Es riecht nach Problemen
Wurst-Wilke, Bayern-Ei, Müller-Brot: In den vergangenen Jahren wurden mehrere große Lebensmittelskandale öffentlich. Ein Grund ist die Personalnot bei den Prüfstellen. Unterwegs mit zwei Kontrolleuren aus Günzburg
Günzburg Als Franz Schmid und Josef Christa die Großküche betreten, erinnern sie ein wenig an Mitarbeiter der Spurensicherung aus einem Kriminalfilm. Sie tragen Haarnetze und Schutzoveralls, dazu rutschfeste Sicherheitsschuhe und Klemmbretter. Zutritt bekommen die beiden Lebensmittelkontrolleure nur über eine Art Hygieneschleuse, in der sie sich die Hände waschen und desinfizieren und ihre Schuhe über eine mit Desinfektionsmittel getränkte Matte streifen müssen. Wie ein Ermittler späht Josef Christa mit einer Taschenlampe in Ecken und Nischen. Er öffnet Schubladen und Schränke, kontrolliert Lüfter und Dunstabzüge, überprüft Schöpfkellen und Spülmaschinen. Auf einer Liste hakt er Punkt für Punkt ab: Reinigungsplan? Check. Schädlingsbekämpfung? Check. Personalgesundheit? Check. Sein Kollege Schmid scannt mit den Augen die Decke, die Wände, den Boden – auf der Suche nach Dingen, die eine Gefahr darstellen könnten. Den beiden fallen Winzigkeiten auf: eine fingernagelgroße Scherbe am Boden, ein abgenutzter Schraubenzieher, ein Staubfaden in der Lüftung.
Franz Schmid, Josef Christa und ihre Kollegen vom Landratsamt Günzburg kontrollieren 2200 Betriebe im gesamten Landkreis Günzburg, darunter Imbisse, Metzgereien, Bäckereien, Supermärkte, Gastronomiebetriebe, Getränkemärkte, Friseur- und Kosmetiksalons und Tattoostudios. 2019 haben sie 1791 Kontrollen durchgeführt und dabei 18 Bußgelder verhängt.
3,5 Stellen für Lebensmittelüberwachungsbeamte gibt es in Günzburg – zu wenige. „Die Personalnot ist auch bei uns groß, aber bisher haben wir alle Kontrollen geschafft.“Diese Bilanz können in Deutschland nicht alle Lebensmittelkontrollbehörden vorweisen. Laut einem Bericht der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch sind bundesweit nur zehn Prozent der Behörden personell ausreichend besetzt, jede dritte Betriebskontrolle musste 2018 ausfallen. Das heißt: Eine Viertel
der vorgeschriebenen Besuche konnte nicht stattfinden. Auch in Bayern konnten Behörden ihre Pflichtkontrollen nicht durchführen, zum Beispiel in den Landkreisen Aichach-Friedberg, Deggendorf, Freyung-Grafenau, Passau und Regen. Und nicht nur das. In den vergangenen Jahren wurden auch mehrere große Lebensmittelskandale öffentlich, zum Beispiel bei der Firma Bayern-Ei in Niederbayern und bei dem Wursthersteller Wilke in Hessen. Eine Ursache solcher Skandale seien mangelhafte Kontrollen sowie zu wenig Personal, kritisierte Foodwatch.
Neben den Lebensmittelkontrolleuren an den Landratsämtern gibt
seit 2018 in Bayern eine zusätzliche Behörde: die KBLV – die Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen. Sie ist in allen Landkreisen und kreisfreien Städten ohne eigenes Veterinäramt zuständig für die Überwachung von rund 600 komplexen Betrieben, zum Beispiel großen Schlachtbetrieben, Molkereien und Fleischwarenherstellern. Wegen einer Entscheidung am Verwaltungsgerichtshof überprüft das Umweltministerium im Februar noch einmal die Rechtsgrundlage der KBLV.
Um im Kreis Günzburg alle Aufgaben zu meistern, musste sich Franz Schmid, Fachbereichsleiter für Veterinärwesen und Verbraumillion cher, etwas einfallen lassen. „Wir brauchen genug Freiraum für die Kontrollen und die Nacharbeit.“Eine Verwaltungshelferin unterstützt die Kontrolleure deshalb jetzt, wo es nur geht. „Diese Umverteilung entlastet uns und entspannt die Lage ein wenig.“
Doch was genau gehört eigentlich alles zu den Aufgaben der Beamten? Fast alle Kontrollen, die Schmid und seine Kollegen durchführen, sind unangekündigt. Sie haben ein Betretungsrecht, das heißt, die Betriebe müssen sie während ihrer normalen Produktionszeiten auch einlassen. Alle paar Jahre rotieren die einzelnen Beamten im Landkreisgebiet, damit zwischen ihnen und den Unes ternehmern keine zu große Nähe entsteht. Darüber hinaus müssen sie jeden Besuch dokumentieren und für jeden Betrieb eine Risikobewertung erstellen. „Da fließt zum Beispiel mit ein, wie gravierend die Verstöße waren.“Je nachdem, wie das Ergebnis ausfällt, errechnet ein System den nächsten Kontrolltermin. Oben drauf kommen noch einmal rund 500 Proben im Jahr, die die Kontrolleure von Lebensmitteln und Kosmetika nehmen und analysieren lassen müssen.
Wenn es doch einmal zu einem Verstoß kommt, haben die Kontrolleure unterschiedliche Mittel: mündliche Verwarnungen, Bußgelder, Anordnungen – und im schlimmsten Fall, wenn Gefahr für den Verbraucher besteht – die Schließung des Betriebs. „Aber das ist selten. Das Gros arbeitet ordentlich.“Im Normalfall spricht Schmid ein paar Punkte an. Die Betriebe sind einsichtig, setzen die Sachen um – und dann hat es sich für die Kontrolleure erledigt. So auch bei ihrer Besichtigung der Großküche. Franz Schmid und Josef Christa halten auf ihrem Klemmbrett alle Kleinigkeiten fest, die beseitigt werden müssen. Jede einzelne davon notiert sich auch der Küchenchef in seinem Notizbuch. Der Schraubenzieher? Wird sofort ausgetauscht. Die Lüftung? Wird gleich morgen gereinigt.
Wenn Schmid und Christa in den Betrieben etwas Gravierendes auffällt, hat das häufig ähnliche Ursachen: Überforderung, Unwissen oder Schicksalsschläge. „Böse Absicht ist selten.“Schmid und Christa hoffen auf mehr Verständnis bei der Bevölkerung. „Als Außenstehender ist es schwer zu beurteilen, wie gravierend ein Mangel ist.“Ihm fällt stattdessen auf, wie sehr sich das Verhalten der Verbraucher und der Umgang mit Lebensmitteln verändert hat. Früher sei dem Konsumenten bewusst gewesen, dass Geflügelfleisch etwas mit Salmonellen zu tun haben kann. „Leider ist diese Erkenntnis dem heutigen Konsumenten oft abhandengekommen.“
Mehr als zwei Stunden durchleuchten die beiden Kontrolleure jeden Winkel der Großküche – von der Kühlung bis zum Lager untersuchen sie jede Nische. Abgesehen von einigen Kleinigkeiten finden sie nichts Gravierendes. „Wir sind mit dem Ergebnis zufrieden.“
Der Großteil der Betriebe arbeitet ordentlich