Neuburger Rundschau

Detektiv schleust sich in Callcenter-Mafia ein

Betrüger ergaunern mit dem Falschen-Polizisten-Trick jedes Jahr Millionen. Der Augsburger Privatermi­ttler Tamer Bakiner ist jetzt in die Türkei gereist, um dort eine Bande zu überführen. Was er erlebt hat und warum er jetzt Angst hat

- VON MARIA HEINRICH

Augsburg Tamer Bakiners Geschichte erzählt sich wie ein Spionage-Thriller. Der Augsburger Detektiv reist illegal mit Schleusern in die Türkei, um dort eine kriminelle Bande zu überführen. Er kreiert eine neue Identität, lernt die Hintermänn­er kennen und überführt sie, nachdem er einen Monat lang undercover recherchie­rt hat. Er erzählt: „Meine Kunst ist es, das Vertrauen der Täter zu gewinnen. Wenn ich nach ihren Regeln spiele, dann tanzen sie irgendwann nach meiner Pfeife.“

Der Krimi um Tamer Bakiner beginnt in Deutschlan­d. Der 47-jährige Deutsch-Türke arbeitet seit 25 Jahren als Privatermi­ttler und betreibt ein Beratungsu­nternehmen für Firmen in Augsburg. Dort stellt er fest, dass immer mehr Menschen Opfer von Betrügern werden, die sich am Telefon als Polizisten ausgeben, um an Geld oder Wertsachen zu kommen. „Da kam mir die Idee, zu recherchie­ren und so einen Fall aufzudecke­n.“Bakiner beginnt in deutschen Callcenter­n zu recherchie­ren. Er will lernen, wie die Stimmlage sein muss, wie er am Telefon klingen muss, wie er zu den Menschen sprechen soll und wie er deren Interesse erweckt. Nachdem er alle Informatio­nen zusammen hat, erschafft er eine neue Identität.

war ein Schwerstkr­imineller auf der Flucht aus Deutschlan­d, auf der Suche nach viel Geld, ohne Papiere. Genau das Profil, das bei den Tätern gut ankommt.“

Bakiner reist illegal nach Griechenla­nd, über Schlepper schafft er es in die Türkei. Dort bewirbt er sich bei verschiede­nen Callcenter­n, streut seine Geschichte. Dann kommt der Anruf, auf den er gewartet hat. Die Betrüger mit der Falsche-Polizisten­Masche, nach denen Bakiner sucht, wollen sich mit ihm treffen. Alles funktionie­rt, die Männer nehmen ihm seine Geschichte ab. „Meine Kunst ist es, dass ich meine Legende gut spielen kann und so das Vertrauen der Menschen gewinne.“Angst hat er währenddes­sen keine. „Sie wäre mein größter Feind. Sobald Angst da wäre, wäre alles vorbei.“Bakiner wird in das Callcenter eingeladen. Es ist ein Büro bei einem der Täter zu Hause. Die Männer, alles Deutsch-Türken mit kriminelle­r Vergangenh­eit, sind eine feste Gruppe. „Deshalb ist es so schwer, da reinzukomm­en.“Immer wieder wird er bedroht und gefragt, ob er ein Spitzel sei.

Zwei Tage später erlebt er einen

Betrüger-Anruf hautnah mit. „Das ist mir echt schwergefa­llen, mitanzuseh­en, wie eine Frau reingelegt wurde. Aber ich durfte mir nichts anmerken lassen.“Die Betrüger setzen ihr Opfer unter Druck, schüchtern es ein und manipulier­en es – so lange, bis die Frau völlig eingeschüc­htert ist und sich auf die heimtückis­che Masche einlässt. Bakiner gelingt es, alle Vorfälle mit versteckte­r Kamera zu filmen. Der Augsburger reist wieder zurück nach Deutschlan­d, übergibt seine Informatio­nen an das Landeskrim­inalamt (LKA). Jetzt ermitteln die Beamten gegen die Drahtziehe­r in der Türkei. In Deutschlan­d gab es bisher sogar einige Festnahmen. „Absolut skrupellos­e Typen sind das!“, erzählt Bakiner. „Anfangs ist es sehr schwer, man muss schon aufpassen, dass man nicht auffällt. Nach einiger Zeit in der Rolle wurde ich aber immer sicherer. Aber heute habe ich trotzdem Angst vor den Konsequenz­en. Ich bin eine geschützte Person.“Wie genau es mit dem Fall weitergeht, durfte er im Gespräch mit unserer Redaktion nicht verraten. Denn am Montag zeigt RTL in einer Sondersend­ung die ganze Geschichte. Mit dem Titel: „Vorsicht – Falsche Polizisten!“

Es ist ein Thema, das immer mehr Menschen in Deutschlan­d betrifft. Nach Angaben des Landeskrim­inalamtes (LKA) haben solche Betrü„Ich ger-Anrufe seit Mitte 2016 massiv zugenommen. 2013 wurden dem LKA zufolge 49 Anrufe und sieben vollendete Taten in Bayern gezählt. 2018 waren es bereits 4235 Taten. 97 Mal waren die Täter erfolgreic­h und erbeuteten mehr als 4,7 Millionen Euro. Zum Vergleich: Vor sieben Jahren waren es nur rund 35 000 Euro.

Doch wie genau funktionie­rt eigentlich diese Masche? Es ist in der Regel die gleiche Strategie. Das Telefon klingelt, auf dem Display steht „110“oder die Nummer des örtlichen Polizeiprä­sidiums. Der Anrufer

gibt sich als Polizist, als Kommissar oder als Staatsanwa­lt aus. Eindrückli­ch warnt er sein Opfer vor verschiede­nen bedrohlich­en Szenarien. Es gibt zum Beispiel einen verdächtig­en Bankmitarb­eiter, der unter Betrugsver­dacht steht. Oder um eine Diebesband­e, die geplant hat, in die Wohnung einzubrech­en. Die einzige Lösung scheint: Das Geld oder die Wertsachen müssen von der Bank geholt oder aus der Wohnung geschafft und in Sicherheit gebracht werden. Die Opfer solcher Betrüger-Anrufer sind oft verunsiche­rt, wissen nicht mehr, was sie glauben sollen – und lassen sich tatsächlic­h auf die Masche ein. Viele von ihnen gehen zur Bank, heben ihr Erspartes ab und deponieren es an einem Ort, wo die falschen Polizisten dann zuschlagen.

Die Masche mit den falschen Polizisten reiht sich ein in Betrügerei­en wie den Enkeltrick, den Schockanru­f oder das Gewinnvers­prechen, vor denen die Polizei in Deutschlan­d seit vielen Jahren warnt. Doch dem LKA zufolge gehen die Täter immer trickreich­er und perfider vor. Die angebliche­n Polizisten telefonier­en von ihren Callcenter­n in der Türkei aus systematis­ch Deutschlan­d durch und suchen im Telefonbuc­h gezielt nach Personen mit altmodisch klingenden Namen. Eine falsche Telefonnum­mer besorgen sich die Täter im Internet. Dieses Vorgehen nennt sich „Call ID Spoofing“, was so viel bedeutet wie „Telefonnum­mer fälschen“. Die Methode ist dem LKA zufolge erschrecke­nd einfach. Es gibt Seiten im Internet und Apps für das Smartphone, über die sich die Betrüger ihre Wunschtele­fonnummer besorgen können. Die Server stehen im Ausland, deshalb kann die Polizei nicht zurückverf­olgen, wer hinter dem Anruf steckt.

Viele Opfer heben ihr ganzes Erspartes ab

O Informatio­n Wer sich für die Fälle von Tamer Bakiner interessie­rt, findet einen weiteren Fall in seinem Buch „Das gestohlene Kind“.

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Tamer Bakiner

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