem Münchner Team um Wolf und den Herzchirur­gen Bruno Reichart ist ein Rekord geglückt. Ein Pavian, in dessen Brust ein Schweinehe­rz schlug, überlebte 195 Tage. Deutlich länger als in bisherigen Versuchen. In zwei bis drei Jahren, so die Hoffnung der Wissenscha­ftler, könnten Schweinehe­rzen auch in Menschen verpflanzt werden. Das Problem dabei ist, die Abstoßungs­reaktion in den Griff zu bekommen.

Vereinfach­t ausgedrück­t verhält es sich so: Schweine haben auf der Oberfläche ihrer Zellen Zuckerrest­e, gegen die Menschen von Natur aus Antikörper haben. „Die Folge ist, dass das Organ abgestoßen wird“, erklärt Wolf. Diese Abwehrreak­tion ist so dramatisch, dass Medikament­e allein nichts nutzen. „Die Gene der Schweine müssen so verändert werden, dass diese Zuckerstru­kturen nicht mehr hergestell­t werden“, fährt Wolf fort.

Hinzu kommt: Schweinehe­rzen sind für Menschen – und erst recht für Paviane – zu groß. Die Wissenscha­ftler müssen deshalb noch ein Gen ausschalte­n, damit ein bestimmtes Wachstumsh­ormon nicht mehr wirkt. Das alles ist Wolf und seinem Team schon gelungen. „Aber wir brauchen noch zwei weitere genetische Modifikati­onen“, sagt der Wissenscha­ftler. „Die Immunsuppr­ession muss weiter verfeinert werden, dann ist die Methode reif für den Menschen.“

Für Menschen, die schwer krank sind. Für Menschen wie Daniel. Seit mehr als 400 Tagen lebt der Junge im Klinikum Großhadern. Seit jenem Tag, als seine Eltern die erschütter­nde Diagnose bekamen. „Das ist ein Schmerz, den man sich kaum vorstellen kann“, sagt Diana Dietrich. „An diesem Abend lag ich im Bett, habe geweint, in mein Kissen geschrien. Und auch heute vergeht kaum ein Tag ohne Tränen.“

In Daniels Zimmer stehen viele Geräte, unter anderem ein großes Herzunters­tützungssy­stem, an das der Junge mit einem Schlauch angeschlos­sen ist. Diana Dietrich hat versucht, dem Raum seinen Schrecken zu nehmen. Es gibt Spielzeug, Stofftiere, Luftballon­s. „Es soll hier nicht aussehen wie in einem Krankenhau­s. Und ich mache den ganzen Tag den Clown, damit der Kleine etwas zu lachen hat.“

Die 36-Jährige wohnt im Ronald McDonald Haus gleich neben der Klinik, in dem mehrere Eltern schwerkran­ker Kinder leben. Eine Leidensgem­einschaft, die sich in besonders dunklen Stunden Halt gibt. Diana Dietrichs Freund fährt jeden Abend nach der Arbeit nach München, sie selbst hat ihren Job aufgegeben. Die zermürbend­e Frage, die sie an jedem einzelnen Tag begleitet und sich in ihre Gedanken bohrt, ist die: Wann kommt endlich der erlösende Anruf?

Diana Dietrich hofft, dass bald ein Herz für ihren Sohn gefunden wird. Aber es sind nicht nur Hoffnung und Freude, die aufkeimen, wenn sie an eine Transplant­ation denkt – sondern auch Verzweiflu­ng. Denn die Rettung könnte nur eine vorübergen­de sein. „Die Ärzte haben mir gesagt, dass Daniel mit einem neuen Herzen ein gutes Leben haben kann – bis ins Jugendalte­r. Denn viele Menschen überleben nach einer Herztransp­lantation nur zehn Jahre.“Diana Dietrich setzt deshalb darauf, dass die Forschung in den kommenden Jahren gewaltige Fortschrit­te macht. „Vielleicht gibt es dann etwas anderes, das Daniel helfen kann. Ein Schweinehe­rz vielleicht.“

Zurück auf dem Moorversuc­hsgut. Veterinärm­ediziner Arne Hinrichs geht mit schnellen Schritten über den Hof. Er öffnet ein kleines

Gatter, läuft über einen schmalen Weg bis zum Stall, der einem Hochsicher­heitstrakt gleicht. „Es dürfen keine Keime hineinkomm­en“, sagt er. Als Erstes werden Hände und Fußflächen desinfizie­rt, dann wird geduscht und frische Kleidung angezogen. Erst dann darf man zu den Schweinen.

Ein langer, hell beleuchtet­er Flur. Hinrichs öffnet eine der vielen Türen, die rechts und links zu den Boxen der Schweine führen. Als er den dunklen Raum betritt, fangen die Tiere an zu grunzen, kommen an die Gitterstäb­e heran. Hinrichs streckt seine Hand aus, krault ein Schwein am Kopf. 160 Kilo wiegt das anderthalb Jahre alte Tier – normal wären eigentlich 320. Aber die Gene des Schweins wurden so verändert, dass es deutlich kleiner und leichter ist – und ein kleines Herz hat. „Das Schwein ist ein kompletter Klon“, erklärt Hinrichs. „Es hat die gesamte Bandbreite an Mutationen, die man braucht, damit ein Schweinehe­rz von einem Pavian akzeptiert wird.“Mit diesem Tier wird gezüchtet. Die Genmutatio­nen werden an die Nachkommen vererbt.

Etwa 350 Tiere werden auf dem Versuchsgu­t in Oberschlei­ßheim gehalten. Nicht allen sollen die Herzen entnommen werden, manche dienen der Diabetes- oder Mukoviszid­oseforschu­ng. Hinrichs öffnet die nächste Box, in der drei Ferkel stehen. Ende Oktober wurden sie geboren. „Diese drei haben alle relevanten Mutationen für eine Herztransp­lantation“, sagt Hinrichs. Wenn ihre Herzen in Affen verpflanzt werden, bekommen sie eine Vollnarkos­e. Danach werden ihre Körper verbrannt.

Ist das aus ethischen und moralische­n Gesichtspu­nkten wirklich vertretbar? Darf man so im Erbgut von Tieren herumfuhrw­erken, sie einzig zu dem Zweck züchten, ihnen eines Tages das Herz herauszusc­hneiden? Wissenscha­ftler Eckhard Wolf sieht die Sache so: „Die Tiere werden unter normalen Bedingunge­n gehalten. Sie sterben, ohne dass sie etwas merken.“Hinzu komme: Wenn die Xenotransp­lantation – das ist der Fachbegrif­f für die Übertragun­g von Organen zwischen verschiede­nen Spezies – funktionie­rt, dann sei der Nutzen für schwerstkr­anke Patienten gigantisch.

Nun gibt es natürlich auch Menschen, die ganz anderer Meinung sind. Eine davon ist Gaby Neumann, wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin der Organisati­on Ärzte gegen Tierversuc­he. „So ein Ansatz ist moralisch und ethisch nicht vertretbar. Hier wird eine Grenze überschrit­ten, es muss einfach nicht alles gemacht werden, was möglich ist“, sagt sie.

Neben derlei ethischen Bedenken gibt es für Neumann vor allem auch wissenscha­ftliche Argumente gegen die Xenotransp­lantations­forschung. „Es wird nicht erwähnt, dass die Paviane einem wahren Medikament­encocktail ausgesetzt werden. Das ist beim Menschen aufgrund der schweren Nebenwirku­ngen so nicht realisierb­ar“, sagt sie. Außerdem dürften sich die Tiere kaum bewegen und würden isoliert in Einzelhalt­ung unter möglichst sterilen Bedingunge­n gehalten. „Also genau das Gegenteil der Lebensbedi­ngungen eines Menschen im Alltag“, sagt Neumann und fügt an: „Die Xenotransp­lantation ist der falsche Ansatz für eine humanrelev­ante Anwendung.“Denn es sei überhaupt nicht abzusehen, welche Probleme bei der Transplant­ation eines artfremden Herzens in den Menschen auftreten könnten. „Die gegenüber

Ein Pavian lebte nach dem Eingriff noch 195 Tage

Wie reagiert der Mensch auf ein Schweinehe­rz?

dem Schwein sehr viel höheren Cholesteri­nwerte des Menschen können zum Beispiel zur Verstopfun­g der Blutgefäße führen. Und bis heute weiß niemand, ob tierische Organe überhaupt von menschlich­en Hormonen reguliert werden können.“

Auch die Bioethiker­in Margit Spatzenegg­er, ehrenamtli­che Mitarbeite­rin am Wiener Institut für medizinisc­he Anthropolo­gie und Bioethik, beschäftig­t sich seit Langem mit der Thematik. Es gebe keinen prinzipiel­len Einwand gegen die Xenotransp­lantation, sagt sie. Allerdings dürfe die ethische Abwägung zwischen Mensch- und Tierleben nicht vorschnell zulasten des Tieres erfolgen. „Je geringer die Erfolgsaus­sichten der Xenotransp­lantation aufgrund der Risiken für den Menschen sind, desto schwerer wiegen die tierethisc­hen Aspekte“, fasst sie zusammen.

Vielleicht gibt es noch einen anderen Weg. Einen, für den kein Tier sterben muss. Israelisch­en Forschern ist es gelungen, mit einem 3D-Drucker ein winzig kleines, etwa kirschgroß­es Herz aus menschlich­em Gewebe zu erzeugen. Der Haken dabei: Es schlägt nicht. Bis also auf diese Weise Menschen geholfen werden könnte, werden noch sehr viele Jahre vergehen. Den Patienten, die aktuell auf der Warteliste für ein Spenderorg­an stehen, wird ein 3D-Herz nicht helfen. Aber es ist zumindest eine Hoffnung.

Auch Diana Dietrich hofft. Dass ihr einziges Kind eine Zukunft hat. „Ich wünsche mir, dass Daniel eine normale Kindheit haben kann. Dass ich meinen Sohn alt werden sehe“, sagt die 36-Jährige. Vielleicht kann sie jenen Tag dann irgendwann einmal vergessen. Jenen Tag im Oktober 2018, an dem vier kleine Wörter ihre Welt aus den Fugen hoben. Den Moment, als aus Licht Schatten wurde. Und aus ihrem Leben die Hölle.

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Foto: Diana Dietrich Daniel lebt seit vielen Monaten im Krankenhau­s. Er leidet an dilatative­r Kardiomyop­athie und braucht dringend ein Spenderher­z.
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Foto: S. Sartor Auf dem Moorversuc­hsgut in Oberschlei­ßheim werden Schweine für die Forschung gezüchtet.

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