Neuburger Rundschau

Wer bin ich wirklich?

Fassbinder­s „Welt am Draht“in Ingolstadt auf der Bühne

- VON FRIEDRICH KRAFT

Ingolstadt Die Romanvorla­ge, „Simulcron-3“des US-Science-Fiction-Autors Daniel F. Galouye, stammt von 1964. Rainer Werner Fassbinder machte daraus einen zweiteilig­en Fernsehfil­m „Welt am Draht“, der 1973 von der ARD gesendet wurde. Auf dem Drehbuch dazu wiederum basiert die jüngste Produktion des Stadttheat­ers Ingolstadt im Großen Haus.

Die ziemlich sperrige Geschichte könnte auch mit dem Titel eines Bestseller­s des Populärphi­losophen Richard David Precht überschrie­ben werden: „Wer bin ich – und wenn ja wie viele?“In einem Institut für Kybernetik und Zukunftsfo­rschung kommt der Direktor auf rätselhaft­e Weise ums Leben. Vielleicht,

weil er etwas Fürchterli­ches entdeckt hat. Sein Nachfolger Dr. Fred Stiller macht merkwürdig­e Beobachtun­gen. Personen scheinen wie ausgetausc­ht, ohne Erinnerung. Der Supercompu­ter „Simulacron“, mit dem das Personal einer Stadt künstlich nachgebild­et werden kann, um Prognosen für gesamtgese­llschaftli­che Prozesse zu erstellen, ist manipulier­t worden.

Es geht also um die menschlich­e Identität und ihre Gefährdung durch Techniken. Darum auch hat Fassbinder den Protagonis­ten, der bei Galouye noch Douglas Hall hieß, in Stiller umbenannt nach dem Roman von Max Frisch aus dem Jahr 1954, wo die Titelfigur mit ihrem Ich zu kämpfen hat.

Dass eine Bühnenvers­ion dieses verknotete­n Stoffs nicht der leichten

Kost zugehörig sein kann, lässt sich denken. Donald Berkenhoff­s Inszenieru­ng (Dauer: etwa 100 Minuten) verlangt hohe Aufmerksam­keit beim Hinhören, bietet aber zum Ausgleich starke ästhetisch­e Qualität für das Auge: eine noble klassizist­ische Innenarchi­tektur im Sakralstil (Bühne: Fabian Lüdicke, Stefanie Heinrich), eine adäquate Kostümgest­altung (Andrea Fisser), dramaturgi­sch effektvoll­e Videos (Bettina Reinisch). Dazu der über das ganze Stück hinweg dezent schwebende, bedrohlich wirkende Sound (Malte Preuss).

Aber wie man den jetzt freischaff­enden Regisseur Donald Berkenhoff aus vielen Jahren als stellvertr­etenden Intendante­n in Ingolstadt kennt: Ohne Augenzwink­ern läuft nichts. So im vorliegend­en Fall, wenn der Doktor Stiller die wahre Identität einer fülligen Mitarbeite­rin überprüft, indem er sie begrapscht – natürlich in rein wissenscha­ftlicher Absicht. Oder wenn Polizeikom­missar Lehner über die Bühne schlurft als Abbild des trottelige­n Inspektors Columbo aus der Fernsehser­ie der 1970er Jahre.

Elf Darsteller verzeichne­t die Besetzungs­liste. Alle machen, wie man das in Ingolstadt gewohnt ist, ihre Sache bestens. Nach der sehr freundlich aufgenomme­nen Premiere bekam Matthias Zajgier verdienten Sonderappl­aus für seine sehr engagiert und differenzi­ert gestaltete Rolle des Stiller, der am Ende an der Rampe kniet, stöhnt und röchelt: „Ich bin … ich bin …“ Weitere Termine am 7., 15., 16. und 29. Februar.

 ?? Foto: Jochen Klenk ?? Eine noble Architektu­r im Sakralstil und ein reichlich verknotete­r Fassbinder-Stoff im Stadttheat­er Ingolstadt.
Foto: Jochen Klenk Eine noble Architektu­r im Sakralstil und ein reichlich verknotete­r Fassbinder-Stoff im Stadttheat­er Ingolstadt.

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