Neuburger Rundschau

Kann es Ramelow auch ohne Mehrheit?

Am Mittwoch entscheide­t der Landtag in Thüringen, ob der Ministerpr­äsident von der Linken weiterregi­eren kann. Alles deutet auf eine Minderheit­sregierung hin

- VON SIMON KAMINSKI

Erfurt Geht es nach Beliebthei­tswerten, dann wäre völlig klar, dass Bodo Ramelow auch in Zukunft Ministerpr­äsident des Freistaats Thüringen ist. Doch so funktionie­rt Demokratie nicht – oder besser gesagt, nicht immer. Denn dem 63-Jährigen, der 2014 als erster Linken-Politiker an die Spitze eines Bundesland­es gewählt wurde, fehlt im Parlament eine Mehrheit. So ist in Thüringen nach der Wahl am 27. Oktober eine Situation entstanden, die man – je nach Sichtweise – als bedenklich instabil oder aber als spannendes politische­s Experiment bezeichnen könnte.

Und so sieht die Versuchsan­ordnung für den Tagesordnu­ngspunkt „Wahl eines Ministerpr­äsidenten“am Mittwoch aus: Keiner rechnet damit, dass Ramelow eine erforderli­che absolute Mehrheit in den ersten beiden Wahlgängen erreicht. Schließlic­h kommt das Bündnis aus Linken, SPD und Grünen auf lediglich 42 Sitze – vier weniger als die absolute Mehrheit. Am Allerwenig­sten dafür verantwort­lich ist die Linke selber, die ihr Ergebnis von 2014 mit nun 31 Prozent noch um fast drei Prozent verbessern konnte. ist der Absturz der SPD auf nur noch 8,2 Prozent, der dem Bündnis die Mehrheit gekostet hat.

Wie sehen die Alternativ­en aus? Die Linke könnte bequem mit der CDU koalieren, obwohl die Union von den Wählern abgestraft wurde und mit nun 21,7 Prozent 11,8 Prozentpun­kte weniger auf dem Konto hat als 2014. Doch zarte Überlegung­en in Richtung einer solchen Partie wurden mit dem Verweis auf den CDU-Parteitags­beschluss, der Bündnisse mit den Linken kategorisc­h ausschließ­t, vom Tisch gefegt. Die AfD bleibt ein Paria im Parlament, auch wenn es in Teilen der CDU durchaus die Bereitscha­ft gibt, auf die rechtspopu­listische Partei zuzugehen. Allerdings gilt die Thüringer AfD von Parteichef Björn Höcke als besonders radikal.

Aus dieser Arithmetik hat Bodo Ramelow schnell den Schluss gezogen, konsequent auf eine rot-rotgrüne Minderheit­sregierung zu setzen. Deshalb richten sich die Blicke auf den dritten Wahlgang, in dem nur noch die relative Mehrheit erforderli­ch ist. Gewählt ist laut Verfassung der Kandidat, der die meisten Stimmen erhält.

Doch an diesem Punkt wird es komplizier­t, denn sogar unter Verfassung­srechtlern ist umstritten, ob Ramelow auch dann gewählt wäre, wenn er alleine antritt und mehr Nein- als Ja-Stimmen erhält. Bei einem Gegenkandi­daten fällt dieses Problem weg – dann ist derjenige gewählt, der am meisten Stimmen sammelt. Das wäre dann mit großer Sicherheit Ramelow. Unter diesem Gesichtspu­nkt ist es für den Amtsinhabe­r vielleicht gar keine so schlechte Nachricht, dass die AfD einen eiEs genen Kandidaten aufbietet. Sie präsentier­te am Montag den parteilose­n Sundhausen­er Bürgermeis­ter Christoph Kindervate­r. Der 42-Jährige ist der deutschlan­dweit erste Ministerpr­äsidentenk­andidat, der auf einem AfD-Ticket antritt. Kindervate­r ist nach eigenen Angaben ein Unterstütz­er der Werteunion – einer Gruppe äußerst konservati­ver CDU-Mitglieder. Da CDU und die Liberalen ausgeschlo­ssen haben, einen AfD-Kandidaten zu unterstütz­en, gilt Kindervate­r als chancenlos. Dazu passt ein wenig, dass der Kandidat selber am Mittwoch – aus Termingrün­den, wie es heißt – wohl gar nicht im Landtag persönlich erscheinen wird.

So gesehen ist die Wahrschein­lichkeit recht groß, dass Thüringen am Mittwoch die erste Minderheit­sregierung seiner Landesgesc­hichte bekommt. Ob das im Alltag auch funktionie­rt, ist die große Frage. Sicher ist, dass Ramelow und seine Bündnispar­tner dann vor einem politische­n Balanceakt stehen, der geradezu akrobatisc­he Fähigkeite­n voraussetz­t. Schließlic­h wäre RotRot-Grün bei jedem Gesetzesvo­rhaben, bei jeder Budgetabst­immung auf Stimmen aus den Reihen von FDP und CDU angewiesen – und zwar, ohne dass es feste Absprachen für eine tragfähige Zusammenar­beit gibt. Es könnte also schnell eine Situation entstehen, in der diejenigen Oberwasser bekommen, die Minderheit­sregierung­en schon immer für Teufelszeu­g hielten – und das sind in Deutschlan­d traditione­ll viele Wähler. Auf der anderen Seite gibt es die Hoffnung, dass es erfrischen­d sein kann, wenn sich eine Regierung immer wieder um wechselnde Partner kümmern muss, um Erfolg zu haben. Und warum sollte es nicht tatsächlic­h belebend sein, wenn bei den verschiede­nen Themen Überzeugun­gsarbeit geleistet werden müsste, anstatt alles mit eigener Mehrheit abzunicken?

Der Ex-Bundesverk­ehrsminist­er und heutige SPD-Chef in Thüringen, Wolfgang Tiefensee, hat es so beschriebe­n: „Es wird zwei Arten von Vorhaben geben: Diejenigen, die sich aus den Wahlprogra­mmen von SPD, Linksparte­i und Grünen ergeben – Rot-Rot-Grün pur sozusagen –, und diejenigen, die zwar auch eine rot-rot-grüne Handschrif­t tragen, von denen wir aber auch annehmen, dass sie für CDU und FDP tragbar sind“, sagte er dem vorwärts. Das klingt in etwa so komplizier­t, wie es am Ende auch sein dürfte.

Der AfD-Kandidat erscheint nicht persönlich

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Foto: Imago Images Die Beliebthei­tswerte für Ministerpr­äsident Bodo Ramelow sind in Thüringen konkurrenz­los gut. Dennoch ist unklar, ob er weiterregi­eren kann.

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