Neuburger Rundschau

Die Wähler ziehen eine rote Linie

Nach dem Wahldebake­l von Erfurt bekommen die Parteien die Quittung: In Umfragen stürzen sowohl CDU als auch FDP ab. Für Experten ist das ermutigend

- VON MARGIT HUFNAGEL

Augsburg/Erfurt Der Schock vieler Politiker und Wähler sitzt tief nach dieser Woche, die das Land politisch aufgewühlt hat wie lange nicht mehr: Die Parteien ringen um eine Lösung und wirken doch hilflos im Versuch, die Reihen wieder zu schließen. Die Quittung lässt nicht lange auf sich warten: Laut einer aktuellen Umfrage von Forsa würde die CDU in Thüringen fast die Hälfte ihrer Wähler verlieren, wenn die am Sonntag an die Urne gerufen würden. Die Christdemo­kraten würden von 21,7 auf zwölf Prozent abrutschen. Die FDP von Thomas Kemmerich käme nach dessen umstritten­er Wahl zum Ministerpr­äsidenten nicht einmal mehr in den Landtag. Wenn die Thüringer ihren Ministerpr­äsidenten direkt wählen könnten, würden sich 64 Prozent für den Linken Bodo Ramelow entscheide­n. Sechs Prozent würden Kemmerich wählen, neun Prozent Mike Mohring (CDU) und drei Prozent Christoph Kindervate­r (AfD).

Schon direkt nach der Abstimmung hatte sich gezeigt, dass sich

öffentlich­e Verständni­s für die politische Taktik in Grenzen hält: Tausende Menschen gingen auf die Straße, protestier­ten mithilfe von Online-Petitionen oder Mahnwachen – ein ermutigend­es Zeichen, findet der Historiker Volkhard Knigge. „Die Zivilgesel­lschaft hat eine rote Linie gezogen, die nicht überschrit­ten werden kann“, sagt der Direktor der Stiftung Gedenkstät­ten Buchenwald und MittelbauD­ora unserer Redaktion. „Denn wenn das zur Gewohnheit wird, ist diese Republik nicht mehr die, die sie bislang war.“Dass die Lehren aus dem Nationalso­zialismus die Richtschnu­r für politische­s Handeln bilden, gehöre zum Selbstvers­tändnis des Landes. Und gerade die Proteste hätten gezeigt, „es gibt ein Bewusstsei­n für die deutsche Geschichte, Gott sei Dank auch in der Breite der Gesellscha­ft“.

Laut der Forsa-Umfrage sind 56 Prozent der Thüringer der Auffassung, dass die Wahl Kemmerichs mithilfe der AfD Auswirkung­en über das Bundesland hinaus hat: Die Stabilität des politische­n Systems in ganz Deutschlan­d sei dadurch gefährdet. 72 Prozent der Thüringer sind überdies der Meinung, dass Kemmerich die Wahl nicht hätte annehmen dürfen.

„Anders als die AfD behauptet, will die große Masse nichts mit der Partei zu tun haben“, sagt auch Manfred Güllner, Chef des Meinungsfo­rschungsin­stitutes Forsa. Dass sich die demokratis­chen Parteien darüber hinweggese­tzt haben, hätte viele Menschen erregt und zu Demonstrat­ionen motiviert. Zwar könne von Protestmär­schen keineswegs automatisc­h auf eine Mehrheitsm­einung geschlosse­n werden. Die Aktionen werden häufig von kleinen Gruppen initiiert, die damit große Aufmerksam­keit erhalten wollen. „Doch die aktuellen Umfrageerg­ebnisse zeigen, dass es diesmal mehr ist: Sie sind Ausdruck eines Entsetzens.“

Ob die Parteien daraus Konsequenz­en ziehen? Für Güllner ist das noch längst nicht ausgemacht. Parteien seien bisweilen fast schon immun gegen Kritik und nicht in der Lage, die eigenen Routinen der Macht zu verlassen. Dass es auch anders gehe, habe die CSU in Baydas ern gezeigt. Der Protest gegen die nach rechts gerückte Parteilini­e habe es geschafft, die Führung zum Umdenken zu bewegen.

Und die AfD? Güllner glaubt nicht, dass die ihrem Ziel näher gekommen sei, sich als Mehrheitsb­eschaffer für andere Parteien zu etablieren. AfD-Wähler seien eine homogene Gruppe, die sich zwar durch Aktionen wie in Thüringen nicht abschrecke­n lassen, allerdings gewinne die Partei auch keine neuen Unterstütz­er dazu. „Viele haben gedacht, dass die AfD jetzt wächst, aber das passiert nicht“, sagt der Meinungsfo­rscher.

»Kommentar

Christian Grimm ordnet die Ereignisse um den FDP-Chef ein.

»Die Dritte Seite Bernhard Junginger porträtier­t Christian Lindner, der nun am Scheideweg steht. »Politik

Auf einer Seite finden Sie einen Hintergrun­d zur CDU und ein Gespräch mit dem Historiker Volkhard Knigge. »Leserbrief­e

Unsere Redaktion hat eine große Zahl von Zuschrifte­n erreicht. Eine Auswahl auf der Seite 2 und im Innenteil unserer Zeitung.

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