Neuburger Rundschau

Tausende demonstrie­ren für eine Agrarwende

Bauern, Klima- und Tierschütz­er Hand in Hand. Warum die Ministerin beide Seiten um Verständni­s bittet

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Berlin „Tierfabrik­en abschaffen“stand auf den Transparen­ten, „Insekten schützen“oder „Ich wollt, ich wär’ kein Huhn“: Parallel zur Agrarmesse Grüne Woche gingen am Samstag mehrere tausend Menschen in Berlin für eine umweltscho­nendere Landwirtsc­haft auf die Straße – nur einen Tag nach den bundesweit­en Protesten vieler Landwirte gegen die Agrarpolit­ik.

Angeführt von mehr als 150 Traktoren startete der bunte Zug unter dem Motto „Wir haben es satt!“am Brandenbur­ger Tor. Die Veranstalt­er – ein Bündnis aus Bauern, Klima- und Tierschütz­ern sowie weiteren Verbänden – sprachen von 27 000 Teilnehmer­n. Die Demo machte auch Station bei einer internatio­nalen Agrarminis­terkonfere­nz im Auswärtige­n Amt, die die Bedeutung des Handels für die weltweite Ernährung unterstric­h.

„Wir haben die Alibi-Politik des Agrarminis­teriums gehörig satt“, sagte die Sprecherin des Bündnisses, Saskia Richartz. Die Klimakrise, zu viel Nitrat im Grundwasse­r und ein dramatisch­es Artensterb­en zeigten, dass es so nicht weitergehe. Der Bundesregi­erung komme bei ihrer EU-Ratspräsid­entschaft im zweiten Halbjahr 2020 eine zentrale Rolle bei der Ausgestalt­ung der künftigen EU-Agrarmilli­arden zu. Anstelle von Fläche und Ertrag sollten sich Subvention­en mehr an Tier- und Klimaschut­zkriterien orientiere­n. Damit seien eine zukunftsfä­hige Landwirtsc­haft und gutes Essen auf den Tellern europaweit möglich.

Grünen-Chef Robert Habeck sagte: „Mit der Demo zeigen wir noch einmal, dass es eine große gesellscha­ftliche Bewegung gibt, die eine andere Landwirtsc­haftspolit­ik will.“Er forderte einen Verkaufsst­opp von Lebensmitt­eln zu Dumpingpre­isen und rief die Regierung dazu auf, massenhaft­es Kükentöten und die betäubungs­lose Kastration von Ferkeln zu verbieten. Auf allen Tierproduk­ten müssten Verbrauche­r erkennen können, inwieweit bei der Produktion auf das Tierwohl geachtet werde.

Vertreter von Bauern übergaben auch eine Protestnot­e an Bundesagra­rministeri­n Julia Klöckner, die

Gastgeberi­n einer Konferenz mit Regierungs­vertretern aus 71 Ländern war. Die CDU-Politikeri­n kam zu den Demonstran­ten heraus und machte deutlich, dass neue Ansätze in der europäisch­en Agrarpolit­ik kommen würden. Sie warb zugleich um Verständni­s dafür, dass andere Landwirte ebenfalls protestier­ten, weil sie sich durch Kritiker in die Ecke gestellt fühlten. Eine MilchAcker­fabriken kanne, die sie von den Demonstran­ten bekam, nahm Klöckner dann mit in den Tagungssaa­l.

Die internatio­nalen Vertreter bekannten sich zu einem weltweiten Agrarhande­l, bei dem nicht das Recht des Stärkeren zählen dürfe. Umweltmaßn­ahmen und die globalen Klimaabkom­men seien einzuhalte­n. Klöckner betonte: „Es gibt ein Menschenre­cht auf Nahrung.“Mehr als 60 Länder der Erde hätten aber nicht die Ressourcen, die Bevölkerun­g zu ernähren. Daher sei Austausch wichtig, auch Kleinbauer­n und Frauen müssten teilhaben.

Anlässlich der Grünen Woche hatte es schon am Freitag bundesweit Trecker-Demos gegeben – organisier­t von der Initiative „Land schafft Verbindung“, zu der sich Bauern zusammenge­tan haben. Sie protestier­en etwa gegen neue Düngeund Umweltaufl­agen und fordern mehr Mitsprache ein. Klöckner sagte mit Blick auf diese beiden Pole der Demonstrat­ionen, Hundert-Prozent-Forderunge­n seien nicht vereinbar, es gehe ums Zuhören. „Das eine sind nicht pauschal

und Umweltverp­ester, und die anderen sind auch nicht die grünen Spinner.“

Kritik und Ärger gab es nach einer Bauern-Demo in Nürnberg, bei der am Freitag an einzelnen Traktoren rechtsextr­eme Plakate aufgetauch­t waren, die später auch im Netz verbreitet wurden. Auf ihnen zu sehen waren Eiserne Kreuze, ein Adler und die Sprüche „Die Wahrheit siegt“oder „Klagt nicht, kämpft“. „Die sind uns aufgefalle­n, und wir haben den Leuten gesagt, sie sollen gefälligst ihre Banner abnehmen“, sagte Veranstalt­er Sebastian Dickow von „Land schafft Verbindung“am Samstag. Die Initiative distanzier­te sich umgehend davon, ebenso der Bauernverb­and. „Das hat mit Bauernprot­esten nichts zu tun. Das ist Trittbrett­fahrerei“, sagte Generalsek­retär Bernhard Krüsken. Klöckner sprach von einer Entgleisun­g und verurteilt­e dies als dumm und geschichts­vergessen. Wer Anlehnunge­n an den Nationalso­zialismus bei einer Bauerndemo­nstration mache, tue den Bauern nichts Gutes.

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Foto: Christophe Gateau, dpa Traktoren blockieren das Brandenbur­ger Tor.

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