Neuburger Rundschau

„Engel in der Hölle“

Die Unterwäsch­e-Marke Victoria’s Secret steckt in wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten. Nun könnte ein Sex-Skandal dem Unternehme­n in Zeiten von #Metoo das Genick brechen

- VON MARGIT HUFNAGEL

New York Am Ende stürzt das Unternehme­n womöglich über das, was es über Jahrzehnte am besten verkaufen konnte: Sex. Mit wogenden Hüften, riesigen Flügeln und minimaler textiler Ausstattun­g schickte das Unterwäsch­e-Label „Victoria’s Secret“über Jahre seine Models über die Bühne, um Push-up-BHs und String Tangas zu vermarkten. Realitätsf­erne Männerfant­asien trafen auf ihre weibliche Verkörperu­ng. Supermodel­s wie Heidi Klum, Gigi Hadid und Kendall Jenner wurden als „Engel“, wie die Laufsteg-Schönheite­n genannt wurden, berühmt. Doch nun strauchelt das ohnehin angeschlag­ene Unternehme­n in Richtung des wirtschaft­lichen Abgrunds. „Engel in der Hölle“betitelt die New York Times eine Geschichte, die von Mobbing und sexuellen Missbrauch berichtet. Von einer „Kultur der Frauenfein­dlichkeit“in der Traumfabri­k ist die Rede.

Die Vorwürfe, die gegenüber dem amerikanis­chen Konzern erhoben werden, wiegen schwer. „Ed Razek, über Jahrzehnte einer der höchsten Manager bei L Brands, dem Mutterkonz­ern von Victoria’s Secret, war Gegenstand wiederholt­er Beschwerde­n über unangemess­enes Verhalten“, schreibt die New York Times. „Er versuchte, Models zu küssen. Er bat sie, sich auf seinen Schoß zu setzen. Er griff vor der Victoria’s Secret Modeschau 2018 einem Model in den Schritt.“Zu Topmodel Bella Hadid soll der 71-Jährige gesagt haben: „Lass das Höschen weg“. Die Liste geht weiter: „Ein Model, Andi Muise, sagt, dass Victoria’s Secret sie nicht mehr gebucht hat, nachdem sie die Avancen von Herrn Razek zurückgewi­esen hat“, schreibt die US-Zeitung. Konsequenz­en musste der Manager offenbar nicht befürchten: Leslie Wexner, 82, Gründer und Besitzer des einst so schillernd­en Unternehme­ns, soll diese sexuellen Übergriffi­gkeiten über Jahre ignoriert haben. „Der Missbrauch wurde nur weggelacht und als normal akzeptiert“, zitieren die Times-Journalist­en in ihrem Report Casey Crowe Taylor, eine frühere Angestellt­e des Unterwäsch­ekonzerns. „Und jeder, der versucht hat, etwas zu unternehme­n, wurde nicht einfach ignoriert. Er wurde bestraft.“Manager Razek, der im Sommer 2019 in den Ruhestand ging, weist jede Schuld von sich. Besitzer Wexner plant offenbar den Verkauf des Sorgenkind­s Victoria’s Secret.

Für das Unternehme­n kommen die Enthüllung­en zu einem ungünstige­n Zeitpunkt. Denn der letzte Skandal ist noch längst nicht ausgestand­en. Der Name Les Wexner fiel nämlich auch im Zusammenha­ng mit den Ermittlung­en um den Milliardär und verurteilt­en Sexualstra­ftäter Jeffrey Epstein. Der soll Victoria’s Secret genutzt haben, um Minderjähr­ige für seine Sex-Partys zu rekrutiere­n. Wexner gehörte lange zu den Förderern von Epstein, überließ ihm laut Medienberi­chten sein New Yorker Townhouse und sein Anwesen in Ohio. Epstein wiederum war für Wexner als Finanzbera­ter tätig, soll sogar dessen Steuererkl­ärung unterschri­eben haben. Im vergangene­n August nahm sich Epstein in der Haft das Leben.

Die juristisch­e Bewertung wird das eine sein, der Schaden für die Marke das andere. Während das glamouröse Geschäftsm­odell von Victoria’s Secret über Jahre hinweg gut funktionie­rte und die Models um der Karriere willen schwiegen, macht ihm inzwischen der Zeitgeist einen Strich durch die Rechnung.

Die #MeToo-Bewegung und der Wunsch vieler Frauen nach einem positiven Körpergefü­hl passen nicht mehr zum Image von Victoria’s Secret. Laut einer Umfrage der Marktforsc­hungsfirma YouGov aus dem Jahr 2018 hat die Reizwäsche­Firma bei Frauen im Alter zwischen 18 und 49 Jahren kräftig an Ansehen eingebüßt. Das lässt sich auch an der wirtschaft­lichen Entwicklun­g ablesen. Schon im vergangene­n Jahr wurde die Kult-Modenschau gestrichen – zum ersten Mal seit 1995. Und auch in diesem Jahr werden die „Engel“wohl am Boden bleiben. Die Zuschauerz­ahlen der Shows, die seit 2001 im Fernsehen übertragen wurden, sind in den vergangene­n zehn Jahren um die Hälfte eingebroch­en. Nicht viel besser sieht es in den Läden der Modekette aus: Selbst mit Rabatten und verlängert­en Sonderverk­aufsaktion­en konnten die Verkäufe nicht angekurbel­t werden, die Lagerbestä­nde wuchsen schneller als der Absatz. Geschäfte in den USA mussten geschlosse­n werden, die Aktienkurs­e brachen ein und haben sich bis heute nicht erholt, Milliarden­werte verpufften innerhalb kürzester Zeit. Analysten gehen allerdings davon aus, dass hinter den wirtschaft­lichen Nöten neben dem schlechten Ruf auch ein verfehltes Konzept steht, das den Online-Handel lange vernachläs­sigt habe. Doch alleine am Businesspl­an dürfte es nicht liegen.

Denn es ist nicht das erste Mal, dass am Image des Unterwäsch­eHerstelle­rs gekratzt wird. Erst vor wenigen Wochen veröffentl­ichte die „Boston University School of Medicine“eine Studie, wonach der ohnehin schmale Taillenumf­ang und die Konfektion­sgröße der Victoria’s Secret Models in den vergangene­n Jahren stetig kleiner geworden sind. Die Körpermitt­e der Unterwäsch­eModels misst im Schnitt 59,9 Zentimeter, im Jahr 1995 waren es noch durchschni­ttlich etwa 62,7 Zentimeter. Damit bewegt sich das Unternehme­n nicht nur weg von den (wachsenden) Maßen der Durchschni­ttsfrau, sondern entfernt sich auch von einem Publikum, das die Gleichung dünner ist gleich schöner nicht mehr fördern will.

„Die Besetzung der richtigen Werte spielt für erfolgreic­he Marken natürlich eine große Rolle und die Werte ändern sich in der Gesellscha­ft“, sagt Christian von Thaden, Marketings­pezialist bei Batten & Company in Düsseldorf, unserer Redaktion. Bewegungen wie #Metoo gelten nicht als Auslöser dieser Entwicklun­g, sondern eher als Symptom: Ein nennenswer­ter Teil der Frauen ist nicht mehr bereit, sich allein über den Grundsatz „sex sells“zu definieren. Hinzu komme aber auch etwas, das von Thaden als „Kohortenef­fekt“bezeichnet: Was für die eine Generation besonders attraktiv sei, muss für die folgende Generation nicht unbedingt erstrebens­wert sein. „Es ist dann die Aufgabe, diese Marken wieder für eine jüngere Zielgruppe zu erschließe­n“, sagt Christian von Thaden.

Schwierig wird es allerdings, wenn die Marke nicht nur als überholt gilt, sondern als beschädigt. „Natürlich kann ein Image wieder repariert werden, das ist aber nicht einfach und dauert“, sagt der Marketinge­xperte. „Es ist um ein x-Faches aufwendige­r, eine verlorene Reputation wiederzuer­langen, als diese zu verspielen.“Wichtig sei, dass die Korrektur glaubwürdi­g sein muss. „Mit reinen Lippenbeke­nntnissen wird es nicht gehen, das ist kein Kommunikat­ionsthema, sondern eines der tatsächlic­hen Leistung, die dann natürlich auch kommunizie­rt werden muss.“

 ?? Foto: dpa ?? Heidi Klum (im Jahr 2000) war einer der „Engel“, die für Victoria’s Secret über den Laufsteg stolzierte­n. Junge Frauen können mit der Marke wenig anfangen.
Foto: dpa Heidi Klum (im Jahr 2000) war einer der „Engel“, die für Victoria’s Secret über den Laufsteg stolzierte­n. Junge Frauen können mit der Marke wenig anfangen.

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