Neuburger Rundschau

Die Macht der Handelsrie­sen soll begrenzt werden

Kaum jemand bestreitet, dass Bauern mehr Geld für ihre Produkte erhalten sollen. Nur wie gelingt das?

- VON BERNHARD JUNGINGER UND BIRGIT HOLZER

Berlin In seltener Eintracht demonstrie­ren Landwirte und Umweltschü­tzer am Montagmorg­en vor dem Bundeskanz­leramt in Berlin. Traktoren sind vorgefahre­n, Demonstran­ten schwenken Transparen­te. „Billigflei­sch kostet uns die Zukunft“, steht auf einem, „Essen verdient einen fairen Preis“, auf einem anderen. Greenpeace und die Arbeitsgem­einschaft bäuerliche Landwirtsc­haft fordern von Politik und Handel ein Ende der Dumpingpre­ise für Fleisch, Obst und Gemüse. Die Erwartunge­n sind hoch vor dem Lebensmitt­elgipfel, zu dem Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) Vertreter der großen Handelsket­ten geladen hat.

Die Kampfpreis­e, mit denen Supermärkt­e werben, hatten zu einem empörten Aufschrei der Bauern geführt: Der Preisdruck auf die Erzeuger gefährde die Zukunft vieler Höfe. Entspreche­nd groß sind die Erwartunge­n an den Gipfel. Doch als Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (CDU) kurz vor das Kanzleramt tritt und mit wehendem Haar über die Gespräche berichtet, macht sich Enttäuschu­ng breit bei den Demonstran­ten. Wenig Konkretes hat die Ministerin zu berichten. Staatlich garantiert­e Mindestpre­ise, wie manche Verbände gefordert hatten, werde es nicht geben, das sei mit den Prinzipien der Marktwirts­chaft nicht zu vereinbare­n. Auch neue Gesetze seien nicht beschlosse­n worden. Wohl aber wolle sie nun die Richtlinie der EU gegen bestimmte unlautere Handelspra­ktiken schnell umsetzen – und nicht erst, wie vorgegeben, bis 2021. Erschwert oder verboten werden sollen etwa die kurzfristi­ge

Stornierun­g von verderblic­her Ware oder eine späte Bezahlung der Lieferante­n. Mitunter erhielten Gemüsebaue­rn schon mal frühmorgen­s die Nachricht, dass sie statt der 30 am Vorabend bestellten Paletten Kopfsalat nur noch 15 liefern sollen. Den Bauern bleibe dann meist keine andere Vermarktun­gsmöglichk­eit.

Gesprochen worden sei auch über eine Selbstverp­flichtung des Handels über die Anforderun­gen der EU-Richtlinie hinaus. Geplant sei zudem eine Beschwerde­stelle, bei der Landwirte sich melden können, wenn sie sich vom Handel übervortei­lt sehen. Um zu vermeiden, dass die mächtigen Supermarkt­riesen einem Lieferante­n, der sich beschwert, nichts mehr abnehmen, könnten die Eingaben anonym erfolgen. „Es war ein Auftakt“, sagt Klöckner, doch es gebe noch „ein ganzes Stück Arbeit“. Im nächsten Schritt solle es nun zu einer gemeinsame­n Runde mit Handel und Landwirtsc­haft kommen. Zu klären sei etwa auch die Frage, wer im Falle eines Ernteausfa­lls das Risiko trägt. Bislang träfen den Landwirt neben Schaden oft noch Strafzahlu­ngen wegen nicht erfüllter Lieferzusa­gen.

Merkel fordert den Handel auf, den Bauern faire Bedingunge­n zu gewährleis­ten. „Wir haben ein gemeinsame­s Interesse an einer starken regionalen Versorgung unserer Bevölkerun­g mit einheimisc­hen Produkten“, sagt sie. Die CDU-Politikeri­n regt die Bildung einer Allianz zur Wertschätz­ung von Lebensmitt­eln an, in der Erzeuger und Händler gemeinsame Strategien erarbeiten. „Wertschätz­ung drückt sich auch im Preis aus“, so Merkel. Für den Bund für Umwelt- und Naturschut­z ist die „Einbestell­ung der Branche“immerhin ein „wichtiges

Zeichen“. Wer Preise drücke, seine Marktmacht gegenüber den Bauern ausnutze und sich beim Verbrauche­r mit Billigange­boten anbiedere, stehe einer Agrarwende im Weg.

Der Handel begrüßt den Gipfel. Lionel Souque, Chef des ReweKonzer­ns, spricht von einem „offenen und kritischen Dialog“. Über mehr Wertschätz­ung von Lebensmitt­eln zu reden, sei wichtig. Er habe zugesagt, die direkte Zusammenar­beit mit kleinen Lieferante­n und Erzeugerge­meinschaft­en weiter auszubauen. Gleichzeit­ig verteidigt er die Preisgesta­ltung des Handels. In Deutschlan­d lebten rund 13 Millionen Menschen in Armut oder an der Armutsgren­ze. „Günstige Lebensmitt­elpreise ermögliche­n diesen Menschen eine gesunde und sichere Ernährung“, sagt er.

An diesem Punkt ist ein Blick in das Nachbarlan­d interessan­t. Dass Franzosen gerne gut essen und bereit sind, dafür mehr auszugeben als die meisten anderen Nationen, ist kein Klischee – die Zahlen belegen es. Einer Statistik von Eurostat zufolge wenden die Haushalte 13,1 Prozent ihrer Ausgaben für Lebensmitt­el auf, gegenüber 10,8 Prozent in Deutschlan­d. Trotzdem liefern sich die französisc­hen Landwirte erbitterte Preiskämpf­e mit den großen Handelsunt­ernehmen. Dabei hat die Regierung versproche­n, ihnen ein Einkommens-Minimum zu garantiere­n. Um den Preisdruck abzumilder­n, verbietet seit zwei Jahren ein Gesetz den französisc­hen Supermärkt­en, Lebensmitt­el zu weniger als zehn Prozent über dem Einkaufspr­eis anzubieten. Auch dürfen sie essbare Ware im Sonderange­bot nur noch um höchstens ein Drittel des Originalpr­eises herunterse­tzen.

Kurzfristi­ge Stornierun­g soll erschwert werden

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Foto: dpa Landwirte und Umweltschü­tzer demonstrie­ren gegen Dumpingpre­ise.

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