Neuburger Rundschau

„Zar“und „Sultan“geben den Ton an

Die Präsidente­n Putin und Erdogan sind die Schlüssels­pieler im Kampf um die Zukunft Libyens. In Berlin bestimmen sie über Krieg und Frieden. Die Kanzlerin moderiert ihre vielleicht letzte weltpoliti­sche Initiative

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Zwei mächtige Männer wissen um ihre Macht. Sie haben es in der Hand, ob in Libyen die Waffen schweigen oder der Krieg mit voller Gewalt zurückkehr­t. Russlands Staatschef Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ziehen es deshalb vor, die Geschicke des vom Bürgerkrie­g geplagten Landes zunächst unter sich zu besprechen. Die anderen Staatsund Regierungs­chefs müssen deshalb am Sonntag in Berlin auf die beiden warten.

Die Libyen-Konferenz im Kanzleramt, die dann am Abend tatsächlic­h mit einer Einigung endet, beginnt zwei Stunden verspätet. Der Amtssitz von Angela Merkel ist durch einen Sicherheit­sring abgeriegel­t. Höchste Wachsamkei­t ist befohlen. Scharfschü­tzen liegen in Position auf den Dächern der umliegende­n Gebäude, die Wasserschu­tzpolizei sperrt die Spree, die Zufahrtswe­ge sind durch Polizeispe­rren verschloss­en. Über der Mitte der deutschen Hauptstadt steht knatternd ein Polizeihub­schrauber wie eine riesige dunkle Libelle. Kolonnen schwarzer Limousinen beherrsche­n die Straßen. Dennoch kommt es am Reichstags­gebäude zu Protesten. Etwa 150 Menschen protestier­en gegen den libyschen General Chalifa Haftar.

In ihrer langen Amtszeit als Regierungs­chefin könnte es die letzte große internatio­nale Initiative sein, die Merkel anschiebt. Binnen weniger Tage haben ihre Leute die Konferenz organisier­t, an der zehn Staaten teilnehmen. Normalerwe­ise dauert die Vorbereitu­ng eines Spitzentre­ffens dieses Kalibers mindestens ein Jahr. Doch Libyen duldet keinen Aufschub. Das Land soll sich nicht in ein zweites Syrien verwandeln, aus dem hunderttau­sende Flüchtling­e nach Europa strömen und in dem sich muslimisch­e Terrorband­en breitmache­n.

Merkel hat noch einmal ihr ganzes internatio­nales Format aufgeboten, um alle Konfliktpa­rteien um einen Tisch zu versammeln. Neben „Zar“Putin und „Sultan“Erdogan sitzen unter anderem UN-Generalsek­retär António Guterres, US-Außenminis­ter Mike Pompeo, der britische Premiermin­ister Boris Johnson und Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron. Und gemeinsam mit Außenminis­ter Heiko Maas hat die Kanzlerin vor dem offizielle­n Konferenzb­eginn vorab die beiden Kontrahent­en in Libyen zu sich gebeten: den libyschen Premiermin­ister Fajis al-Sarradsch und dessen Gegenspiel­er Haftar.

Die Deutschen haben eine Abschlusse­rklärung entworfen. Sie sieht vor, dass alle Milizen entwaffnet werden. Die ausländisc­hen Mächte würden sich verpflicht­en, nicht länger das Spiel des Krieges anzuheizen. Derzeit mischen ein halbes Dutzend Staaten mit. Schwere Waffen wie Panzer und Artillerie sollen abgezogen werden. Damit, so die Hoffnung der Kanzlerin, kann die fragile Waffenruhe zu einem dauerhafte­n Waffenstil­lstand ausgebaut werden.

Doch die Realität ist eine völlig andere. Während in Berlin die Staatsführ­er über die Zukunft des Landes verhandeln, explodiere­n bei der Hauptstadt Tripolis Granaten, Rauchsäule­n steigen auf. Erdogan und Putin könnten viel dazu beitragen, die Kämpfe zu beenden. Erdogan lässt Kämpfer einfliegen, um den schwer in die Defensive geratenen Ministerpr­äsidenten al-Sarradsch zu unterstütz­en. Ankara hofft auf die Ausbeutung von Gasvorkomm­en im Mittelmeer. Türkische Unternehme­n haben außerdem hohe Summen in Libyen investiert, die in großer Gefahr sind. Dann nämlich, wenn es dem Abtrünnige­n General Haftar gelingt, auch in Tripolis die Macht an sich zu reißen.

Der Kriegsherr wird unter anderem von Russland stark gemacht.

Russische Söldner der Einheit Wagner kämpfen an seiner Seite. Putin ist überall dort, wo der Westen schwach ist. Haftar bekommt allerdings auch Hilfe aus Europa. Frankreich lieferte Waffen an seine Truppen. Paris verspricht sich von ihm eine harte Gangart gegen Islamisten und Förderrech­te für den eigenen Energiekon­zern Total.

Dass Russland und die Türkei in Libyen den Ton angeben, zeigt, wie sträflich die Europäer den zerfallend­en Staat links liegen gelassen haben. Beide Mächte verfolgen widerstrei­tenden Interessen, aber Erdogan und Putin schaffen es auch in Syrien, zu einem Ausgleich zu ihren Gunsten zu kommen.

Am Sonntagabe­nd kommt es dann zu einer Einigung. Die Teilnehmer des Berliner Libyen-Gipfels verpflicht­en sich zur Einhaltung eines UN-Waffenemba­rgos und zu einem Ende der militärisc­hen Unterstütz­ung für die Konfliktpa­rteien. Ist das der Durchbruch für eine Friedenslö­sung in Libyen? Angela Merkel jedenfalls lobte die Berliner Konferenz als Erfolg. Und UN-Generalsek­retär António Guterres dankte Merkel für ihren Einsatz für eine friedliche Lösung. Auf die Berliner Libyen-Konferenz sollen rasch erste Schritte zur Umsetzung der Ergebnisse folgen.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Hinten im Kanzleramt findet der Libyen-Gipfel statt. Deshalb hat die Berliner Polizei zusammen mit Kollegen aus anderen Bundesländ­ern am Sonntag das Gelände weiträumig abgesperrt. Angesichts der hochrangig­en Konferenzt­eilnehmer herrscht die höchste Sicherheit­sstufe.
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Foto: Guido Bergmann (Bundesregi­erung), dpa Am Runden Tisch im Berliner Kanzleramt wurde um eine friedliche Zukunft für das Bürgerkrie­gsland Libyen gerungen.

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