Bilderbuch-Fußball
Kicken ist ein klassisches Thema in Kinder- und Jugendbüchern. Mit der Entwicklung des Sports zum „Medienwunder“hat sich diese Gattung gewandelt – nicht durchweg zum Schlechteren, wie eine Tagung in Irsee zeigt
Irsee Hochrisikospiele, die nur mit massivem Polizeieinsatz unter Kontrolle gehalten werden können, Ablösesummen, die ins Astronomische gehen, und eine Kommerzialisierung bis zum Exzess. Während der Fußball, zumindest in seiner ProfiAusprägung, immer verrückter wird, gibt es einen Hort, an dem die Kicker-Welt noch in Ordnung ist, ja dort geradezu paradiesische Zustände herrschen: das Bilderbuch. Wenn es in der Literatur für die Jüngsten um das runde Leder geht, stimmen Ästethetik sowie Political Correctness, und hehre Werte wie Teamgeist, Fairness und Toleranz werden noch dazu vermittelt. In einschlägigen Büchern für größere Jungen und Mädchen und auch in der Fußball-Kinderund Jugendliteratur aus vergangenen Zeit kann das durchaus anders sein. So lautete eine der Erkenntnisse bei der traditionellen sporthistorischen Tagung der
Schwabenakademie im Kloster Irsee nahe Kaufbeuren. Bei der ging es diesmal um die Frage, wie man das Runde in das Eckige, in diesem Fall zwischen zwei Kinderbuchdeckel, bringt.
Parallel zu den von der Wissenschaft definierten Entwicklungsstufen des Fußballsports in Deutschland sieht Claudia Maria Pecher, die Präsidentin der mitveranstaltenden Deutschen Akademie für Kinderund Jugendliteratur, auch Tendenzen bei der schriftstellerischen Aufarbeitung dieses „populärkulturellen Phänomens“. Nach der Einführung des Fußballspiels hierzulande in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts taucht die Sportart nur vereinzelt in der (Kinder-)Literatur auf. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird Fußball zum Massenphänomen mit entsprechender Resonanz in vielen (künstlerischen) Bereichen. Aber erst das
„Wunder von Bern“, der WM-Sieg der deutschen Nationalmannschaft 1954, markiert auch laut Pecher den Beginn der Entwicklung des Spitzenfußballs hin zum „gewinnbringenden Medienwunder“. Im Bereich der Jugendliteratur bedeute Sammy Drechsels Klassiker „Elf Freunde müsst ihr sein“, erschienen 1955, den Beginn der Ära. Der Bestseller sei zwar ein typisches Werk der Nachkriegszeit, durchaus mit Verdrängungstendenzen der NSÄra. Aber die märchenhafte Kombination aus Abenteuer- und Entwicklungsroman, verbunden mit der Fußball-Thematik, bleibe bis in die Gegenwart hinein vorbildlich für diese Gattung, legte Anke Christensen (Uni Kiel) dar. Gerade Großereignisse wie WM oder EM schlagen sich seither deutlich in den Verlagsprogrammen nieder – selbst wenn etliche Häuser nach wie vor mit dem vermeintlichen „Proleten-Sport Fußball“(Christensen) fremdelten. 2014 etwa, als die DFB-Elf in Brasilien Weltmeister wurde, hat es rund 120 Neuererscheinungen für Kinder und Jugendliche auf den deutschen
Buchmarkt gegeben. Ausrichtung und Qualität der Werke unterschieden sich freilich stark.
Die Münchner Literaturwissenschaftlerin Marlene Zöhrer hob die bereits erwähnten Vorzüge der Fußball-Bilderbücher hervor. In diesem relativ jungen Genre könne sogar der Ballett tanzende Esel „Matze“zum Held auf dem Platz werden. Auch im Bereich der Erstleserliteratur würden Aspekte wie Integration und Geschlechterrollen durchaus pädagogisch wertvoll aufgearbeitet, wie Sandra Siewert (Uni
Bielefeld) darlegte. Kritik gab es an Buchreihen, die sich in jüngerer Zeit speziell dem Thema Frauenfußball widmeten. Die Darstellung von „Fußball-Elfen zwischen Pinkifizierung und Empowerment“glücke selten problemlos, so der Historiker Timo Saalmann (Flossenbürg).
Von den Experten fast durchweg bemängelt wurde die unzureichende literarische Qualität vieler FußballKinderund Jugendbücher. Dabei biete gerade dieser Sport, der wie kaum ein anderer Alltagskultur, Mythen, Emotionen und „magischen Realismus“(Pecher) verbindet, so viele Möglichkeiten, den jungen Lesern, neben Werten und Wissen auch gute Texte nahezubringen.
Zu den rühmlichen und durchaus erfolgreichen Ausnahmen zählen die Werke von Michael Horeni. Der Sportredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat die Geschichte der Brüder Jerome, Kevin und George Boateng zunächst dokumentarisch und später auch fiktional
Fußball taucht bis 1950 nur selten in der Literatur auf
Fußball verleitet Jugendliche zu anspruchsvoller Lektüre
(„Asphaltfieber“) aufgearbeitet. Eine von Horeni ursprünglich für Erwachsene gedachter Text gibt es inzwischen sogar in einer Schulbuch-Version. Der Journalist hat die Erfahrung gemacht, dass die Prominenz seiner kickenden Protagonisten, kombiniert mit authentischen Schilderungen der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen, die Zielgruppe auch zur Lektüre von längeren und anspruchsvolleren Texten verleiten kann. Dass sich Kicken sogar als Thema für anspruchsvolle (Kinder-)Gedichte bestens eignet, demonstrierte der Lektor und Lyriker Uwe-Michael Gutzschhahn in Irsee überzeugend.
„Kunst und Fußball könnten zusammen Großes erreichen“, ist Akademie-Präsidentin Pecher deshalb überzeugt. Warum nicht beispielsweise die deutsche Geschichte anhand der Fußballhistorie jungen Leuten nahebringen?