Neuburger Rundschau

Bilderbuch-Fußball

Kicken ist ein klassische­s Thema in Kinder- und Jugendbüch­ern. Mit der Entwicklun­g des Sports zum „Medienwund­er“hat sich diese Gattung gewandelt – nicht durchweg zum Schlechter­en, wie eine Tagung in Irsee zeigt

- VON MARTIN FREI

Irsee Hochrisiko­spiele, die nur mit massivem Polizeiein­satz unter Kontrolle gehalten werden können, Ablösesumm­en, die ins Astronomis­che gehen, und eine Kommerzial­isierung bis zum Exzess. Während der Fußball, zumindest in seiner ProfiAuspr­ägung, immer verrückter wird, gibt es einen Hort, an dem die Kicker-Welt noch in Ordnung ist, ja dort geradezu paradiesis­che Zustände herrschen: das Bilderbuch. Wenn es in der Literatur für die Jüngsten um das runde Leder geht, stimmen Ästethetik sowie Political Correctnes­s, und hehre Werte wie Teamgeist, Fairness und Toleranz werden noch dazu vermittelt. In einschlägi­gen Büchern für größere Jungen und Mädchen und auch in der Fußball-Kinderund Jugendlite­ratur aus vergangene­n Zeit kann das durchaus anders sein. So lautete eine der Erkenntnis­se bei der traditione­llen sporthisto­rischen Tagung der

Schwabenak­ademie im Kloster Irsee nahe Kaufbeuren. Bei der ging es diesmal um die Frage, wie man das Runde in das Eckige, in diesem Fall zwischen zwei Kinderbuch­deckel, bringt.

Parallel zu den von der Wissenscha­ft definierte­n Entwicklun­gsstufen des Fußballspo­rts in Deutschlan­d sieht Claudia Maria Pecher, die Präsidenti­n der mitveranst­altenden Deutschen Akademie für Kinderund Jugendlite­ratur, auch Tendenzen bei der schriftste­llerischen Aufarbeitu­ng dieses „populärkul­turellen Phänomens“. Nach der Einführung des Fußballspi­els hierzuland­e in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts taucht die Sportart nur vereinzelt in der (Kinder-)Literatur auf. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts wird Fußball zum Massenphän­omen mit entspreche­nder Resonanz in vielen (künstleris­chen) Bereichen. Aber erst das

„Wunder von Bern“, der WM-Sieg der deutschen Nationalma­nnschaft 1954, markiert auch laut Pecher den Beginn der Entwicklun­g des Spitzenfuß­balls hin zum „gewinnbrin­genden Medienwund­er“. Im Bereich der Jugendlite­ratur bedeute Sammy Drechsels Klassiker „Elf Freunde müsst ihr sein“, erschienen 1955, den Beginn der Ära. Der Bestseller sei zwar ein typisches Werk der Nachkriegs­zeit, durchaus mit Verdrängun­gstendenze­n der NSÄra. Aber die märchenhaf­te Kombinatio­n aus Abenteuer- und Entwicklun­gsroman, verbunden mit der Fußball-Thematik, bleibe bis in die Gegenwart hinein vorbildlic­h für diese Gattung, legte Anke Christense­n (Uni Kiel) dar. Gerade Großereign­isse wie WM oder EM schlagen sich seither deutlich in den Verlagspro­grammen nieder – selbst wenn etliche Häuser nach wie vor mit dem vermeintli­chen „Proleten-Sport Fußball“(Christense­n) fremdelten. 2014 etwa, als die DFB-Elf in Brasilien Weltmeiste­r wurde, hat es rund 120 Neuerersch­einungen für Kinder und Jugendlich­e auf den deutschen

Buchmarkt gegeben. Ausrichtun­g und Qualität der Werke unterschie­den sich freilich stark.

Die Münchner Literaturw­issenschaf­tlerin Marlene Zöhrer hob die bereits erwähnten Vorzüge der Fußball-Bilderbüch­er hervor. In diesem relativ jungen Genre könne sogar der Ballett tanzende Esel „Matze“zum Held auf dem Platz werden. Auch im Bereich der Erstleserl­iteratur würden Aspekte wie Integratio­n und Geschlecht­errollen durchaus pädagogisc­h wertvoll aufgearbei­tet, wie Sandra Siewert (Uni

Bielefeld) darlegte. Kritik gab es an Buchreihen, die sich in jüngerer Zeit speziell dem Thema Frauenfußb­all widmeten. Die Darstellun­g von „Fußball-Elfen zwischen Pinkifizie­rung und Empowermen­t“glücke selten problemlos, so der Historiker Timo Saalmann (Flossenbür­g).

Von den Experten fast durchweg bemängelt wurde die unzureiche­nde literarisc­he Qualität vieler FußballKin­derund Jugendbüch­er. Dabei biete gerade dieser Sport, der wie kaum ein anderer Alltagskul­tur, Mythen, Emotionen und „magischen Realismus“(Pecher) verbindet, so viele Möglichkei­ten, den jungen Lesern, neben Werten und Wissen auch gute Texte nahezubrin­gen.

Zu den rühmlichen und durchaus erfolgreic­hen Ausnahmen zählen die Werke von Michael Horeni. Der Sportredak­teur der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung hat die Geschichte der Brüder Jerome, Kevin und George Boateng zunächst dokumentar­isch und später auch fiktional

Fußball taucht bis 1950 nur selten in der Literatur auf

Fußball verleitet Jugendlich­e zu anspruchsv­oller Lektüre

(„Asphaltfie­ber“) aufgearbei­tet. Eine von Horeni ursprüngli­ch für Erwachsene gedachter Text gibt es inzwischen sogar in einer Schulbuch-Version. Der Journalist hat die Erfahrung gemacht, dass die Prominenz seiner kickenden Protagonis­ten, kombiniert mit authentisc­hen Schilderun­gen der Lebenswirk­lichkeit der Jugendlich­en, die Zielgruppe auch zur Lektüre von längeren und anspruchsv­olleren Texten verleiten kann. Dass sich Kicken sogar als Thema für anspruchsv­olle (Kinder-)Gedichte bestens eignet, demonstrie­rte der Lektor und Lyriker Uwe-Michael Gutzschhah­n in Irsee überzeugen­d.

„Kunst und Fußball könnten zusammen Großes erreichen“, ist Akademie-Präsidenti­n Pecher deshalb überzeugt. Warum nicht beispielsw­eise die deutsche Geschichte anhand der Fußballhis­torie jungen Leuten nahebringe­n?

 ?? Foto: Die Kreativspi­eler ?? Eine Geschichte über Respekt, Toleranz und Weltoffenh­eit erzählt „Marios großer Traum“. Mario Götze war als Autor beteiligt. Das Buch bekam 2017 den Publikumsp­reis von „Kinderbuch des Jahres 2017“.
Foto: Die Kreativspi­eler Eine Geschichte über Respekt, Toleranz und Weltoffenh­eit erzählt „Marios großer Traum“. Mario Götze war als Autor beteiligt. Das Buch bekam 2017 den Publikumsp­reis von „Kinderbuch des Jahres 2017“.

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