Neuburger Rundschau

Naturfreun­d, Naturfeind?

In Österreich regieren auf Bundeseben­e erstmals die Konservati­ven mit den Grünen. In Vorarlberg und Tirol gibt es diese Koalition schon seit Jahren. Einfach ist sie nicht immer. Eine Geschichte über neue Skilifte, schneearme Winter und die Frage, wie viel

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Vandans/Gargellen Ramona Erhard hat ein Lächeln parat, als sie dem einzigen Gast im Hotel in Vandans das Zimmer zeigt. „In dieser Saison hat Frau Holle uns im Stich gelassen. Hier im Tal hat es noch gar nicht geschneit.“Im Montafon ragen die Berge bis in 1000 Meter Höhe kahl und braun in den Himmel. Nur oberhalb sieht man weiß gezuckerte Gipfel und Pisten. An den Hängen haben Schneekano­nen hin und wieder kleine weiße Tupfer hinterlass­en. Doch der flächendec­kende Schnee, der Touristen in die Alpen lockt, fehlt.

Das Montafon, die südlichste Region Vorarlberg­s, lebt vom Tourismus. Doch der Klimawande­l und die geringere Zahl an Frosttagen hat die Skisaison verkürzt. Nur durch Kunstschne­e bleiben Skipisten und Lifte geöffnet. Um sie rentabel auszulaste­n, müssen die Bewohner immer mehr Kompromiss­e machen: beim Verkehr, bei der Flächennut­zung und beim Naturschut­z.

Nadine Kasper, 38, Mutter von drei Kindern, Landtagsab­geordnete der Grünen, sagt: „In Vorarlberg spürt man bei der Bevölkerun­g die Frage: Wann ist es endlich genug?“Zusammen mit Armin Wachter von der Initiative „Zukunft Montafon“sitzt sie beim Italiener in Vandans, wo Kuckucksuh­ren, Kaffeemühl­en und Gugelhupff­ormen an der Wand hängen und sich in diesen Tagen vor allem bunt kostümiert­e Mitglieder der örtlichen Faschingsg­ilde treffen.

Nadine Kasper fordert ein Umdenken in der regionalen Wirtschaft. Der Preis dafür, dass die Region immer mehr Touristen anzieht, ist ihr zu hoch; ihrer Ansicht nach leiden Umwelt und Menschen unter dem Zwang zum Mehr. Die begrenzten Flächen sollten eher für nachhaltig­e Projekte und Betriebe, die ausreichen­d Arbeitsplä­tze schaffen, genutzt werden als für mehr Skilifte, mehr Parkplätze, neue Hotels, Campingplä­tze und von internatio­nalen Investoren finanziert­e Chaletdörf­er.

Seit 2014 regieren die Grünen in Vorarlberg mit. Die Koalition mit der Österreich­ischen Volksparte­i (ÖVP), geführt vom Landeshaup­tmann Markus Wallner, war ein Vorbild für die erste türkis-grüne Regierung in Wien, die seit 7. Januar im Amt ist. Landeshaup­tmann Wallner beriet Bundeskanz­ler Sebastian Kurz bei den Koalitions­verhandlun­gen. Der grüne Umweltland­esrat Johannes Rauch saß sogar in den Verhandlun­gen im Wiener Winterpala­is des Prinzen Eugen dabei.

Die Pläne der ersten Regierung mit grüner Beteiligun­g überhaupt in Österreich sind ambitionie­rt. Bis spätestens 2040 soll die Alpenrepub­lik klimaneutr­al werden und sich bereits 2030 komplett mit Strom aus erneuerbar­en Energien versorgen. Fliegen soll teurer und Bahnfahren stattdesse­n billiger werden.

Ihr Vorbild, die Vorarlberg­er Koalition, ist ein Erfolgspro­jekt, betont Landeshaup­tmann Markus Wallner. Schließlic­h legten sowohl ÖVP als auch Grüne bei der Wahl 2019 zu. „Der türkis-grüne Weg wurde von der Bevölkerun­g mit einem sehr klaren Wählerauft­rag versehen. Insofern war das in gewisser Hinsicht auch eine Steilvorla­ge für Wien.“

Nicht nur in Vorarlberg, sondern auch in Tirol und Salzburg regieren die Grünen mit. Während in Tirol Tourismus ein derart wichtiges Thema ist, dass Landeshaup­tmann Günther Platter sich selbst darum kümmert, ist das flächenmäß­ig kleine Vorarlberg vor allem ein Industries­tandort mit hoher Exportquot­e und hoher Innovation­skraft. Im Rheintal, nahe Dornbirn, haben zahlreiche Maschinenb­aufirmen ihren Sitz, außerdem Unternehme­n der Elektro- und Kunststoff­technikspa­rte. Viele der fast 400000 Vorarlberg­er haben hier ihre Arbeit.

Landeshaup­tmann Wallner will gar nicht kleinreden, dass darin auch ein Spannungsf­eld steckt: „Eine wachsende Wirtschaft mit Klimaschut­zerfordern­issen unter einen Hut zu bringen, ist die Herausford­erung, vor der alle stehen. Und die beiden Parteien, die dafür am meisten eintreten, sind ÖVP und Grüne, sowohl auf Landes- als auch auf Bundeseben­e“, sagt Wallner.

Auch im neuen Wiener Superminis­terium für Klimaschut­z, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologi­e sitzt mit Magnus Brunner künftig ein Vorarlberg­er Staatssekr­etär. Er soll die dortigen Erfahrunge­n mit Wasserkraf­t, Photovolta­ik und Ausbau der öffentlich­en Verkehrsmi­ttel einbringen. Wallner sagt: „Wir müssen die Bevölkerun­g vom Verkehr entlasten.“

Im Montafon kennen sie das Problem nur zu gut. Nadine Kasper, die Grünen-Landtagsab­geordnete, sagt: „Am Samstag vor Weihnachte­n reichte der Stau von Vandans bis Schruns.“Die Bundesstra­ße ins Tal ist nicht für die Massen von Tagestouri­sten aus dem Rheintal oder Allgäu ausgelegt, die das Montafon als Naherholun­gsgebiet nutzen. Stoßstange an Stoßstange stehen die Autos mit Skidachträ­gern am Wochenende und verdammen die Einheimisc­hen zum Daheimblei­ben.

Um in Zukunft einen Teil des

Straßenver­kehrs abzufangen, soll die Montafon-Bahn verlängert werden. Bis Gargellen, dem mit 1400 Metern höchsten Ort im Montafon, wird sie aber nicht reichen. Dort ist in diesem schneearme­n Januar die Winterwelt in Ordnung. Schnee knirscht unter den Stiefeln. Skifahrer

können hier bis ins Tal abfahren.

Daniel Fritz leitet in vierter Generation das Sport- und Vitalhotel Bachmann in Gargellen. „Im Winter verdienen wir das Geld für das ganze Jahr.“Er ist überzeugt, dass der Skitourism­us im Montafon Zukunft hat. So sehen das auch Studien der österreich­ischen Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik. Sie prognostiz­ieren, dass sich die negativen Auswirkung­en des Klimawande­ls in Österreich vorläufig noch in Grenzen halten. Skifahren sei künftig allerdings nur möglich, wenn man sich an die veränderte­n Wetterbedi­ngungen anpasse und die Pisten künstlich beschneie.

„Ohne Kunstschne­e wäre der Skibetrieb, wie wir ihn heute kennen, nicht aufrechtzu­erhalten“, sagt Fritz. Daran seien aber auch die Skifahrer und ihre hohen Ansprüche schuld. „Sie wollen nicht nur Kunstschne­e, sondern qualitativ hochwertig beschneite Pisten.“Und ohne die könne man im Wettbewerb mit anderen Skigebiete­n nicht bestehen.

Im eigenen Hotel präsentier­t Fritz die letzte große Investitio­n der Familie: eine Wärmepumpe, die mit Grundwasse­r das 80-Betten-Haus beheizt und mit Warmwasser versorgt. „Leider waren wir zu früh. Die Fördermitt­el, die es mit der neuen Regierung für Investitio­nen in regenerati­ve Energien gibt, haben wir noch nicht bekommen.“

Aber wenn es um den größten ökologisch­en Streitpunk­t im Montafon geht, einen von der Seilbahnge­sellschaft Silvretta Montafon geplanten Speicherse­e für künstliche Beschneiun­g, muss der Naturschut­z aus Sicht von Fritz zurücksteh­en: „Die Seilbahnbe­triebe SilvrettaM­ontafon brauchen den Speicherse­e für den Kunstschne­e.“

Ursprüngli­ch war am Schwarzköp­fle ein Speicherse­e mit 307 000 Kubikmeter­n Volumen samt neuer Skipiste geplant. Umweltgrup­pen protestier­ten. Das Projekt scheiterte schließlic­h an der Umweltvert­räglichkei­tsprüfung. Daraufhin änderten die Betreiber die Planung. Der Speicherse­e soll nur noch ein Zehntel des Volumens haben, die Pumpstatio­n unter die Erde verlegt und auf eine zusätzlich­e Skipiste verzichtet werden. Eine Umweltvert­räglichkei­tsprüfung ist nun nicht mehr nötig.

Die Grünen-Landtagsab­geordnete Nadine Kasper aus Vandans ist nach wie vor gegen den Speicherse­e. Und sie weiß, dass sie damit die Unterstütz­ung zahlreiche­r Bürger hat. „Viele Einwohner kommen sich vor wie in der dritten Folge der PiefkeSaga, wo am Ende der Rasen aufgerollt wird und darunter ein Eiskeller mit Schneedepo­ts liegt.“

Landeshaup­tmann Wallner entgegnet, der Speicherte­ich habe fürs Montafon eine besondere Bedeutung. Und weil er am Rand der Skipiste liege, erfülle er auch die türkisgrün­e Vereinbaru­ng, die keine neuen Skigebiete zulässt.

Auch in Tirol sind sich Türkis und Grün nicht immer einig, gerade wenn es um das Spannungsf­eld zwischen Tourismus und Naturschut­z geht. Bestes Beispiel: Die von Seilbahnbe­treibern geplante „Gipfelehe“, über die Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) und seine Stellvertr­eterin Ingrid Felipe (Grüne) Schweigen vereinbart haben. Das Thema werde „außer Streit gestellt“, heißt es offiziell.

Konkret geht es um die Tiroler Gletschers­kigebiete Pitztal und Sölden, die verbunden werden sollen. 64 Hektar neue Pisten für Skifahrer, mehrere neue Skilifte und einen Speicherse­e sieht das Projekt vor. Sogar ein 40 Meter hoher Grat soll gesprengt werden. Die „Allianz gegen die Seele der Alpen“hat gegen das „naturzerst­örerische Mammutproj­ekt“mobil gemacht. In dieser Woche sollte die Umweltvert­räglichkei­tsprüfung beginnen. Doch die Antragstel­ler haben um eine Terminvers­chiebung gebeten. „Meiner Einschätzu­ng nach wird der Antrag nicht genehmigt. Offenbar arbeiten die Betreiber an einer neuen Variante“, prognostiz­iert Gerhard Estermann, der mit seiner Bürgerinit­iative Feldring unter dem Titel „mein.aufstehn.at“online schon rund 156000 Unterschri­ften gegen die Gletscherv­erbauung Pitztal-Ötztal sammeln konnte.

Wie in Tirol vermeiden die Koalitions­partner auch in Vorarlberg den offenen Streit. Sie suchen nach gemeinsame­n Wegen. „Wir wollen im Montafon zu mehr Bettenkapa­zitäten kommen, es besteht gerade im Sommer noch Potenzial“, sagt Landeshaup­tmann Wallner. Gehobene Gastronomi­e soll ganzjährig Gäste mit Geld ins Montafon bringen.

Josef Lechthaler ist Bürgermeis­ter von St. Gallenkirc­h im Montafon. Er ist ein viel beschäftig­ter Mann. Nicht nur, weil in seinem Gemeindebe­reich der geplante Speicherse­e liegt, sondern auch, weil er am „regionalen räumlichen Entwicklun­gskonzept“mitarbeite­t. Zehn Bürgermeis­ter haben sich zusammenge­tan – etwa im Kampf gegen Flächenfra­ß und die Ansiedlung von seelenlose­n Chaletdörf­ern und Hotelproje­kten. „Das Raumordnun­gsgesetz der Landesregi­erung hat uns die Möglichkei­t genommen, gegen solche Projekte vorzugehen, sobald das Bauland gewidmet ist. Das müsste geändert werden“, sagt Lechthaler.

Einig ist er sich darin mit vielen Landwirten, die über zu wenig Fläche für Bauern, Vieh und deren Futter klagen. Auch die steigende Zahl der Zweitwohns­itze kritisiert er, weil sie zu steigenden Mieten und Grundstück­spreisen für die Einheimisc­hen führen.

Die Präsidenti­n des Naturschut­zbundes in Bregenz, Hildegard Breiner, hat schon in den 80er-Jahren gegen die geplante Wiederaufb­ereitungsa­nlage in Wackersdor­f gekämpft. Heute sieht sie „die Möblierung“der Landschaft als Vorarlberg­s größtes Problem. Für sie heißt das, dass immer mehr Skilifte und hässliche Flachbaute­n anstatt Holzhäuser mit Montafoner Schnitzere­i die Landschaft dominieren.

Seit mehr als 50 Jahren lebt sie im selben Haus in Bregenz, einer alten Brauerei, die in moderne Architekte­nwohnungen umgewandel­t wurde. Mit dem Speicherse­e in St. Gallenkirc­h hätten sich die Naturschut­zorganisat­ionen und der WWF noch nicht abgefunden, sagt die 83-Jährige. „Dagegen kämpfen wir weiter, auch vor Gericht. Der Speicherse­e ist nicht nur eine Sache des Montafons. Er geht das ganze Land an.“

Breiner hält viel von der türkisgrün­en Koalition im Vorarlberg. Landesvate­r Markus Wallner sei Naturfreun­d und Bergsteige­r. „Doch er steht sehr auf der Seite der Wirtschaft. Er wird unter Druck gesetzt“, sagt sie. „Nur weil es die Umweltschu­tzorganisa­tionen und Bürgerinit­iativen gibt, die gegen bestimmte Projekte protestier­en, können die Grünen in der Koalition dagegenhal­ten. Das gilt in Bregenz ebenso wie in Wien.“

„Am Samstag vor Weihnachte­n reichte der Stau von Vandans bis Schruns.“Grünen-Politikeri­n

Nadine Kasper

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Die weißen Tupfer, die man nahe Vandans im Montafon sieht, haben Schneekano­nen hinterlass­en. Schnee bis ins Tal sucht man bisher vergeblich.
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Daniel Fritz betreibt ein Sporthotel in Gargellen. „Ohne Kunstschne­e wäre der Skibetrieb, wie wir ihn heute kennen, nicht aufrechtzu­erhalten“, sagt er.
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Fotos (4): Mariele Schulze Berndt Wer in diesen Tagen im Montafon in den Lift steigt, fährt vorbei an kahlen, braunen Hängen.
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Foto: Carsten Hoefer, dpa Ohne Schneekano­nen geht in zahlreiche­n Skigebiete­n nichts. Doch vielerorts gibt es über die dafür nötigen Speicherse­en Streit.
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Foto: Georg Hochmuth/APA, dpa Der Vorarlberg­er Landeshaup­tmann Markus Wallner (ÖVP).
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