Zwei Welten prallen aufeinander
Österreichs Kanzler Kurz kommt nach seiner erfolgreichen Regierungsbildung mit den Grünen bei Kollegin Merkel vorbei. Der Besuch macht dabei deutlich, wem die Zukunft gehört. Wie Wien die Berliner Politik beeinflusst
Berlin Österreichs Kanzler ist ein höflicher Mensch. Nach dem Treffen dankt Sebastian Kurz „der lieben Frau Bundeskanzlerin“vor der Presse für das „sehr gute Gespräch“. Ganz nebenbei lädt der 33-Jährige die Kurzentschlossenen unter den deutschen Urlaubern zum Skifahren ein. Weil er das natürlich alles auf Wienerisch sagt, klingt es noch viel netter durch das Kanzleramt. Die folgende Viertelstunde geht für Angela Merkel an diesem Montag weniger nett zu Ende. Sie genügt, um festzustellen, dass die deutsche Kanzlerin in der letzten Etappe ihrer Karriere angelangt ist.
Alles, was Merkel noch erreichen will, hat Kurz schon geschafft oder er stellt sich dagegen. Deutschland will 2038 das letzte Kohlekraftwerk abstellen, in Österreich geht das letzte in wenigen Wochen vom Netz, wie der Gast aus Wien erklärt.
Merkel hätte mit einer Koalition aus Union, FDP und Grünen ein politisches Experiment starten können. Sie scheiterte an der FDP, weshalb jetzt Sebastian Kurz der europaweit beachtete Experimentator ist. Er brachte seine konservative ÖVP mit den Grünen zusammen, was noch vor kurzem als ausgeschlossen galt. „Die neue Form der Kompromissfindung hat diese Form der Zusammenarbeit erst möglich gemacht“, berichtet er.
Merkel will die Steuern senken, kommt aber am Nein des Koalitionspartners SPD nicht vorbei. Kurz hat mit den Grünen die Senkung der Einkommensteuer im ersten Monat der Koalition aufgegleist. „Die Regierung ist sehr gut angelaufen“, sagt ein zufriedener Kanzler. Merkel quält sich derweil durch die dritte Große Koalition mit den müden Sozialdemokraten, die ihr zwar ein Projekt nach dem anderen aufnötiaber von den Wählern dennoch mit Liebesentzug bedacht werden. Gerade versuchen die neuen Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans verzweifelt, Merkel weitere Zugeständnisse abzuringen. In Wien haben sich die Bündnispartner darauf verständigt, dass beide Parteien die Interessen ihrer Wähler bedienen und damit die Profile scharf halten sollen.
Die Grünen kümmern sich um den Klimaschutz und um mehr Offenheit, in der traditionell von faulen Absprachen und Günstlingsbeziehungen geprägten österreichischen „Freunderl-Wirtschaft“. ÖVP – die Kurz von Schwarz auf die moderne Parteifarbe Türkis umlackierte – will das Wirtschaftswachstum ankurbeln und Flüchtlinge vor der Tür halten. Wie Merkel in ihren besten Zeiten führt Kurz seine Partei zu hohen Zustimmungsraten. In den neuesten Stimmungsbarometern erreichen die Konservativen 39 Prozent. Die Freunde von CDU und CSU schaffen zehn Prozentpunkte weniger. Wie einst Merkel die CDU verkörperte, so ist Kurz jetzt die ÖVP.
Merkels Abstieg begann, als sie entschied, die Grenzen für hunderttausende Flüchtlinge offen zu halgen, ten. Kurz hingegen schloss auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in seiner damaligen Funktion als Außenminister die Balkanroute. Österreich bestimmt wie zu Kaisers Zeiten die Politik in Südosteuropa.
Der Politiker mit dem Auftreten des perfekten Schwiegersohns wurde so zu ihrem Widerpart, der freundlich, aber bestimmt Salz in die Wunde rieseln ließ. Dabei ist es geblieben. Die seit 15 Jahren amtierende Kanzlerin hat noch einmal ihr ganzes Gewicht aufgebracht, um die Kriegsparteien des libyschen Bürgerkrieges an einen Tisch zu bringen. Nun müsste es schnell gelinDie gen, dass die Europäer selbst mit einem guten Beispiel vorangehen und die unterschriebene Absichtserklärung mit Leben füllen. Die EU-Mission Sophia zur Rettung Schiffbrüchiger auf dem Mittelmeer, zur Bekämpfung der Schleuser und der Durchsetzung des Waffenembargos soll nach dem Willen Berlins neu aufgelegt werden.
Doch der Kanzler aus der Wiener Hofburg hält das für keine gute Idee. Für Kurz hat die Mission nur dazu geführt, dass noch mehr Flüchtlinge nach Europa drängen, weil sie von den Marineschiffen aufgenommen werden. Die Schlepper „haben noch mehr verdient“, wendet er ein und lässt Merkel auflaufen.