So sieht ein Flug für den Piloten aus
Unsere K!ar.Texterin fliegt im Cockpit eines Airbus 320 von München nach Hamburg. Dabei hat sie jeden Handgriff von Pilot Reinhard Kiwitt genau im Blick. Der achtet zum Beispiel auf Wegpunkte, die gar nicht existieren
Neuburg In der Abflughalle des Münchner Flughafens herrscht reges Gedränge. Durch das Stimmengewirr ertönt die Lautsprecherstimme: „Alle Passagiere für den Flug EW 1976 nach Hamburg möchten bitte zum Gate A19 kommen.“Ich schnappe mir meine Kamera und reihe mich für das Boarding in der Schlange ein. Mehr Gepäck brauche ich nämlich nicht - denn heute ist der Weg das Ziel. Ich darf mit dem Piloten Reinhard Kiwitt auf dem sogenannten Jump Seat im Cockpit mitfliegen.
Ein Bus bringt uns zum Flugzeug, ein Airbus 320. Als ich das Cockpit betrete, sind Kiwitt und sein Co-Pilot mitten in den Flugvorbereitungen. Ich lasse mich auf dem ausklappbaren Jump Seat an der Rückwand des Cockpits nieder und schnalle mich an. Damit ich mich später – trotz der lauten Geräuschkulisse während des Fluges – mit den Piloten unterhalten kann, setze ich noch ein Headset auf. Aus der Kabine bekommen wir via Funk die Information „Boarding completed“. Dann rollen wir auch schon los zur Startbahn. Mit der Starterlaubnis vom Tower drückt Pilot Kiwitt den Schubhebel vor, und wenige Sekunden später hebt die Maschine ab.
„Der Start erfordert allerhöchste Konzentration“, sagt Kiwitt. Sobald am Boden die sogenannte Entscheidungsgeschwindigkeit erreicht ist, muss das Flugzeug abheben. Ab dann reicht die verbleibende Länge der Startbahn nicht mehr, um zum Stehen zu kommen. Der Punkt, an dem das Flugzeug diese Geschwindigkeit erreicht, wird metergenau berechnet, sodass im Falle eines Triebwerkausfalls noch genügend Bremsweg vorhanden ist. Der Start wird daher immer von Hand geflogen. „Eigentlich könnte man den Autopiloten einschalten, sobald man in der Luft ist“, sagt der erfahrene Pilot. „Aber das machen die wenigsten. Schließlich will man als Pilot auch ein bisschen selbst fliegen.“Er dreht eine Kurve über München und fliegt den Wolken entgegen.
Der Autopilot wird vom Bordcomputer mit Informationen versorgt. Dieser wurde vor dem Flug mit sämtlichen Daten wie der Flugroute, dem Gesamtgewicht oder dem Spritbedarf programmiert. Viele dieser Informationen bekommen die Piloten vor dem Flug als sogenanntes Briefing-Paket im Crewraum zur Verfügung gestellt. Anhand dieser Unterlagen bereiten sie sich auf den Flug vor und informieren anschließend die Kabinencrew. Kiwitt: „Für die Stewards und Stewardessen ist es vor allem wichtig zu wissen, wo Turbulenzen auftreten werden. Je nach Intensität kann dort eventuell kein Getränkeservice angeboten werden.“
Auch im Cockpit rumpelt es ein wenig, als wir die Wolkendecke durchbrechen. Der Autopilot ist mittlerweile an, übernimmt das Lenken und hält die passende Geschwindigkeit. Sehen kann ich allerdings nichts - wir sind umgeben von einem grauen Wolkenmeer. „Während des Fluges orientieren wir uns an bestimmten Funkfeuern und Wegpunkten, die auf unserer Strecke liegen. Die existieren in der Realität nicht wirklich, bieten aber die Möglichkeit, in der Luftfahrt auch bei fehlender Sicht oder Dunkelheit zu navigieren.“Kiwitt zeigt auf einen Bildschirm, der die Flugroute und die imaginären Funkfeuer anzeigt. „Hier sehen wir außerdem alle anderen Flugzeuge, die sich im näheren Umkreis befinden. Das dient jedoch nur als zusätzliche Absicherung, denn wir sind durchgehend über Funk in Kontakt.“Auch gegen Pannen gebe es Sicherheitsmaßnahmen, erklärt der Pilot: „Im Flugzeug ist nahezu jede Funktion und jeder Knopf mindestens zweioder dreimal vorhanden.“
Während der Kapitän die Steuerung des Flugzeugs und den Funk übernimmt, baut der Co-Pilot „sein
Büro“auf. Er klappt einen kleinen Tisch vor sich aus und kümmert sich um einige Unterlagen, die während des Fluges ausgefüllt werden müssen. Diese Aufteilung in den Pilot flying (PF) und den Pilot not flying (PNF) wird bereits im Crewraum festgelegt. „Das Zusammenspiel der beiden Piloten ist essenziell und wird in regelmäßigen Schulungen geübt“, sagt Kiwitt. „Wir bereiten uns vor dem Flug schon auf alle möglichen Situationen vor und sprechen unsere Handlungsmöglichkeiten durch. In der Luft haben wir manchmal in Notsituationen nicht viel Zeit, um Entscheidungen zu treffen. Da muss die Reaktion schnell sein und die Zusammenarbeit funktionieren.“
Kiwitt und sein Co-Pilot sind schon oft zusammen geflogen und bilden ein eingespieltes Team. Die Stimmung im Cockpit ist entspannt. Ich unterhalte mich mit den Piloten über ihre Lieblingsziele, den Arbeitsalltag und ihre Ausbildung. Von ihrer Arbeit lassen sie sich aber nicht ablenken – bei jedem Funkkommando sind sie fokussiert und arbeiten äußerst professionell. Trotz der Turbulenzen fühle ich mich im Flugzeug absolut sicher.
Früher konnte Kiwitt Passagiere mit Flugangst problemlos im Cockpit mitnehmen, um ihnen zu zeigen, was dort eigentlich passiert, und ihnen so die Angst nehmen. Seit den Anschlägen am 11. September 2001 und den daraus resultierten strengeren Sicherheitsmaßnahmen ist das nicht mehr möglich – außer für Reporter.
Bevor wir den Landeanflug zum Hamburger Flughafen beginnen, drückt Kiwitt einige Knöpfe. Ein Zettel wird gedruckt, der einem Kassenbon gleicht. „Ich habe gerade das Wetter bestellt“, sagt er. „Das brauchen wir vor allem für die Bestimmung der Landebahn und die Art des Anflugs.“Die Landung verläuft reibungslos. In Hamburg angekommen, werden zunächst die Fluggäste von der Kabinencrew verabschiedet. Reinhard Kiwitt und sein Co-Pilot tauschen für den anstehenden Rückflug nach München ihre Rollen als PF und PNF. Ich bekomme eine Warnweste und begebe mich mit Kiwitt für den „Outside Check“nach draußen. Dabei nimmt der PNF das Flugzeug vor jedem Abflug von außen in Augenschein, überprüft die Hydraulik, untersucht die Maschine auf Lecks und kontrolliert Reifen, Lampen und Bremsen. Auch die Triebwerke müssen auf Beschädigungen etwa durch Vögel und auf Vereisungen überprüft werden.
Ist der Kontrollgang abgeschlossen, bekommt der PNF vom PF ein kurzes Briefing zu den Navigationsund Performance-Daten, die für den Rückflug in den Bordcomputer einprogrammiert wurden und das Spiel geht wieder von Neuem los. »Lies mich!