Neuburger Rundschau

Warten auf den großen Knall

Gefechte in Syrien belasten Bündnis von Türkei und Russland

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Warnung auf Warnung schickt Präsident Recep Tayyip Erdogan nach Damaskus. Wenn sich die syrische Armee nicht bis Ende Februar aus Teilen der Provinz Idlib zurückzieh­e, werde er militärisc­h für den Abzug sorgen, sagte er nach einem Feuergefec­ht bei der Klein– stadt Sarakib. Die Truppen des syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad antwortete­n auf ihre Weise – sie rückten trotz Erdogans Ultimatum weiter vor und nahmen Sarakib ein.

Die Spannungen eskalieren, weil das Bündnis zwischen der Türkei und Syriens Schutzmach­t Russland nicht mehr richtig funktionie­rt. Noch betont Erdogan, er wolle keine Konfrontat­ion in Idlib. Der Kreml will nun eine Delegation entsenden, um den Streit zu entschärfe­n. Zwar könnte eine Waffenruhe unter Vermittlun­g Russlands vorübergeh­end für Ruhe sorgen, aber eine langfristi­ge Lösung sei nicht in Sicht, sagte Orhan Gafarli von der türkischen Denkfabrik „Ankara Policy Center“unserer Redaktion.

Bisher haben Erdogan und Wladimir Putin ihre Differenze­n in den Hintergrun­d rücken können. Das nützte beiden. Die Türkei erhielt grünes Licht aus Moskau für mehrere Militärint­erventione­n in Syrien zur Bekämpfung kurdischer Milizionär­e. Russland bekam dadurch großen Einfluss auf das Nato-Mitglied

Türkei befürchtet einen neuen Flüchtling­sstrom

Türkei und konnte Ankara aus seiner traditione­llen Westbindun­g lösen.

Doch in Idlib, der letzten Bastion syrischer Regierungs­gegner nach fast neun Jahren Krieg, stößt dieses Modell an seine Grenzen. Ohne Absprache mit Moskau schickte Erdogan Truppen, um die syrische Regierungs­offensive gegen die Rebellen zu stoppen. Der Vormarsch hat eine halbe Million Menschen in Idlib vertrieben. Sie suchen Schutz an der für sie geschlosse­nen Grenze zur Türkei. Erdogan befürchtet einen Massenanst­urm auf sein Land, das bereits 3,6 Millionen Flüchtling­e aufgenomme­n hat. Assad hat geschworen, Idlib einzunehme­n, und wird von der russischen Luftwaffe unterstütz­t. Damaskus und Moskau werfen Ankara vor, Dschihadis­ten in Idlib nicht bekämpft zu haben, obwohl es das versproche­n hat.

In Idlib können Ankara und Moskau ihre Differenze­n nicht ignorieren, weil wichtige Interessen der Türken mit denen von Syrern und Russen kollidiere­n. Assad könnte die Türkei laut Experte Gafarli höchstens mit Sicherheit­sgarantien für die mehr als drei Millionen Menschen in der Provinz zufriedens­tellen. Damit sei aber nicht zu rechnen.

Ein schweres Zerwürfnis im türkisch-russischen Bündnis oder gar ein Bruch der Allianz würde den Krieg in Syrien wohl weiter eskalieren lassen. Moskau könnte den Rückzug aller türkischen Truppen aus Syrien verlangen und die Kooperatio­n einstellen. Dann müsste sich die Türkei wieder mehr den USA zuwenden – das erwartet offenbar auch die Regierung in Washington.

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