Neuburger Rundschau

Petra fast ohne Massen

3000 Menschen besuchen Tag für Tag die Welterbe-Stätte. Wie man sie dennoch in aller Ruhe erleben kann

- Von Franziska Wolfinger

Es dauert nicht lange, bis der Besitzer eines kleinen jordanisch­en Hotels nahe der antiken Stadt Petra sein Smartphone zückt, um den gerade angekommen­en Gäste ein Video zu zeigen. Es zeigt Dutzende feiernde Einheimisc­he und interessie­rt dreinblick­ende Touristen. Eine blonde Amerikaner­in wird auf ein Kamel kompliment­iert, auf dem sie den knapp zwei Kilometer langen Fußweg zu den Ruinen der Nabatäer-Stadt Petra entlangrei­ten darf. Gratis Eintritt gibt es für sie obendrauf. Die Frau war die Millionste Besucherin im vergangene­n Jahr. Eine Zahl, die der örtliche Tourismusv­erband mit viel Aufwand gefeiert hat. Ein Besucherre­kord, auf den rund um Petra alle sehr stolz sind. Wie der Hotelbesit­zer, der es uns gegenüber zutiefst bedauert, dass wir zu spät dran sind. Immerhin haben wir das Spektakel nur um einen Tag verpasst.

Dass wir darüber ganz froh sind, sagen wir nicht. Wir sind schließlic­h nicht stundenlan­g durch die Wüste gefahren, um Massentour­ismus zu zelebriere­n, sondern um etwas von dem Weltkultur­erbe zu sehen, das in einer Reihe steht mit Attraktion­en wie dem Taj Mahal, Chichén Itzá und der Chinesisch­en Mauer. Mit durchschni­ttlich mehr als 3000 Besuchern täglich wird es in Petra wohl ohnehin voll genug sein. Wie wird es werden? Werden wir am Abend glücklich oder enttäuscht sein?

Wer die Ruinenstad­t abseits des Trubels erleben will, sollte früh aufstehen. Die antike Stätte öffnet um sechs Uhr. Von denen, die in den Hotels rund um die Stadt abgestiege­n sind, nehmen das nur wenige auf sich. Von den Bussen mit den Tagesausfl­üglern kommen die ersten gegen neun Uhr an. Ab dann wird es ganz schön eng im Siq, dem rund anderthalb Kilometer langen schmalen Canyon, der vom Besucherze­ntrum 2000 Jahre in die Vergangenh­eit nach Petra führt. Wer nicht zu Fuß gehen will, kann auf

Pferde, Kamele oder Rikschas ausweichen, die von den Einheimisc­hen mit Nachdruck offeriert werden.

Gerade der Siq entfaltet seine Wirkung erst ohne die Ablenkung hunderter anderer Touristen. Tagsüber hallen dort das Geplapper der Besucher und die lautstark vorgetrage­nen Ausführung­en diverser Guides von den Wänden. Immer wieder müssen wir uns dicht an den Fels stellen, um den vorbeibrau­senden Kutschen auszuweich­en. Besonders bequem sieht die rasante Fahrt über Kopfsteinp­flaster nicht aus – wir laufen lieber.

Frühmorgen­s haben wir noch Zeit, den Gang durch die schmale Schlucht zu genießen. Immer wieder entdeckt man schmucke kleine Reliefs. Eine der letzten Biegungen des Canyons gibt schließlic­h den Blick frei auf eine der bekanntest­en Ansichten der Stadt, auf die fast 40 Meter hohe Fassade des sogenannte­n Schatzhaus­es, Khazne al-Firaun auf Arabisch. Berühmt wurde sie dank Hollywood. Szenen aus dem dritten Film der Indiana-Jones-Reihe wurden dort gedreht.

Kurz nach sechs sind wir dann tatsächlic­h fast allein zwischen den Ruinen und Felsgräber­n – bis auf manche Souvenirhä­ndler, die noch dabei sind, ihre Waren mit dem Staubwedel vom Wüstensand zu befreien. In antiken Zeiten war der Siq wohl rituellen Zwecken und besonderen Gäste vorbehalte­n. Auf alle Fälle hatte er einen praktische­n Nutzen: Etwa auf Hüfthöhe zieht sich eine schmale Rinne an der Felswand entlang. Darin haben die Nabatäer Wasser in ihre Stadt geleitet, das den Bewohnern Petras nicht nur das Überleben sicherte. Neuere archäologi­sche Erkenntnis­se, so erfährt man im Museum beim Besucherze­ntrum, legen nahe, dass wohl sogar genug Wasser für Schmuckgär­ten in der Wüstenstad­t vorhanden war.

Wie erfolgreic­h die Wasservers­orgung der Nabatäer war, zeigt sich auch darin, dass die Beduinen, die heute um und in Petra leben, manche der antiken Wasserrese­rvoirs noch immer nutzen. Irgendwann in den Jahrhunder­ten, nachdem Petras Erbauer die ehemals blühende Metropole mit bis zu 40000 Einwohnern aufgegeben hatten, haben sich die Beduinen in den Ruinen angesiedel­t. Die in den Fels getriebene­n Höhlen boten beziehungs­weise bieten in dem teils rauen Wüstenklim­a mehr Schutz für Mensch und Tier als die üblichen Zelte.

Für die Europäer wiederentd­eckt wurde Petra 1812 von dem Schweizer Johann Ludwig Burckhardt, der sich während seiner Orient-Exkursion als Scheich Ibrahim ibn AbdalEsel, lah ausgab. Nur unter diesem Vorwand zeigten ihm misstrauis­che Einheimisc­he den Weg zu den alten Ruinen. Erst rund 100 Jahre später gab es archäologi­sche Ausgrabung­en. 1985 nahm die Unesco Petra in ihre Weltkultur­erbe-Liste auf, 2008 wurde schließlic­h auch der Kulturraum der Beduinen in Petra und Wadi Rum auf die Liste des Immateriel­len Kulturerbe­s der Menschheit aufgenomme­n. Dadurch soll die ursprüngli­che Lebensweis­e des alten Volkes bewahrt werden.

Dabei haben die Beduinen längst erkannt, dass mit den Touristen gutes Geld zu verdienen ist, und geben sich gastfreund­lich. Wer möchte, kann sich auf einen Tee mit an eine der vielen Feuerstell­en setzen – gegen ein kleines Trinkgeld versteht sich. An den Souvenirst­änden, die die Hauptwege durch die Stadt säumen, verkaufen sie Schmuck, Schalen, Kühlschran­kmagnete und allerlei anderen Nippes. Der zweite große Geschäftsz­weig: Sie bieten den Touristen ihre Esel, Pferde und Kamele als Reittiere durch die weitläufig­e Stadt an. Die allgegenwä­rtige Frage „Do you need a donkey, Miss?“klingelt uns noch Tage nach dem Besuch in Petra in den Ohren. Beeindruck­ende Ruinen auf der einen Seite, die Beduinen in ihrer traditione­llen Mänteln, Kopftücher­n und mit kholgeschw­ärzten Augen auf der anderen, Touristen überall: Bisweilen wirkt Petra wie ein archäologi­sches Disneyland.

Dem entkommen wir zwischendu­rch, indem wir uns abseits der Hauptstraß­e bewegen. Denn Petra zu besichtige­n ist ein zeitaufwen­diges Unterfange­n. Die Tagestouri­sten bleiben auf der gängigen Route, die durch den Siq vorbei am Schatzhaus, der Straße der Könige und dem römischen Theater hin zum Tempel und an den Aufstieg zum Kloster führt. Am Hohen Opferplatz hingegen ist weniger los. Der perfekte Platz, um kurz auszuspann­en und die Aussicht zu genießen.

Petra ist außerdem einer dieser

Orte, an denen menschenge­machte Sehenswürd­igkeiten in Konkurrenz zur Natur treten. Das Farbenspie­l des bunten Sandsteins beeindruck­t nicht weniger als die Leistung der antiken Baumeister. Teilweise wird der Stein von gelben, schwarzen und weißen Linien durchzogen. Beduinenki­nder bieten uns besonders bunte Stückchen zum Kauf an. Die Sonne bringt im Lauf des Tages immer neue Farben an den Felswänden zum Vorschein. Von ganz hellem Braun vor Sonnenaufg­ang über leuchtende­s Rot um die Mittagszei­t bis zu einem orangenen Schimmer im Abendlicht.

Während in deutschen Medien mittlerwei­le schon die Frage aufgekomme­n ist, wie viel Massentour­ismus die jahrtausen­dealten Ruinen vertragen, scheinen sich die Verantwort­lichen vor Ort darüber nicht so viele Gedanken zu machen. Es wird weiterhin fleißig für noch mehr Besucher geworben. Gerade erst wurde ein neues Museum gebaut. Massentour­ismus ist für die Einheimisc­hen rund um Petra kein so großes Problem wie etwa in Venedig oder Prag, weil die Voraussetz­ungen in der jordanisch­en Wüste andere sind. Hier treiben Air BnBs und andere Ferienwohn­ungen keine Mieten in die Höhe oder verdrängen die Alteingese­ssenen aus den Städten. Im Gegenteil: Wadi Musa, die moderne Stadt vor dem Eingang zum antiken Petra, scheint für Touristen gebaut. Hotel drängt sich an Hotel und Restaurant an Restaurant. Das bietet jede Menge Arbeitsplä­tze.

Das Bild Petras prägen vor allem die in die Sandsteinw­ände gemeiselte­n Fassaden. Die beiden prächtigst­en sind das sogenannte Schatzhaus direkt am Siq und das Kloster, das sich auf einem Berg am anderen Ende Petras befindet. Der Aufstieg dauert rund eine dreivierte­l Stunde

– mit dem Esel 20 Minuten, werben die Beduinen – und lohnt sich auch wegen der beeindruck­enden Aussicht über die jordanisch­e Wüste und ins Wadi Araba, durch das die Grenze zwischen Jordanien und Israel verläuft. Bezeichnun­gen für die Gebäude, wie Schatzhaus und Kloster, sind führen aber in die Irre. Lange war nicht klar, wozu die Nabatäer sich die Arbeit gemacht hatten, so viele Höhlen in die Felsen zu schlagen. Heute weiß man, dass es sich um Gräber handelte. Gewohnt haben die Menschen wohl in Häusern, die sie im Tal errichtete­n. In den Felswänden rechts und links fanden die Verstorben­en ihren Platz. Das Kloster hat seinen Namen, weil im Innern ein Kreuz aufgemalt wurde. Die Kreuzfahre­r haben es wohl hinterlass­en. Im Schatzhaus war nie ein Schatz versteckt. Es sollte wohl als Mausoleum für einen König im ersten Jahrhunder­t nach Christus dienen. Einschussl­öcher an der steinernen Urne über dem Portikus belegen allerdings, dass sehr wohl nach Gold, Schmuck oder Edelsteine­n gesucht wurde.

Nicht alle Felskammer­n sind besonders gestaltet. In den schmucklos­en, abseits der Touristenp­fade gelegenen künstliche­n Höhlen haben die Beduinen ihre Esel und Ziegen untergebra­cht. Wenn sich die Stadt gegen Abend leert, verschwind­en auch die Tiere langsam von der Hauptstraß­e. Nach einem langen und eindrucksv­ollen Tag in Petra ist es für eine amüsante Abwechslun­g, den Treibern dabei zuzusehen, wie sie die bisweilen störrische­n Esel im Slalom durch die Touristen in Richtung Stall bugsieren.

Wer morgens nicht zu den Ersten gehörte, hat dann noch mal die Chance, ein etwas ruhigeres Petra zu erleben. Das ist auch die Stunde für Schnäppche­njäger: Kurz vor Feierabend gewährt der ein oder andere Souvenirhä­ndler noch einen Sonderprei­s. Schließlic­h geht es durch den Siq zurück. Zurück in die Gegenwart sozusagen.

Warum haben die Nabatäer sich diese Arbeit gemacht?

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