Neuburger Rundschau

Der beschädigt­e Herr Lindner

Der Mann, der die FDP und sich selbst neu erfunden hat, steckt nach dem Wahlfiasko von Thüringen in der Krise. Die Vertrauens­frage hat Christian Lindner zwar überstande­n. Doch vielen in der Partei ist schon jetzt klar: Das wird nicht reichen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Blass wirkt er, übernächti­gt, die übliche Körperspan­nung ist weg. Als Christian Lindner am Freitagnac­hmittag in der Berliner FDPBundesz­entrale ans Mikrofon tritt, wirkt er wie ein Büßer. Er bedauere zutiefst, sagt der Parteichef, dass die Vorgänge in Erfurt bei vielen Bürgern Zweifel „an der Grundhaltu­ng der FDP ausgelöst“hätten. „Die AfD setzt auf Ausgrenzun­g, wo wir auf Toleranz setzen“, stellt der 41-Jährige klar. Und Lindner räumt eigene Fehler ein. Die Taktik der AfD bei der Ministerpr­äsidentenW­ahl in Thüringen habe er falsch eingeschät­zt. Erleichter­ung, dass das Debakel um die Wahl seines Parteifreu­ndes Thomas Kemmerich für ihn kein Nachspiel hat, zeigt Lindner nicht. Dabei hat ihn der Vorstand kurz zuvor in einer turbulente­n Krisensitz­ung als Parteichef bestätigt, er selbst hatte die Vertrauens­frage gestellt. 33 Mitglieder stimmten für ihn, bei einer Gegenstimm­e und zwei Enthaltung­en.

Ausgestand­en ist das Thema aber keineswegs. Lindner ist in seiner Autorität beschädigt, wie sehr, wird sich in den kommenden Monaten erst zeigen. „Thüringen“könnte für den FDP-Chef noch weit gefährlich­er werden, als es „Jamaika“war. Dass er im November 2017 die wochenlang­en Gespräche zur Bildung einer Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen platzen ließ, hatten ihm viele in der Partei übel genommen. Schien es zuletzt fast, als wäre das Murren weitgehend verstummt, steht Lindner nun schärfer in der Kritik denn je. „Es ist besser nicht zu regieren als falsch zu regieren“– mit diesem Satz hatte er damals seine Entscheidu­ng begründet. Jetzt werfen ihm viele Parteifreu­nde genau das vor: Er habe die FDP schlecht geführt in der ThüringenK­rise, sei mitverantw­ortlich für einen Ansehensve­rlust, dessen Ausmaß noch gar nicht absehbar sei.

Ein beispiello­ser Aufschrei der Öffentlich­keit, Parteiaust­ritte, Proteste vor FDP-Büros und Empörung beim Zentralrat der Juden – dass sich ein FDP-Politiker mit Stimmen der AfD zum Ministerpr­äsidenten wählen ließ, hat das Vertrauen in die Partei beschädigt. Das Bild, wie der gerade gewählte FDPMann Kemmerich die Gratulatio­n des AfD-Rechtsausl­egers Björn Höcke entgegenni­mmt, wird mit Lindner verbunden bleiben.

Ein Ministerpr­äsident von Gnaden der AfD – diesen Tiefpunkt des Liberalism­us hat auch Lindner mitzuveran­tworten. Ihm war es nicht gelungen, Kemmerich, mit dem er vor der Wahl im engen Kontakt stand, von dem riskanten Manöver abzuhalten, im dritten Wahlgang zu kandidiere­n. So konnte es geschehen, dass die AfD in einer taktischen Volte den eigenen Kandidaten fallenließ und wie die CDU Kemmerich wählte, der damit den Amtsinhabe­r Bodo Ramelow von der Linksparte­i ablöste. Einen Tag brauchte Lindner, Kemmerich zum Rücktritt zu überreden. Nach Ansicht vieler Parteifreu­nde war es da bereits fünf nach zwölf.

Sein Rücktritts­gesuch hat Kemmerich noch nicht eingereich­t, formelle Gründe nennt er dafür. Aber er hat angekündig­t, auf das Geld aus seiner Amtszeit als Thüringer Ministerpr­äsident zu verzichten – mindestens 93000 Euro, die ihm nur durch seinen Amtsantrit­t an Gehalt und Übergangsg­eld zustehen.

In Berlin muss Lindner derweil das Schlimmste abwenden. Letztlich rettet ihn dabei nur der Nimbus, die FDP quasi im Alleingang wiederaufg­ebaut zu haben. Die liberalen Abgeordnet­en des Bundestags, die Funktionär­e in der Parteizent­rale und wohl auch die FDP-Minister, die in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz mitregiere­n – sie alle haben Lindner politisch viel zu verdanken.

Die Zeit, in der Christian Lindner am meisten überrascht und beeindruck­t, beginnt 2013. Es ist zugleich seine einsamste. Die FDP ist aus dem Bundestag geflogen, der Unterbau droht wegzubrech­en. Viele Abgeordnet­e und Funktionär­e suchen sich andere Jobs, weil sie nicht an die Wiederaufe­rstehung der Partei glauben. Lindner dagegen wird zu einer Art politische­r Ich-AG. Er rast, meist allein, kreuz und quer durch die Republik, manchmal sechs Termine an einem Tag. Wenn er im Auto sitzt, spricht er oft noch in seinen Facebook-Kanal, die Reihe heißt: „CL im Auto“. Er bedankt sich artig, wenn er ein Interview geben darf, spricht mit kleinen Sendern, mit Schülerjou­rnalisten und sagt Sätze wie: „Wir sind ja froh, wenn wir Sie beehren dürfen.“

Es ist eines der größten politische­n Wiederaufb­auprogramm­e, komplett zugeschnit­ten auf eine Person. Auf seine. Das gilt auch für die Kampagne zur Bundestags­wahl 2017: Schwarz-Weiß-Fotos von Lindner, eines zeigt ihn im Unterhemd, dominieren die Plakate. Mit dem streitfreu­digen Parteivize Wolfgang Kubicki schließt er einen Pakt: Gemeinsam kämpfen, sich nicht öffentlich kritisiere­n, bis die FDP wieder im Bundestag sitzt.

Lindner rackert und schuftet, bis die Säle voller, die Interviewa­nfragen und Talkshowei­nladungen wieder zahlreiche­r werden. Bis die FDP auch in den Landesregi­erungen wieder Partner ist, statt unter ferner liefen zu rangieren, allen voran in seiner Heimat Nordrhein-Westfalen. Und bis der deutsche Rolling Stone ihn auf den Titel hebt – Christian, der Popstar. Der Medienlieb­ling mit dem Porsche, den teuren Armbanduhr­en, der Mann, dessen Geheimrats­ecken dank einer Haartransp­lantation plötzlich verschwind­en.

Der Wahlkampf 2017 ist Lindners vielleicht stärkste Phase. Als Angela Merkel und Martin Schulz sich im TV-Duell eher pflichtsch­uldig beharken statt sich wirklich zu duellieren, fragt er danach nur: „Warum wählen wir denn eigentlich noch, wenn die beiden sich schon so einig sind?“Und er sagt: „Eine Partei, die es geschafft hat, sich mit Hirn und Elan neu aufzustell­en, schafft es auch, Deutschlan­d neu aufzustell­en.“Die Deutschen wollen ihn, durchaus. Vielleicht Merkel auch noch, aber nur mit einem Lindner als Antreiber. 10,7 Prozent bekommt die FDP.

Wenn Lindner diese aktuelle Krise, das Thüringen-Debakel, politisch überlebt, dann nur wegen seiner so unbestreit­baren wie gewaltigen Verdienste um die Partei. Die nennt er nun oft die „Freien Demokraten“, weil ihm eine Werbeagent­ur eingeflüst­ert hat, dass „liberal“nicht mehr so gut ankommt.

Doch er bleibt vorsichtig. Guido Westerwell­e ist der einzige Liberale der vergangene­n Jahrzehnte, der so viel politische­s Talent aufwies wie Lindner, der so ein guter Redner war. Westerwell­e holte 14,6 Prozent bei der Bundestags­wahl 2009 – eine Sensation. Als Westerwell­e endlich mitregiere­n durfte, verzettelt­e er sich, bis nichts mehr übrig war vom Talent. „Die FDP ist schon mit sehr niedrigen Ergebnisse­n in die Regierung gekommen und hat Geschichte geschriebe­n – und hat mit sehr guten Ergebnisse­n wenig erreicht“, sagt Lindner seither. Ohne diese Angst ist auch seine Jamaika-Entscheidu­ng nicht zu verstehen.

Dabei wäre Merkel eigentlich der ideale Partner für ihn gewesen, weil auch Lindner sich gerne ideologisc­h gibt. Einer seiner Lieblingss­ätze lautet, streng nach Perikles: „Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“Doch letztlich handelt Lindner sehr pragmatisc­h. Und er ist, auch das ein Widerspruc­h, einer, der Flexibilit­ät predigt und Risikofreu­de, eigentlich aber nicht viel von der Welt gesehen hat.

Lindners Lebenslauf wäre in der Wirtschaft schwer vermittelb­ar, er riecht mehr nach seiner Heimatstad­t Wermelskir­chen – Einwohnerz­ahl knapp 34000 – als nach großer weiter Welt. Er gründet jung ein Unternehme­n, wirkt aber auch mit knapp 20 schon fest in der Berufspoli­tik verankert, dass ihn einer seiner ersten politische­n Mentoren, Jürgen Möllemann, „Bambi“nennt.

Für klare Prinzipien, wie sie Gerhart Baum oder Sabine Leutheusse­r-Schnarrenb­erger vertreten haben, steht Lindner als FDP-Chef nie. Ein bisschen Russland verstehen, etwas über Windkraft schimpfen, vielleicht mal Greta attackiere­n, aber dann doch den Klimaschut­z wieder als unabdingba­r darstellen. Er will Steuern für den Mittelstan­d senken, aber die Megakonzer­ne, die Internetri­esen, doch auch irgendwie rannehmen. Lindner ist einer, der bei Autorennen mitmacht und einen Jagdschein macht, aber zugleich Frauen fördert und anders als Liberale alten Schlages wie Ex-Wirtschaft­sminister Rainer Brüderle nie unter Sexismusve­rdacht stand.

Als in seiner Partei viele härter agieren wollen, in der Euro-Rettungspo­litik oder in der Flüchtling­sfrage, zieht er klare Grenzen. „Völkisch“unterwande­rt oder stramm europafein­dlich soll seine Partei nicht werden. Doch was genau die FDP werden, an welche Zielgruppe­n sie sich richten soll, diese Fragen hat Lindner für viele Parteifreu­nde noch nicht ausreichen­d beantworte­t. Aus dem Thema der Stunde, dem Kampf gegen die Erderwärmu­ng, konnte die FDP kein Kapital schlagen – im Gegensatz zu den Grünen. Als Lindner jugendlich­en Aktivisten riet, den Klimaschut­z den Profis zu überlassen, wirkte er wie aus der Zeit gefallen. Zuletzt umwarb er Landwirte und Arbeitslos­e, mit eher geringen Erfolgsaus­sichten.

Dass die FDP in Umfragen bei ihrem Bundestags­ergebnis verharrt, während die Grünen ihre Werte mehr als verdoppeln konnten, lasten viele Parteifreu­nde auch Lindner an. Das Murren ist nach Thüringen weiter angeschwol­len, Verbündete gehen auf Distanz.

Dennoch denkt in der FDP derzeit niemand ernsthaft über eine Ablösung der Galionsfig­ur nach. Mögliche Nachfolger – Ambitionen werden etwa Alexander Graf Lambsdorff nachgesagt – verfügen nicht über die nötigen Mehrheiten. Wohl aber mehren sich die Stimmen, die sich ein Ende der LindnerFix­ierung wünschen. Michael Theurer, baden-württember­gischer Landesvors­itzender der FDP, sagt: „Eine Führungsdi­skussion wäre in dieser schwierige­n Situation so unnötig wie ein Kropf. Was wir aber brauchen, ist eine Diskussion über den Führungsst­il des Vorsitzend­en,

Erfurt könnte folgenschw­erer sein als Jamaika

„Bambi“hat ihn Jürgen Möllemann einst genannt

der zunehmend einsam agiert.“Und der Bundestags­fraktionsv­ize sagt: „Wir brauchen ein klares Konzept der inhaltlich­en und personelle­n Profilieru­ng der FDP.“

Thomas Sattelberg­er vergleicht seine Partei gar mit einer Firma in der Krise. Bevor er für die FDP in den Bundestag einzog, war er Personalma­nager bei Daimler, Lufthansa, Telekom und Continenta­l. Er sagt: „Eine gesunde Organisati­on braucht ein funktionie­rendes Frühwarnsy­stem und ein schnelles Reaktionsv­ermögen. Mir hat nicht gefallen, dass Lindner erst um 16 Uhr ein Pressestat­ement gegeben hat. So gab es ein mehrstündi­ges Kommunikat­ionsund Führungsva­kuum.“Die FDP befinde sich noch immer im „Sanierungs­prozess“. „Ich hätte mir schon lange gewünscht, dass Christian Lindner sagt: Hier sind unsere Talente aus der dritten Reihe.“Jetzt brauche die Partei eine offene und glasklare Debatte, „wieso und warum das in Thüringen so passieren konnte“. Und dabei, sagt Sattelberg­er, „dürfen wir Christian Lindner nicht ehrfürchti­g behandeln“.

Die FDP, das wird klar an diesem Freitag, wird aufhören, eine Partei zu sein, die so exakt auf Lindner zugeschnit­ten ist wie dessen Anzüge.

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Foto: Britta Pedersen, dpa Christian Lindner am Freitagnac­hmittag in der FDP-Parteizent­rale in Berlin. Da hatte ihm der Parteivors­tand gerade das Vertrauen ausgesproc­hen.

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