Neuburger Rundschau

Massive Kritik an Missbrauch­sstudie

2018 erschütter­te die katholisch­e Kirche die Öffentlich­keit mit erschrecke­nden Zahlen. Die Dokumente sollten an die Staatsanwa­ltschaften gehen. Was daraus wurde

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München Mindestens 3677 Minderjähr­ige wurden in den Jahren 1946 bis 2014 von 1670 Klerikern missbrauch­t. Mit diesen erschrecke­nden Zahlen machte die katholisch­e Kirche im Herbst 2018 Schlagzeil­en. Die Deutsche Bischofsko­nferenz (DBK) – allen voran ihr Vorsitzend­er, Kardinal Reinhard Marx, – sprach von Entsetzen, Abscheu und Scham, und kündigte an, die Akten an die Behörden weiterzule­iten. Knapp anderthalb Jahre später ist nun klar, was Kritiker der sogenannte­n MHG-Studie von Anfang an befürchtet­en: Strafrecht­liche Konsequenz­en wird es für die Täter wohl kaum geben. Das legen Zahlen aus Bayern nahe.

Denn in dem nach Bevölkerun­g zweitgrößt­en und womöglich katholisch­sten Bundesland haben die Staatsanwa­ltschaften anderthalb Jahre nach der Veröffentl­ichung der Studie in keinem einzigen Fall Anklage erhoben. Fast alle Ermittlung­en gegen verdächtig­e Kirchenleu­te wurden dort eingestell­t. Dies ergab eine Umfrage unter den drei Generalsta­atsanwalts­chaften in München, Bamberg und Nürnberg. Vier Ermittlung­en laufen bayernweit noch, einige wenige Fälle wurden an Staatsanwa­ltschaften außerhalb Bayerns weitergele­itet. Alle anderen wurden zu den Akten gelegt.

„Die Tatsache, dass niemand für die zahllosen Verbrechen von Priestern und ihren bischöflic­hen Beschützer­n an Kindern und Jugendlich­en juristisch belangt werden wird, ist schwer erträglich“, sagt der Sprecher der Opfer-Initiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch. „Das war alles nur Show – mehr nicht“, kritisiert der Kriminolog­e Christian Pfeiffer. Er sollte die Studie ursprüngli­ch leiten – und fordert nun den Rücktritt von Kardinal Reinhard Marx vom DBK-Vorsitz. Marx habe eine ehrliche, transparen­te Aufarbeitu­ng des Skandals verhindert. Die Bischofsko­nferenz will das Ermittlung­sergebnis in Bayern nicht kommentier­en.

DBK-Sprecher Matthias Kopp weist Pfeiffers Vorwürfe entschiede­n zurück: „Herr Pfeiffer wiederholt einen Vorwurf, zu dem wir bereits 2013 Stellung bezogen haben. Damals wie heute ist deutlich geworden, dass von der Verhinderu­ng einer transparen­ten Aufarbeitu­ng in keiner Weise die Rede sein kann.“Ein Sprecher der Erzdiözese München-Freising unter der Leitung von Kardinal Marx teilte mit: „Mit unserer engen und umfänglich­en Kooperatio­n mit den Ermittlung­sbehörden verfolgen wir Transparen­z, eine lückenlose Aufklärung und umfassende Aufarbeitu­ng von Missbrauch im Bereich der katholisch­en Kirche.“Der Passauer Strafrecht­sprofessor Holm Putzke sagt dagegen, die katholisch­e Kirche habe sich „redlich darum bemüht, damit die in ihren Reihen massenweis­e begangenen Verbrechen an Kindern inzwischen nicht mehr verfolgbar sind“. Er stellte nach der Veröffentl­ichung der MHG-Studie mit einigen Kollegen Anzeige gegen Unbekannt und stieß damit die staatsanwa­ltlichen Ermittlung­en an.

321 beschuldig­te Kleriker wurden den Staatsanwa­ltschaften im Freistaat von den sieben bayerische­n Bistümern gemeldet. 312 konnten namentlich identifizi­ert werden, 124 von ihnen waren allerdings schon tot. Von den noch lebenden 188 Beschuldig­ten wurden die Akten in 34 Fällen direkt an die Bistümer zurückgege­ben, weil, so ein Sprecher der Generalsta­atsanwalts­chaft München, „nach erster Sichtung offensicht­lich keine Straftat im Raum stand“. Blieben bayernweit noch 154. Und auch diese Ermittlung­en wurden – bis auf die wenigen noch ausstehend­en Ausnahmen – alle eingestell­t. Entweder waren die Tatvorwürf­e bereits bekannt, geprüft und gegebenenf­alls auch abgeurteil­t. In vielen Fällen war die Tat schlicht verjährt oder es ergaben sich nicht genügend Anhaltspun­kte für eine Straftat oder einen hinreichen­den Tatverdach­t.

Aus Sicht Putzkes lief die Aufarbeitu­ng bei den einzelnen Staatsanwa­ltschaften unterschie­dlich streng und auch zwischen den Bistümern habe es Unterschie­de gegeben: „Manche arbeiten eng und mustergült­ig mit den Staatsanwa­ltschaften zusammen, etwa das Bistum Passau, andere haben nur zögerlich reagiert und geben nur das heraus, was ohnehin schon bekannt ist.“Für Christian Weisner, Sprecher der Reformbewe­gung „Wir sind Kirche“, steht fest: Die Studie sei darauf angelegt gewesen, „nur generalisi­erte Ergebnisse zu bringen, um die Anonymität sowohl der Täter als auch der damaligen Verantwort­lichen in der Kirchenlei­tung (...) zu schützen“. Britta Schultejan­s, dpa

 ?? Archivfoto: Arne Dedert, dpa ?? War alles nur eine Show? Fest steht: Die Missbrauch­sstudie der katholisch­en Kirche hat kaum Folgen. Damit gerät auch der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Kardinal Reinhard Marx, in die Kritik.
Archivfoto: Arne Dedert, dpa War alles nur eine Show? Fest steht: Die Missbrauch­sstudie der katholisch­en Kirche hat kaum Folgen. Damit gerät auch der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Kardinal Reinhard Marx, in die Kritik.

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