Warten auf den großen Knall
Gefechte in Syrien belasten Bündnis von Türkei und Russland
Istanbul Warnung auf Warnung schickt Präsident Recep Tayyip Erdogan nach Damaskus. Wenn sich die syrische Armee nicht bis Ende Februar aus Teilen der Provinz Idlib zurückziehe, werde er militärisch für den Abzug sorgen, sagte er nach einem Feuergefecht bei der Klein– stadt Sarakib. Die Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad antworteten auf ihre Weise – sie rückten trotz Erdogans Ultimatum weiter vor und nahmen Sarakib ein.
Die Spannungen eskalieren, weil das Bündnis zwischen der Türkei und Syriens Schutzmacht Russland nicht mehr richtig funktioniert. Noch betont Erdogan, er wolle keine Konfrontation in Idlib. Der Kreml will nun eine Delegation entsenden, um den Streit zu entschärfen. Zwar könnte eine Waffenruhe unter Vermittlung Russlands vorübergehend für Ruhe sorgen, aber eine langfristige Lösung sei nicht in Sicht, sagte Orhan Gafarli von der türkischen Denkfabrik „Ankara Policy Center“unserer Redaktion.
Bisher haben Erdogan und Wladimir Putin ihre Differenzen in den Hintergrund rücken können. Das nützte beiden. Die Türkei erhielt grünes Licht aus Moskau für mehrere Militärinterventionen in Syrien zur Bekämpfung kurdischer Milizionäre. Russland bekam dadurch großen Einfluss auf das Nato-Mitglied
Türkei befürchtet einen neuen Flüchtlingsstrom
Türkei und konnte Ankara aus seiner traditionellen Westbindung lösen.
Doch in Idlib, der letzten Bastion syrischer Regierungsgegner nach fast neun Jahren Krieg, stößt dieses Modell an seine Grenzen. Ohne Absprache mit Moskau schickte Erdogan Truppen, um die syrische Regierungsoffensive gegen die Rebellen zu stoppen. Der Vormarsch hat eine halbe Million Menschen in Idlib vertrieben. Sie suchen Schutz an der für sie geschlossenen Grenze zur Türkei. Erdogan befürchtet einen Massenansturm auf sein Land, das bereits 3,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen hat. Assad hat geschworen, Idlib einzunehmen, und wird von der russischen Luftwaffe unterstützt. Damaskus und Moskau werfen Ankara vor, Dschihadisten in Idlib nicht bekämpft zu haben, obwohl es das versprochen hat.
In Idlib können Ankara und Moskau ihre Differenzen nicht ignorieren, weil wichtige Interessen der Türken mit denen von Syrern und Russen kollidieren. Assad könnte die Türkei laut Experte Gafarli höchstens mit Sicherheitsgarantien für die mehr als drei Millionen Menschen in der Provinz zufriedenstellen. Damit sei aber nicht zu rechnen.
Ein schweres Zerwürfnis im türkisch-russischen Bündnis oder gar ein Bruch der Allianz würde den Krieg in Syrien wohl weiter eskalieren lassen. Moskau könnte den Rückzug aller türkischen Truppen aus Syrien verlangen und die Kooperation einstellen. Dann müsste sich die Türkei wieder mehr den USA zuwenden – das erwartet offenbar auch die Regierung in Washington.