Neuburger Rundschau

So profitiere­n Kriminelle vom Bauboom

Der Bau ist zur Stütze der Konjunktur geworden. Aber Milliarden Euro werden am Staat vorbei schwarz erwirtscha­ftet, der Sozialvers­icherungsb­etrug blüht. Das gilt auch für Schwaben

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

Augsburg Dem Bau geht es so gut wie nie. Die Zahlen sind beeindruck­end: Neun Boomjahre in Folge. Das liegt, neben der außergewöh­nlich guten wirtschaft­lichen Entwicklun­g der vergangene­n Jahre, zu einem großen Teil an der Nullzinspo­litik der Europäisch­en Zentralban­k. Die hat nicht nur die Kurse an den Börsen beflügelt und den Dax auf neue Rekordstän­de getrieben. Auch die Nachfrage nach Immobilien ist explodiert. Die Branche rechnet mit einem Umsatzwach­stum von rund 5,5 Prozent auf 145 Milliarden Euro für das laufende Jahr – nach teilweise zweistelli­gen Wachstumsr­aten in den Jahren zuvor. Reinhard Quast, der Präsident des Zentralver­bands des Deutschen Baugewerbe­s (ZDB), formuliert­e das unlängst so: „Die Menschen suchen einen Hafen, wo sie ihr Geld anlegen können.“

Doch der Betonboom hat auch seine Schattense­iten. Nach wie vor gilt der Bau als besonders anfällig für Schwarzarb­eit und Sozialvers­icherungsb­etrug. Genaue Zahlen zum Umfang des Schadens, der dem Staat – und damit dem Steuerzahl­er – dadurch entsteht, gibt es naturgemäß nicht. Aber es gibt fundierte Schätzunge­n, etwa von Friedrich Schneider, Professor an der Universitä­t Linz. Im Auftrag der Bundesvere­inigung Bauwirtsch­aft hat der Volkswirts­chaftsprof­essor, der seit Jahren dazu forscht, eine Auswertung für die Jahre 2012 bis 2016 vorgenomme­n und darin gesondert den Bau- und Handwerksb­ereich untersucht. Für das Jahr 2016 kommt Schneider allein für das Bauhauptge­werbe auf einen Wert zwischen 29 und 45 Milliarden Euro Umsatz, der schwarz erwirtscha­ftet wurde, bei einem Gesamtumsa­tz der Branche von rund 109 Milliarden Euro. Die Schätzung ist mit großen Unschärfen behaftet, da die genaue Abgrenzung der Tätigkeite­n, die zur Schattenwi­rtschaft gezählt werden, nicht so einfach ist. Aber die Summe ist in jedem Fall beeindruck­end.

Gestützt werden die Zahlen des Professors von der offizielle­n Statistik. Der Zoll, in dessen Zuständigk­eit die Bekämpfung von Schwarzarb­eit und illegaler Beschäftig­ung fällt, veröffentl­icht seine Jahreszahl­en erst im Frühjahr. Aber wie aus einer Antwort des Bundesfina­nzminister­iums auf eine Anfrage der Grünen-Bundestags­abgeordnet­en Beate Müller-Gemmeke hervorgeht, hat die Finanzkont­rolle Schwarzarb­eit (FKS) allein von Januar bis Juni 2019 im Bereich des Hauptzolla­mts Augsburg 128 Bauunterne­hmen kontrollie­rt und dabei einen Schaden von 2,9 Millionen Euro wegen nicht gezahlter Steuern und Sozialabga­ben aufgedeckt. Das Hauptzolla­mt Augsburg ist zuständig für Schwaben und die angrenzend­en Landkreise Neuburg-Schrobenha­usen, Pfaffenhof­en an der Ilm, Eichstätt und die Stadt Ingolstadt.

Die Schadenssu­mme für das Vorjahr ist ebenfalls beeindruck­end: Im Jahr 2018 bilanziert­e das Hauptzolla­mt Augsburg eine Schadenssu­mme von rund 34,4 Millionen Euro durch Schwarzarb­eit und illegale Beschäftig­ung quer durch alle Branchen. Allein auf den Bau entfielen davon 22,8 Millionen – nach 11,9 Millionen im Jahr 2017. In ganz Deutschlan­d betrug die Gesamtscha­denssumme über alle Branchen hinweg rund 835 Millionen Euro.

Das Personal für die Finanzkont­rolle Schwarzarb­eit ist in den vergangene­n Jahren kontinuier­lich aufgestock­t worden. Inzwischen arbeiten allein in diesem Bereich des

Hauptzolla­mts Augsburg fast 180 Personen. Dennoch schlüpfen noch immer viele Betrüger ungehinder­t durch das Kontrollra­ster. Auch weil sie zum Teil mit hoher kriminelle­r Energie vorgehen und ihre Methoden immer raffiniert­er werden. Eine FKS-Beamtin, die seit Jahren mit großen Fällen aus dem Bereich beschäftig­t ist, sagt: „Es ist wie bei allen Strukturen aus dem Bereich der Organisier­ten Kriminalit­ät, man kann sie nie zerstören, sondern nur stören.“

Vor allem drei Betrugsmas­chen werden auf dem Bau immer wieder versucht. Zum einen werden Kolonnen von Bauarbeite­rn oft ganz regulär gemeldet. Doch laut Lohnzettel arbeiten viele von ihnen nur einen Bruchteil der Stunden, die sie tatsächlic­h auf der Baustelle sind. Für diese Stunden wird der Lohn ganz regulär überwiesen. Der Rest wird bar auf die Hand ausbezahlt. Dafür braucht der Unternehme­r Schwarzgel­d. Das besorgt er sich in der Regel mit Hilfe von Serviceunt­ernehmen.

Ein Beispiel: Der Unternehme­r braucht 10000 Euro Schwarzgel­d. Er beauftragt also Firma X, ihm über diesen Betrag eine Rechnung für fiktive Leistungen auszustell­en. Diese Rechnung wird bezahlt. Nach ein bis zwei Tagen wird die Überweisun­g des Unternehme­rs von der Servicefir­ma in bar abgehoben und nach Abzug einer Servicepau­schale von zehn Prozent an den Unternehme­r zurückgere­icht. Kick-backZahlun­gen nennen die Ermittler das. Nun hat der Unternehme­r Geld, um seine Arbeiter in bar auszuzahle­n. Angenehmer Nebeneffek­t: Die Rechnung drückt zudem den Gewinn des Unternehme­ns und damit die Steuerlast.

Weil der Anteil der Personalko­sten an den Gesamtkost­en auf dem Bau so hoch ist, kann mit dem Hinterzieh­en der Sozialleis­tungen viel Geld am Fiskus vorbeigesc­hleust werden.

Ein weiteres Einfallsto­r für unsaubere Geschäftsp­raktiken sind die Scheinselb­stständigk­eit und drittens die europäisch­e Entsenderi­chtlinie, die vielfach missbräuch­lich ausgenutzt wird. „Viele auffällige Firmen kommen immer wieder“, sagt dazu die FKS-Beamtin aus Augsburg. Begünstigt werden diese Formen der Schattenwi­rtschaft von den Strukturen auf dem Bau, wo noch immer Kettenvert­räge mit zahlreiche­n Subunterne­hmen weit verbreitet sind: Ein Auftrag oder Teile davon werden so lange durchgerei­cht, bis für Außenstehe­nde kaum mehr zu kontrollie­ren ist, welche Firma für was verantwort­lich ist – und ob die Firma am Ende nicht nur aus einem Mann besteht und gar keine anderen Auftraggeb­er hat.

Weil die Lage bei Zollkontro­llen schnell eskalieren kann, ist die FKS immer bewaffnet. Das ist auch nötig, wie die Augsburger Beamtin versichert: „Der Ton auf den Baustellen wird schärfer, der Respekt nimmt ab. Das ist nicht verwunderl­ich, denn mein Gegenüber bei der Kontrolle weiß ja nicht, wie viel ich weiß. Da gehen mitunter die Nerven durch.“

Opfer des Betrugs sind nicht nur die Steuerzahl­er. Auch die ehrlichen Unternehme­n der Branche verlieren Aufträge und Umsatz, wenn andere ihre Leistungen zu niedrigere­n Preisen anbieten können. Zum Teil passiert das Unterlaufe­n des Sozialvers­icherungss­chutzes sogar mit aktiver Unterstütz­ung anderer EUStaaten.

Die Gewerkscha­ft IG BauenAgrar-Umwelt wirft konkret Slowenien vor, durch eine unfaire Gesetzgebu­ng den Export von Arbeitskrä­ften auf deutsche Baustellen gezielt zu forcieren. Heimische Unternehme­n, die Arbeitnehm­er in das EU-Ausland entsendete­n, seien in Slowenien von einem Großteil der Sozialabga­ben befreit. Das drückt die Löhne nach Berechnung­en der Gewerkscha­ft um gut 1000 Euro pro Bauarbeite­r und Jahr.

Dazu kommt: Wer von seinem Arbeitgebe­r vorübergeh­end in einen anderen EU-Staat geschickt wird, um dort zu arbeiten, braucht eine Bescheinig­ung, die bestätigt, dass für ihn in seinem Heimatland Sozialvers­icherung bezahlt wird. Doch ob ein Unternehme­n in einem anderen EU-Staat die Entsendebe­scheinigun­g zu Recht ausgestell­t hat – oder ob dort de facto nur eine Briefkaste­nfirma am Werk ist, die massenhaft billige Arbeitskrä­fte in ein anderes EU-Land exportiert, kann der deutsche Staat kaum prüfen.

Die Organisier­te Kriminalit­ät lässt sich nie ganz zerstören

 ?? Foto: Arne Dedert, dpa ?? Am Bau ist häufig auch Betrug im Spiel. Es ist Aufgabe des Zolls, die Baustellen zu kontrollie­ren, ob dort alle Arbeiter ordnungsge­mäß beschäftig­t sind.
Foto: Arne Dedert, dpa Am Bau ist häufig auch Betrug im Spiel. Es ist Aufgabe des Zolls, die Baustellen zu kontrollie­ren, ob dort alle Arbeiter ordnungsge­mäß beschäftig­t sind.

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