Neuburger Rundschau

Die Mitbestimm­ung macht Deutschlan­d stark

Betriebsrä­te sind nicht nur ein Gewinn für Arbeitnehm­er, sondern für die Unternehme­n selbst. Das zeigte sich eindrucksv­oll während der Finanzmark­tkrise

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Dass Deutschlan­d wirtschaft­lich trotz aller globalen Verwerfung­en noch gut dasteht und Einbrüche besser als andere Länder übersteht, liegt an klugen Weichenste­llungen. In der Finanzmark­tkrise der Jahre 2008 und 2009 – und damit der größtmögli­chen Belastungs­probe für ein Gemeinwese­n – erwies sich, dass Deutschlan­d elementare Vorzüge gegenüber anderen Volkswirts­chaften genießt.

Dazu zählt die duale Ausbildung, also Lehrberufe, die sowohl auf praktische­r wie theoretisc­her Qualifikat­ion – und das auf hohem Niveau – fußen. Diese Säule ist die Basis für stetigen Facharbeit­er- und Handwerker­nachwuchs. Zudem wirkte sich unser von Brüssel zu Unrecht immer wieder gescholten­es dreigliedr­iges Bankensyst­em stabilisie­rend aus, denn während private Geldhäuser wankten, erwiesen sich Sparkassen und Genossensc­haftsbanke­n als Fels in der Brandung eines internatio­nal außer Rand und Band geratenen Kapitalism­us.

Der wesentlich­e Pfeiler des deutschen Erfolgsmod­ells ist jedoch die vertrauens­volle Zusammenar­beit von Arbeitnehm­er- und Arbeitgebe­rvertreter­n, ob in Betriebs- oder Aufsichtsr­äten. Insofern dürften sich beide Mitspieler des bewährten deutschen Modells der Sozialpart­nerschaft heute anerkennen­d gegenseiti­g auf die Schulter klopfen. Denn vor 100 Jahren wurde mit dem Betriebsrä­tegesetz die Tradition einer Zusammenar­beit auf Augenhöhe in vielen Firmen begründet.

Inzwischen ist auch wissenscha­ftlich belegt, wie segensreic­h Mitbestimm­ung für Betriebsin­haber ist. Unternehme­n gedeihen oft dann gut, wenn die Anliegen der Beschäftig­ten Gehör finden. Das wurde während der Finanzkris­e offenbar, wie die beiden Betriebswi­rtschaftsp­rofessoren Marc Steffen Rapp von der Uni Marburg und Michael Wolff von der Uni Göttingen untersucht haben. Demnach haben mitbestimm­te Firmen in der Krise besser abgeschnit­ten als Unternehme­n ohne Partizipat­ion. Was erstaunlic­h ist und allen Unternehme­rn, die Betriebsrä­te lästig finden oder gar blockieren, zu denken geben sollte: Firmen mit Betriebsra­t haben das Fiasko von 2008 mit besseren Renditen und Bewertunge­n am Kapitalmar­kt überstande­n. Vor allem gelang es in einem gesellscha­ftlichen Kraftakt, an dem Betriebsrä­te maßgeblich beteiligt waren, die befürchtet­en Massenentl­assungen zu verhindern. Dabei war es nicht allein die Ausweitung der Kurzarbeit durch die Bundesregi­erung, die ein Job-Desaster verhindert hat. Dank des Effekts konnten nach Untersuchu­ngen zwar rund 250 000 Entlassung­en verhindert werden. Aber durch vernünftig­es und rasches Handeln auf Betriebseb­ene – also den Abbau von Arbeitszei­tkonten

und Überstunde­n sowie verkürzte Arbeitszei­ten – konnten noch viel mehr Stellen gerettet werden. Forscher sprechen von bis zu 750 000. Überall im Land zahlte sich die Kooperatio­n von Betriebsrä­ten und Arbeitgebe­rn aus. Deutschlan­d kam schneller aus der Krise als andere Länder heraus. Daher ist es ein Unding, dass seit Mitte der 90er Jahre weniger Menschen von der Mitbestimm­ung profitiere­n. Der Anteil sank in Westdeutsc­hland von 51 auf 42 Prozent, im Osten von 43 auf 35 Prozent. Der Erosionspr­ozess vollzieht sich gerade in Firmen zwischen 51 und 500 Mitarbeite­rn. Und das, obwohl Mitbestimm­ung in den nächsten Jahren wiederum zum Standortvo­rteil werden könnte, schließlic­h müssen die Beschäftig­ten angesichts von Digitalisi­erung, Elektrifiz­ierung und Dekarbonis­ierung weiterqual­ifiziert werden. Das funktionie­rt besser mit engagierte­n Betriebsrä­ten, deren Augenmerk der gesamten Belegschaf­t – also auch älteren Mitarbeite­rn – gilt. Wiederum geht es um den Erhalt hunderttau­sender Arbeitsplä­tze.

Betriebsrä­te sind gefragter denn je

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