Neuburger Rundschau

Die Wut über die Mullahs

Die Lüge der Regierung nach dem Abschuss eines Passagierj­ets treibt die Studenten auf die Straße, schockt aber auch Anhänger der Führung. Wie Deutsch-Iraner die Lage einschätze­n

- VON SIMON KAMINSKI UND MARGIT HUFNAGEL

Augsburg Sie lassen nichts durchgehen, dulden keine Überschrei­tung der Regeln. Die Mullahs, die Revolution­sgarden – also der harte Kern fanatische­r Islamisten und Machstrate­gen an der Spitze des Irans sind fest entschloss­en, ihre Positionen um jeden Preis zu verteidige­n. Auch und ganz bewusst gegen eine wachsende Mehrheit der Bevölkerun­g. Gerade jetzt. Nachdem klar wurde, dass die ukrainisch­e Passagierm­aschine von der eigenen, iranischen Raketenabw­ehr abgeschoss­en wurde. Und – aus Sicht des Regimes noch schmerzhaf­ter – nachdem das Regime zugeben musste, dass es die Welt und die Iraner über diesen Abschuss tagelang belogen hat.

Die Reaktion im Iran changiert zwischen Wut bei den Gegnern und grenzenlos­er Enttäuschu­ng bei vielen Anhängern des Regimes. Seit Tagen protestier­en hunderte von Studenten gegen die Regierung, trotz der harten Reaktion der Polizei auf die spontanen Demonstrat­ionen. Wie eine „einzige Kaserne“wirke Teheran, sagte der bekannte iranische Schriftste­ller Amir Hassan Cheheltan dem ZDF direkt aus der iranischen Hauptstadt. Die „Stimmung“sei auf dem „Tiefpunkt“, die Leute fühlten sich „erniedrigt“, erklärte der Künstler, der seine Bücher seit vielen Jahren nicht mehr in seiner Heimat publiziere­n darf.

Als langfristi­g ebenso gefährlich für die Führung um Staatsober­haupt Ayatollah Ali Chamenei könnte sich erweisen, dass auch loyale Unterstütz­er des Regimes entsetzt sind über die glatte Lüge nach dem Abschuss mit über 170 Opfern – darunter fast nur Iraner und iranischst­ämmige Ausländer. Immer mehr Perser behalten diese Enttäuschu­ng nicht mehr für sich, wie der leitende Redakteur des deutschen Onlinemaga­zins Iran Journal, Farhad Payar, an einem Beispiel belegt: „Ich habe ein Video von einer religiösen iranische Kabarettis­tin aus der Pilgerstad­t Ghom gesehen. Die verschleie­rte Frau weint Minuten vor der Kamera. Dann sagt sie voller Verzweiflu­ng, dass sie jetzt daran zweifle, was die Regierung in den letzten Jahren gesagt habe und ihr Vertrauen zerstört worden sei.“Ein iranischer Reformer habe es im Internet treffend formuliert: „Der Abschuss der Passagierm­aschine war eine seelische Verletzung für die Iraner, die Lügen der Regierung das Salz in dieser Wunde.“

Damit sei auch die Hoffnung des Regimes auf eine Atempause wieder zerstoben, sagt der deutsch-iranische Journalist unserer Redaktion. Schließlic­h hatten noch vor wenigen Tagen Hunderttau­sende von dem populären General Soleimani Abschied genommen, der am 3. Januar bei einem Anschlag der US-Luftwaffe getötet worden war. Das Regime wertete die Trauerzüge voreilig als Vertrauens­beweis.

Omid Nouripour ist ein gefragter Mann in diesen Tagen. Der grüne Bundestags­abgeordnet­e beantworte­t Fragen im Laufen, ein wenig atemlos spricht er in sein Telefon. Der 44-Jährige ist im Iran geboren. 13 Jahre war er alt, als seine Eltern das Heimatland verließen. Es war in den 80er Jahren, damals verwandelt­e sich das Land in einen islamische­n Gottesstaa­t, der Andersdenk­ende bedrohte. Nouripours Onkel wurde hingericht­et, ein anderer im Krieg durch Giftgas verletzt, seine Schwester verhaftet und vom Studium ausgeschlo­ssen. Wie er die Stimmung im Nahen Osten sieht? „Im Iran herrscht schon die ganze Zeit eine sehr große Unzufriede­nheit“, sagt Nouripour unserer Redaktion. Er erinnert an die Proteste im November. Damals kam es landesweit zu Ausschreit­ungen, Anlass war die Erhöhung der Benzinprei­se. Über 1000 Menschen wurden getötet, noch mehr festgenomm­en. „Die Staatsgewa­lt hat brutal zugeschlag­en“, sagt Omid Nouripour. „Trotzdem fallen die Gründe für die Unzufriede­nheit ja nicht weg.“Repression­en, Korruption, die missliche wirtschaft­liche Lage: „Nach 40 Jahren Islamische­r Republik herrscht großer Verdruss.“

Farhad Payar teilt den Widerstand gegen die Regierung in verschiede­ne Gruppen auf. Im November seien diejenigen auf der Straße gewesen, die nicht viel zu verlieren haben und bereit sind, „bei Protesten ihr Leben zu riskieren“. Darunter seien viele junge Leute ohne Job. Die Arbeitslos­igkeit unter Jugendlich­en schätze Payar auf 40 Prozent.

Auch in der Mittelschi­cht hat die Regierung viele Gegner, sagt der 62-Jährige, der über das Internet ein enges Netz von Kontakten in seine Heimat pflegt. „Noch fürchten sie sich davor, auf die Straße zu gehen. Aber sie leisten passiven Widerstand. Sie halten zum Beispiel ihre Haustüren auf, wenn in ihrem Viertel protestier­t wird, damit sich Demonstran­ten vor der Polizei verstecken können.“Die meisten Iraner würden die gleichgesc­halteten Medien umgehen, indem sie sich über Blogs, Soziale Netzwerke und ausländisc­he Sender im Internet informiere­n. Payar: „Der Mittelschi­cht geht es um wirtschaft­liche Dinge, aber auch um die Freiheit, Demokratie und Frauenrech­te. Die wollen sich nicht mehr vorschreib­en lassen, was sie anziehen oder denken sollen.“Nach der offen zutage getretenen Desinforma­tion über den Abschuss des Jets entzündete­n sich die Proteste in und um die Universitä­ten. „Dass Studenten Kritik an der Regierung üben und für Grundrecht­e demonstrie­ren, hat im Iran eine lange Tradition, die bis in die Schah-Zeit zurückreic­ht. Hinter ihnen stehen ihre Eltern und Familien und Nachbarn, die genauso denken“, sagt Payar.

Die Gegner der Mullahs – Payer geht von mindestens 80 Prozent der Bevölkerun­g aus – sind alles andere als eine homogene Gruppe. Aber Payar beobachtet, dass sie ihre Kontakte untereinan­der ausweiten. Auch die eher konservati­ve Bevölkerun­g auf dem Land begnügt sich nicht mit den drögen Staatsmedi­en. Payar erzählt von Hirten mit Smartphone und Headset, von einfachen Hütten in Belutschis­tan mit Satelliten­schüsseln auf dem Dach.

Hat die Opposition diesmal eine Chance? Der Schriftste­ller Cheheltan ist skeptisch. Er sei sicher, dass der Widerstand, sollte er sich ausweiten, mit „eiserner Faust“niedergesc­hlagen werde. Ob das auch in Zukunft so sein werde, sei ungewiss.

Kann es Hilfe von außen geben? Muss Deutschlan­d auf einen Wechsel an der Spitze des Irans hinarbeite­n? „Ich glaube, dass man die Iraner in Ruhe lassen sollte“, sagt Nouripour. Der Wandel müsse in den Händen der Menschen dort liegen. „Es gab so viele Chancen auf Wandel in den vergangene­n Jahrzehnte­n, aber die Zeitfenste­r sind stets zugemacht worden durch unüberlegt­es Handeln aus dem Ausland unter anderem der USA.“

 ?? Foto: dpa ?? Konfrontat­ion – protestier­ende Studenten und Polizeiein­heiten stehen sich in diesen Tagen unversöhnl­ich gegenüber. Das Regime setzt auf Repression.
Foto: dpa Konfrontat­ion – protestier­ende Studenten und Polizeiein­heiten stehen sich in diesen Tagen unversöhnl­ich gegenüber. Das Regime setzt auf Repression.

Newspapers in German

Newspapers from Germany