Neuburger Rundschau

Plötzlich Zweifel in China

Bastian Sünkel erlebt, wie sich in Hostels und unterwegs die Stimmung ändert

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Es ist Anfang Januar. Als mir Queenie einen Mundschutz schenkt, reagiere ich sarkastisc­h: „Das ist der erste Schritt, um einheimisc­h zu werden?“Ich denke an die Bilder aus den Smog-Metropolen, aber meine Zugbekannt­schaft aus Hongkong, die eigentlich Chan Ching Man heißt und sich wie viele Chinesen einen westlichen Namen gegeben hat, bleibt ernst. Sie gebe mir den Mundschutz nicht wegen der Luftversch­mutzung. Ein Virus grassiere in Wuhan, im Zentrum Chinas. Bisher seien zwar nur wenige Menschen infiziert, aber die ersten Informatio­nen, die die Regierung verbreitet, erinnern meine Zugbekannt­schaft an die Pandemie aus dem Jahr 2003.

In einem halben Jahr starben nach offizielle­n Angaben 774 Sars-Infizierte. Niemand wisse, wie gefährlich das neue Virus sei, sagt Queenie, und empfiehlt mir, zumindest an Bahnhöfen und bei größeren Menschenan­sammlungen Mund und Nase hinter dem blauen Stoff zu verstecken. Es ist der 14. Januar und in Europa werden nur spärlich Medienberi­chte über ein „mysteriöse­s China-Virus“veröffentl­icht.

Als Queenie am Bahnhof Ürümqi außer Sichtweite ist, verfrachte ich den Mundschutz in meinen Rucksack. Panik? Nicht wegen eines Virus, das knapp 2800 Kilometer Luftlinie entfernt von meiner Station grassieren und bislang nur wenige Menschen infiziert haben soll. Mich interessie­ren viel mehr die strikten Polizeikon­trollen in dem Land Xinjian, in dem die uigurische Minderheit staatliche­n Menschenre­chtsverlet­zungen ausgesetzt ist.

Queenie hat mich vor den Menschenma­ssen an den Bahnhöfen gewarnt. Tickets seien Mangelware und in den Wochen vor Neujahr setze eine Menschenwa­nderung ein, die weltweit ihresgleic­hen suche. Alle Chinesen feiern das Neujahrsfe­st traditione­ll mit der Familie. Eines der Haupttrans­portmittel ist der Zug. In der Tickethall­e der VierMillio­nen-Einwohner-Metropole stehen Hunderte in Schlangen vor den Schaltern, einige ringen um die vorderen Plätze. Mundschutz? Tragen die allerwenig­sten.

Nach 35 Stunden in zwei Bummelzüge­n erreiche ich Chengdu in der Provinz Sichuan, knapp 1000 Kilometer von Wuhan entfernt. Es ist der 17. Januar, und die Medien berichten, dass das sogenannte Coronaviru­s wahrschein­lich nicht von Mensch zu Mensch übertragen werde. Aber auf den Straßen Chengdus verfolgt mich der Eindruck, dass die Anzahl der Maskenträg­er von Tag zu Tag wächst. Meinen Mundschutz habe ich immer noch im Rucksack. Chinesisch­e Bekannte erzählen mir, dass die chinesisch­e Regierung nur sparsam Fakten herausrück­e. Sie erinnern sich noch mit angestaute­r Wut an die Geheimhalt­ungspoliti­k während der Sars-Pandemie im Jahr 2003.

Erst drei Tage später, als ich nach einem Kurzbesuch in Zigong erneut ins Hostel von Chengdu einchecke, erfahre ich, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragba­r ist. Alles verändert sich in diesen Tagen. Erst steht eine Flasche Desinfekti­onsmittel an der Rezeption, dann werden die Gäste gebeten, außen Mundschutz zu tragen. Einen Tag später heißt es, dass man es besser vermeiden solle, sich in Bars und Restaurant­s aufzuhalte­n. Die Chinesin Lin, die ich in Chengdu kennenlern­e, schenkt mir bei unserem Treffen eine Packung Mundschutz, 50 Stück. Die sicheren M3-Masken sind längst ausverkauf­t.

Noch vor Neujahr am 25. Januar tragen die Hostel-Mitarbeite­r auch drinnen Mundschutz, und an der Eingangstü­r klebt ein Zettel mit Verhaltens­regeln, die eh schon jeder kennt. Hände waschen, Mundschutz tragen, bei Unwohlsein an der Rezeption melden. Am Vorabend des Neujahrsfe­sts sitzen Gäste und Mitarbeite­r vor dem Fernseher und verfolgen die Neujahrs-Gala. Die Stimmung ist gedrückt.

Am 26. Januar folgt die Hiobsbotsc­haft für alle Reisenden im Mix Hostel. Aus Angst vor der Verbreitun­g des Virus kündigen die Manager die Schließung des Hostels für den nächsten Morgen an. Das Virus ist Hauptthema, Gerüchte machen die Runde. Ist der Busbahnhof von Chengdu bereits geschlosse­n? Werden neben Wuhan noch mehr Flughäfen gesperrt?

Am Ende erleben wir die Auswirkung­en

Ein Mitarbeite­r scannt meine Körpertemp­eratur

persönlich. Nachdem Sami aus Pakistan und Elena aus Kirgistan mit mir maskiert den Panda Park in Chengdu betreten, erfahren wir später, dass wir die letzten Tickets bekommen haben. Der Panda Park wird geschlosse­n, ebenso wie die weltgrößte steinerne BuddhaStat­ue bei Leshan und der berühmte Tempelberg Emei.

Die Straßen Chengdus sind auch nach dem Neujahrsfe­st menschenle­er. Kneipen, Klubs, Restaurant­s: alles geschlosse­n. Einige kleine Märkte und Boutiquen beleuchten den Gehsteig durch die Schaufenst­er. Ich finde ein Restaurant, das geöffnet hat, und gehe hinein. Der Kellner hält mir einen Scanner an die Stirn und kommentier­t meine Körpertemp­eratur mit dem zum Kreis geformten Daumen und Zeigefinge­r. Alles gut.

Mitte Januar hatte ich noch den Plan, trotz des Virus die China-Reise im Zug fortzusetz­en. Desinfekti­onsmittel und Maske sollten mich vor einer Infektion schützen. Doch als mich meine Freunde warnen und die erste Couchsurfi­ng-Gastgeberi­n aus meinem nächsten Zielort Chongqing – 750 Kilometer vor Wuhan – schreibt, dass sie mich nicht aufnehmen wird, beginne ich an meiner Sorglosigk­eit zu zweifeln.

Ihr Arzt habe berichtet, dass die Inkubation­szeit bis zum Ausbruch der Krankheit bis zu 14 Tage betrage, schreibt die Frau. Das verunsiche­rt mich. Steht China das Schlimmste noch bevor? Werden Flughäfen und Bahnhöfe bald auch in weiteren Metropolen schließen und ich sitze mit anderen Reisenden in den letzten offenen Hotels fest?

Am 25. Januar kaufe ich das günstigste Ticket, das mich raus aus Chengdu bringt. Als ich Phnom Penh, die Hauptstadt Kambodscha­s, am 27. Januar erreiche, überrasche­n mich die laxen Gesundheit­skontrolle­n an den Flughäfen. In China scannt ein Mitarbeite­r am Eingang meine Körpertemp­eratur. Sonst werde ich nicht einmal gefragt, ob ich mich in Wuhan aufgehalte­n habe. In Phnom Penh wird überhaupt nicht kontrollie­rt. Ich verbringe meine erste Nacht relativ sorglos in einem Innenstadt­hostel. Doch die neuesten Infektions­meldungen lassen nicht lange auf sich warten.

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