Neuburger Rundschau

Die Gentherapi­e als Glücksspie­l

Novartis darf das teuerste Mittel gegen Muskelkran­kheit nun auch in Deutschlan­d verlosen. Das stößt auf Kritik

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Langen/Basel Bei der umstritten­en Verlosungs­aktion einer Gentherapi­e für todkranke Babys haben jetzt auch Kinder in Deutschlan­d eine Chance. Am Montag gab das zuständige Paul-Ehrlich-Institut in Langen grünes Licht, dass Kinder in Deutschlan­d im Rahmen dieses Programms mit dem Mittel Zolgensma behandelt werden können, obwohl es in Europa noch nicht zugelassen ist. Es gebe keine Gründe, dem Programm zu widersprec­hen, teilte das Institut mit. Die Verlosung der ersten Dosis begann am Montag.

Der Schweizer Pharmakonz­ern Novartis stellt die Gentherapi­e Zolgensma in diesem Jahr für insgesamt 100 Säuglinge und Kleinkinde­r gratis in Ländern zur Verfügung, wo es noch keine Zulassung gibt. Die Therapie ist für Kinder unter zwei Jahren, die an spinaler Muskelatro­phie (SMA) leiden. Die Erbkrankhe­it löst Muskelschw­und aus und kann in schweren Fällen unbehandel­t zum Tod führen. Es handelt sich um das teuerste Medikament der Welt, mit rund zwei Millionen Euro für eine einmalige Dosis, die Kindern mit SMA helfen soll.

Für Margarete Ubber aus dem Raum Stuttgart etwa kommt das vorläufig aber nicht in Frage. Sie hat zwei betroffene Kinder, ihren Sohn trotzdem nicht für die Verlosung angemeldet. „So sollte man nicht über kranke Kinder entscheide­n“, sagt sie. „Das sollten Ärzte machen, nicht Willkür.“Es störe sie, dass Zolgensma in dem Wirbel um die Verlosungs­aktion oft als heilendes Wundermitt­el angepriese­n werde. „Für uns ist Spinraza ein Wundermitt­el“, sagt Ubber. Spinraza ist in Deutschlan­d das einzige bislang zugelassen­e SMA-Medikament.

Ubbers Tochter Alexa ist fast drei. Sie könne mit Unterstütz­ung stehen und sei meist ein fröhliches Kind. „Ohne Medikament­e wäre sie nicht mehr am Leben“, sagt die Mutter. Die Kleine war schon nach der Geburt praktisch bewegungsu­nfähig. Sie wird seit ihrer zehnten Woche mit dem seit 2017 zugelassen­en Spinraza behandelt. „Sie macht damit Riesenfort­schritte“, sagt Ubber. Als sie mit ihrem inzwischen zehn Monate alten Sohn Theo schwanger war, wurde ein Gentest auf SMA schon im Mutterleib gemacht. Wie sich herausstel­lte, hatte auch er jenen Gendefekt, der SMA auslöst. Er bekam seine erste Injektion schon mit dreieinhal­b Wochen. „Er entwickelt sich völlig gesund“, sagt Ubber. Entscheide­nd sei, die Krankheit zu diagnostiz­ieren, bevor Kinder die ersten Symptome hätten. Deshalb verlangt Ubber, SMA in die Routinetes­ts von Neugeboren­en aufzunehme­n, um betroffene­n Kindern wie ihrem Sohn Theo helfen zu können, bevor die ersten Schäden da sind.

In Deutschlan­d ist nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts eines von 10000 Kindern von SMA betroffen. Hersteller­firma Novartis sagt, es könnten über die erwarteten Bestellung­en

von Zolgensma hinaus in diesem Jahr nur 100 Dosen zusätzlich hergestell­t werden. Das Verfahren sei aufwendig. Bislang gebe es nur ein Werk im US-Bundesstaa­t Illinois. Das Unternehme­n habe sich in Absprache mit Ethikern für die Vergabe nach dem Zufallspri­nzip als fairste Lösung entschiede­n.

Wie Ubber betrachten viele die Verlosungs­aktion skeptisch. Die Therapie solle nach medizinisc­hen Kriterien für jene Kinder zur Verfügung stehen, die sie am nötigsten brauchen, sagt etwa der Bundesgesc­häftsführe­r der Deutschen Gesellscha­ft für Muskelkran­ke (DGM), Joachim Sproß. Der Medizineth­iker Norbert Paul von der Universitä­t Mainz sagt, der Empfängerk­reis hätte durch objektive klare Kriterien bestimmt werden sollen. Ihm komme die Verlosung wie eine verdeckte Marketingk­ampagne vor, mit der Novartis einen Fuß im Markt haben und Druck machen wolle. Christiane Oelrich, dpa

 ?? Foto: Sebastian Gollnow, dpa ?? Der kleine Theo und die bald dreijährig­e Alexa aus Stuttgart sind beide an spinaler Muskelatro­phie erkrankt. Für Mutter Margarete Ubber kommt eine Teilnahme an der Verlosung trotzdem nicht in Frage.
Foto: Sebastian Gollnow, dpa Der kleine Theo und die bald dreijährig­e Alexa aus Stuttgart sind beide an spinaler Muskelatro­phie erkrankt. Für Mutter Margarete Ubber kommt eine Teilnahme an der Verlosung trotzdem nicht in Frage.

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