Neuburger Rundschau

In der eigenen Falle

Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r bekommt das für sie gefährlich­e Feuer in Thüringen nicht ausgetrete­n. Selbst der Versuch, die Verantwort­ung abzuwälzen, misslingt gründlich

- VON CHRISTIAN GRIMM UND MICHAEL POHL

Berlin Für Annegret Kramp-Karrenbaue­r läuft es nicht rund in diesen Tagen. Vor den Augen der ganzen Republik muss sie sich auf der Nase herumtanze­n lassen. Es sind ihre CDU-Parteifreu­nde aus dem kleinen Thüringen, die ihre Autorität untergrabe­n. Dabei leben Parteichef­s von der Autorität, dass sie ihren Laden zusammenha­lten können. AKK kann das nicht mehr. Krisensitz­ung folgt auf Krisensitz­ung. Vom vielen Sprechen ist ihre Stimme belegt. Nach dem Tabubruch von Erfurt, als ein FDP-Politiker mit Stimmen der CDU und der AfD zum Ministerpr­äsidenten gewählt wurde, hatte die Vorsitzend­e auf Neuwahlen gedrungen. Damit sollte das Desaster weggewasch­en werden. Doch die Thüringer CDU denkt nicht daran, ihrer Vorsitzend­en zu folgen. Also nun doch keine Neuwahlen. AKKs Blitzbesuc­h in Thüringen hatte trotz intensiver Gespräche bis in die tiefe Nacht zum Freitag hinein keinen Erfolg gebracht. Vor ihrem Aufbruch war sogar gestreut worden, renitente Parteimitg­lieder auszuschli­eßen. Doch die Drohungen bewirkten das Gegenteil. „Die angedrohte­n Zwangsmaßn­ahmen haben noch mehr irritiert“, berichtete der CDU-Landesvors­itzende Mike Mohring.

Die christdemo­kratischen Abgeordnet­en stellten sich trotz des enormen Drucks aus zwei Gründen stur – einem demokratie­theoretisc­hen und einem persönlich­en: Sie sehen

nicht ein, dass sie als frei gewählte Abgeordnet­e Befehlen aus Berlin gehorchen sollen. Und zweitens müssten viele um ihr Mandat bangen. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass die CDU bei Neuwahlen abschmiere­n würde.

Die eigentlich­e Ursache für die Nöte Kramp-Karrenbaue­rs liegt aber in der politische­n Sackgasse, aus der sie die CDU nicht herausgefü­hrt hat. Die Partei will weiter weder mit der AfD noch mit der Linksparte­i gemeinsame Sache machen. Der sogenannte Unvereinba­rkeitsbesc­hluss hat so lange funktionie­rt, wie die Partei selbst starke Ergebnisse eingefahre­n hat. Doch mit dem Aufstieg der AfD änderte sich die Lage, vor allem in den ostdeutsch­en Bundesländ­ern. Die AfD konnte bei einigen Wahlen die CDU sogar hinter sich lassen, so auch in Thüringen. Dort kommt hinzu, dass ExMinister­präsident Bodo Ramelow von der Linken als beliebtest­er Politiker viele Wähler an sich gebunden hatte. Weil die CDU weder mit den einen noch mit den anderen gemeinsame Sache machen will, hat sie die viel beschworen­en Brandmauer­n hochgezoge­n. Damit hat sie sich aber eingemauer­t und politische­n Spielraum genommen.

CDU-Landeschef Mohring wollte nach der Thüringer Landtagswa­hl Ende Oktober Löcher in die Mauer zur Linken schlagen. Er wurde aber von Kramp-Karrenbaue­r zurückgepf­iffen. Für die Landesverb­ände im Westen ist die Linke schlicht die SED-Nachfolgep­artei, die es auszugrenz­en gilt. In Ostdeutsch­land wird die Linke hingegen als normaler Teil des Parteiensy­stems betrachtet. Seit 30 Jahren ist sie an Landesregi­erungen beteiligt. In Umfragen geben zwei Drittel der Wähler an, dass sie nichts gegen eine Zusammenar­beit haben.

Kramp-Karrenbaue­r hätte Mohrings sanften Wandel unterstütz­en und sich so allmählich aus dem selbst gebauten Gefängnis befreien können. Die Widerständ­e innerhalb der Partei sind groß und die Saarländer­in hat in den vergangene­n Monaten viel Rückhalt verloren. Sie agiert schon lange nicht mehr aus einer Position der Stärke heraus, sondern ist eine Getriebene. Doch am Ende ist die 57-Jährige wegen des Sündenfall­s um die AfD noch nicht. Ihre größte Stärke ist ihre Zähigkeit, die an Angela Merkels Durchhalte­vermögen heranreich­t. Also versucht sie die Flucht nach vorne. AKK schiebt den Schwarzen Peter der SPD zu, um aus der Bredouille zu kommen. „Wir erwarten, dass es eine Bereitscha­ft von SPD und Grünen gibt, einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu präsentier­en, der oder die als Ministerpr­äsident oder Ministerpr­äsidentin nicht das Land spaltet, sondern das Land eint“, sagt sie am Freitagnac­hmittag. „Die CDU ist zur konstrukti­ven Mitarbeit bereit. Sie hat bereits Projekte definiert, auf deren Grundlage eine konstrukti­ve parlamenta­rische Sacharbeit im Interesse des Landes möglich ist.“Tatsächlic­h haben sich die Partei-Granden überlegt, den SPD-Landesvors­itzenden Wolfgang Tiefensee als „Kompromiss­kandidaten der Mitte“vor das klaffende Loch zu schieben. Gefragt haben sie ihn allerdings vorher nicht. Tiefensee winkt ab. „Der Vorschlag von AKK ist der untauglich­e Versuch, Rot-RotGrün zu spalten“, erklärt der frühere Bundesverk­ehrsminist­er postwenden­d. Die Grünen schließen sich an. „Ich glaube nicht, dass Frau Kramp-Karrenbaue­r in der Position ist, Vorschläge oder Aufträge zu erteilen“, sagt Grünen-Fraktionsc­hef Dirk Adams. Der Versuch, das eigene Versagen auf SPD und Grüne abzuwälzen, geht damit für AKK gründlich daneben.

Und weil Kramp-Karrenbaue­r die Geschehnis­se in Erfurt damit entglitten sind, hat sie überrasche­nd den bislang völlig glücklosen SPDVorsitz­enden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken die Chance eröffnet, Forderunge­n zu stellen. Am Samstag tritt extra der Koalitions­ausschuss zusammen. Die Sozialdemo­kraten befinden sich in der Lage der moralische­n Überlegenh­eit, schließlic­h haben sie sich den Rechten in ihrer langen Geschichte schon häufig in den Weg gestellt. „Frau Kramp-Karrenbaue­r steht ohnmächtig unter den Zwängen der etwas seltsamen CDU in Thüringen“, sagt der Vorsitzend­e der Konservati­ven in der SPD, Johannes Kahrs. Die Gleichsetz­ung von AfD und Linksparte­i ist für ihn „historisch falsch, politisch dümmlich und menschlich abseitig“. Der SPD-Aberstens geordnete aus Hamburg empfiehlt der CDU-Vorsitzend­en einen Blick nach Bayern. „Ich hoffe, die CDU orientiert sich an der CSU“, betont Kahrs.

Wie es in Thüringen weitergehe­n könnte, bleibt unübersich­tlich. Der ehemalige Regierungs­chef Bodo Ramelow (Linke) sprach sich in einem am Freitag veröffentl­ichten MDRIntervi­ew gegen eine sofortige Neuwahl aus. Eine Neuwahl bedeutete, dass es mindestens 70 Tage eine „regierungs­lose Zeit“gebe, warnte er und begründete dies damit, dass Thüringen infolge der Wahl Kemmerichs derzeit keine Minister hat. Stattdesse­n setzt Ramelow darauf, dass der FDP-Mann im Landtag eine Vertrauens­frage stellt und verliert – und damit den Weg frei macht für eine neue Ministerpr­äsidentenw­ahl. Bei der möchte Ramelow dann selbst wieder ans Ruder kommen und eine Regierung berufen, anschließe­nd solle der nächste Haushalt beraten werden. „Und wenn dann gewünscht wird, eine Neuwahl abzuhalten, dann bin ich gerne bereit, die Vertrauens­frage zu stellen. Aber zuerst kommt das Land, dann die Parteien und erst am Ende die Personen, die damit verbunden sind.“

Wie werden sich die anderen Parteien dazu verhalten? Für KrampKarre­nbauer ist das Fiasko von Erfurt jedenfalls noch lange nicht ausgestand­en. Wenn sie Pech hat, dauert es Monate, bis ein neuer Ministerpr­äsident gewählt ist. Und kommt es zu Neuwahlen und kassiert die CDU eine Abreibung, wird es wieder ihre Schuld gewesen sein.

„Ich hoffe, die CDU orientiert sich an der CSU.“

Johannes Kahrs, SPD

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Foto: Jacob Schröter, Imago Alle Blicke ruhen auf Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Eine Reihe von Fehleinsch­ätzungen führen zum Chaos in Thüringen. Es wieder aufzulösen, ist komplizier­t.

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