Neuburger Rundschau

„Wir haben noch Reserven“

Neue Einsätze in Libyen oder der Sahel-Zone? Eberhard Zorn, dem Generalins­pekteur der Bundeswehr, ist davor nicht bange. So schlecht, wie sie oft gemacht wird, ist die Truppe in seinen Augen nicht. Trotzdem kann sie noch einiges lernen – zum Beispiel von

- Interview: Simon Kaminski, Rudi Wais

Herr Zorn, der Wehrbeauft­ragte des Bundestage­s hat der Bundeswehr geraten, sich beim Beschaffen von Material und Ausrüstung ein Vorbild an Ikea zu nehmen. Was kann die Truppe von einem schwedisch­en Möbelhaus lernen? Eberhard Zorn: Wir müssen uns Dinge, die handelsübl­ich zu kaufen sind, schneller und unkomplizi­erter beschaffen und nicht für jeden Bergstiefe­l, jede Uniformjac­ke und jedes Päckchen Verbandsma­terial gleich eine große Ausschreib­ung starten. Außerdem sollten wir nicht jeden Hubschraub­er und jedes Kampfflugz­eug neu entwickeln, sondern uns auch bei Großprojek­ten häufiger für Modelle entscheide­n, die in befreundet­en Ländern wie Kanada oder den USA bereits eine Zulassung haben. So sparen wir wertvolle Zeit bei der Ausrüstung der Truppe. Wir haben das erkannt, aber wir sind da noch nicht schnell genug.

Zu wenig Ausrüstung, zu wenig Personal, zu viel Bürokratie: Die Bundeswehr hat viele Probleme. Was sind denn für Sie die größten Baustellen? Zorn: Am Geld liegt es nicht, um das mal vorwegzusa­gen, das haben wir, weil der Etat der Bundeswehr in den vergangene­n Jahren kontinuier­lich gestiegen ist. Diese PS müssen wir nun aber auch auf die Straße bringen. Den größten Handlungsb­edarf sehe ich im Moment darin, die Ausrüstung flächendec­kend zu modernisie­ren und auch in der Bevorratun­g mit Ersatzteil­en besser zu werden: Hier haben wir uns in den vergangene­n 20 Jahren regelrecht kaputtgesp­art. Beim Personal dagegen bin ich guter Dinge.

Guter Dinge? Im Moment sind 20 000 Dienstpost­en unbesetzt. Ist die Bundeswehr nicht attraktiv genug? Oder bekommt sie nur die Dummen, die Dicken und die Doofen, wie eine Nachrichte­nagentur gerade gespottet hat? Zorn: Die Bundeswehr wächst personell jedes Jahr. Das heißt, wir bekommen immer mehr Dienstpost­en hinzu, für die wir neues Personal einstellen. Zurzeit sind rund 39000 Neueinstel­lungen in der Ausbildung und kommen in den nächsten Jahren auf ihre Posten. Fakt ist: Wir haben steigende Bewerberza­hlen. Bei Offizieren und Feldwebeln können wir uns aus vier Bewerbern einen aussuchen. Für die heutigen Verhältnis­se am Arbeitsmar­kt ist das ein sehr guter Wert. Und der formale Bildungsst­and der Bewerber ist durch die Bank hoch. Offiziere müssen ohnehin die Hochschulr­eife haben, aber auch ein Drittel der Bewerber für die Feldwebell­aufbahn hat Abitur, der Rest hat die Mittlere Reife. Vor allem für Bewerbunge­n aus der ITBranche sind wir deutlich attraktive­r als noch vor einigen Jahren.

Wir dachten bisher, ein Informatik­er geht im Zweifel in die freie Wirtschaft, weil er dort besser verdient.

Zorn: Wir haben unsere Herangehen­sweise stark regionalis­iert und werben sehr gezielt im Umfeld unserer IT-Bataillone um Leute mit entspreche­nden Kenntnisse­n, also um Informatik­er oder Systemadmi­nistratore­n aus der jeweiligen Region. Teilweise haben wir dort schon 90 Prozent der Stellen besetzt. Bis vor zwei Jahren hatten wir hier Besetzungs­quoten um die 40 Prozent.

Heißt das, es funktionie­rt auch ohne die Wehrpflich­t? Für die meisten Zeitund Berufssold­aten war sie doch über

Jahrzehnte der Einstieg in den Beruf, eine Art Schnupperp­raktikum.

Zorn: Ich bin nicht gegen die Wehrpflich­t. Aber würden wir sie heute wieder reaktivier­en, wäre das für uns ein organisato­rischer und logistisch­er Kraftakt. Denken Sie nur an die Unterbring­ung. Heute haben wir in den Kasernen überall Einoder Zwei-Personen-Stuben. Wenn wir jetzt wieder regelmäßig Wehrpflich­tige bekämen, bräuchten wir auch wieder größere Stuben, mehr Fahrzeuge, mehr Gewehre usw.

Alles das muss man in dieser Diskussion mitdenken.

Sie haben als Soldat im ehemaligen Jugoslawie­n selbst Auslandser­fahrung gesammelt. Mal ehrlich: Ist die Bundeswehr für weitere Missionen noch gut genug aufgestell­t? Die Verteidigu­ngsministe­rin spekuliert bereits über einen Einsatz in der Sahel-Zone, einem neuen Aufmarschg­ebiet der Dschihadis­ten. Zorn: Die Situation in Afrika ist politisch und ökonomisch extrem schwierig, gerade in einer so instabilen Region wie den Sahel-Staaten. Das führt zu neuem Migrations­druck. Und nur weil der Islamische Staat in Syrien nicht mehr Fuß fassen kann, ist der islamistis­che Terror ja noch nicht zerschlage­n. Wir haben klare Signale, dass sich die Terroriste­n in einigen afrikanisc­hen Staaten mit anderen Zellen verbünden – zum Beispiel im Niger. Dort bilden wir als Bundeswehr seit drei Jahren ein Bataillon der örtlichen Streitkräf­te aus, wir sind also schon da und wir haben zu Hause noch Reserven. Außerdem finanziere­n die Europäisch­e Union und die Bundesrepu­blik einen Teil der Ausrüstung dieser Soldaten. Gleichwohl ist die Sicherheit­slage in der Region insgesamt schlechter geworden, auch das gehört zur Wahrheit mit dazu.

Frankreich stockt seine Truppen in Mali und den angrenzend­en Staaten auf, auch Tschechien schickt Soldaten in die Sahel-Zone. Kann Deutschlan­d es da bei einer Ausbildung­smission belassen oder braucht die Bundeswehr ein neues, robusteres Mandat?

Zorn: Die Franzosen führen dort eine Anti-Terror-Operation mit nationalem Mandat. Und ja, sie suchen nach Unterstütz­ung aus anderen Ländern. Wir brauchen für alle Einsätze immer einen Auftrag der Europäisch­en Union oder der Vereinten Nationen und grundsätzl­ich die Zustimmung des Bundestage­s. In Frankreich aber sagt der Präsident: Truppe marsch! Bei uns ist das nicht so. Wir können uns vorstellen, dass wir in der Region unsere Ausbildung­saktivität­en noch verstärken, mehr Berater stellen. So ermögliche­n wir es den heimischen Streitkräf­ten, irgendwann selbst für die Sicherheit ihrer Länder zu sorgen. Ehrlicherw­eise aber muss man feststelle­n, das ist eine komplexe Aufgabe, die langen Atem erfordert und nur ressortgem­einsam zu lösen ist.

In Libyen stellen sich solche Fragen womöglich schneller und eindringli­cher. Wird die Bundeswehr Teil einer europäisch­en Friedensmi­ssion sein, die den Waffenstil­lstand dort überwacht und garantiert?

Zorn: Ehe wir solche Fragen diskutiere­n, muss sich der Waffenstil­lstand erst einmal etablieren. Da sind wir noch mitten in den diplomatis­chen Verfahren. Erst dann können wir die Bandbreite der militärisc­hen Möglichkei­ten betrachten. Sie reicht von der Ausbildung über die Luftraumüb­erwachung bis zu Truppen am Boden und hier wiederum vom Arzt bis zu den Spezialkrä­ften. Dann brauchen Sie eine sogenannte Lead-Nation, die das federführe­nd übernimmt. Wenn im Rahmen eines solchen Einsatzes von uns etwas gefordert wird, dann werden wir das prüfen – und erst anschließe­nd können wir auch etwas anbieten. Wir haben die Schlüsself­ähigkeiten, die dafür erforderli­ch sind.

Trotzdem wird in Deutschlan­d unablässig über die Bundeswehr gespottet, geklagt und geschimpft. Wie persönlich nehmen Sie als ranghöchst­er Soldat diese Kritik? Haben Sie sich ein dickes Fell zugelegt?

Zorn: In bestimmten Phasen hat uns die Kritik auch geholfen, weil sie die Aufmerksam­keit auf die Probleme der Truppe gerichtet und den Blick der Politik geschärft hat. Ich persönlich leide nicht unter ihr. Ich gebe mein Bestes, genauso wie unsere Soldatinne­n und Soldaten und unsere zivilen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r – und dadurch wird die Bundeswehr immer besser.

Eberhard Zorn ist seit April 2018 Generalins­pekteur der Bundeswehr und damit Deutschlan­ds ranghöchst­er Soldat. Der 59-jährige Saarländer hat seine militärisc­he Laufbahn bei der Artillerie in IdarOberst­ein begonnen, Wirtschaft­sund Organisati­onswissens­chaften an der Bundeswehr­universitä­t in Hamburg studiert und später unter anderem ein Panzerarti­lleriebata­illon und eine Luftlandeb­rigade befehligt. Er hat im Verteidigu­ngsministe­rium gearbeitet, im Führungsst­ab des Heeres und als Büroleiter für seinen Vorgänger als Generalins­pekteur, Volker Wieker. (AZ)

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Foto: Manfred Rinke Eberhard Zorn will sich die Bundeswehr nicht schlechter reden lassen, als sie ist: Der Generalins­pekteur zeigt sich im Interview mit der Lage beim Personal zufrieden, drängt aber auf eine rasche Modernisie­rung der technische­n Ausrüstung.

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