So profitieren Kriminelle vom Bauboom
Der Bau ist zur Stütze der Konjunktur geworden. Aber Milliarden Euro werden am Staat vorbei schwarz erwirtschaftet, der Sozialversicherungsbetrug blüht. Das gilt auch für Schwaben
Augsburg Dem Bau geht es so gut wie nie. Die Zahlen sind beeindruckend: Neun Boomjahre in Folge. Das liegt, neben der außergewöhnlich guten wirtschaftlichen Entwicklung der vergangenen Jahre, zu einem großen Teil an der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Die hat nicht nur die Kurse an den Börsen beflügelt und den Dax auf neue Rekordstände getrieben. Auch die Nachfrage nach Immobilien ist explodiert. Die Branche rechnet mit einem Umsatzwachstum von rund 5,5 Prozent auf 145 Milliarden Euro für das laufende Jahr – nach teilweise zweistelligen Wachstumsraten in den Jahren zuvor. Reinhard Quast, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB), formulierte das unlängst so: „Die Menschen suchen einen Hafen, wo sie ihr Geld anlegen können.“
Doch der Betonboom hat auch seine Schattenseiten. Nach wie vor gilt der Bau als besonders anfällig für Schwarzarbeit und Sozialversicherungsbetrug. Genaue Zahlen zum Umfang des Schadens, der dem Staat – und damit dem Steuerzahler – dadurch entsteht, gibt es naturgemäß nicht. Aber es gibt fundierte Schätzungen, etwa von Friedrich Schneider, Professor an der Universität Linz. Im Auftrag der Bundesvereinigung Bauwirtschaft hat der Volkswirtschaftsprofessor, der seit Jahren dazu forscht, eine Auswertung für die Jahre 2012 bis 2016 vorgenommen und darin gesondert den Bau- und Handwerksbereich untersucht. Für das Jahr 2016 kommt Schneider allein für das Bauhauptgewerbe auf einen Wert zwischen 29 und 45 Milliarden Euro Umsatz, der schwarz erwirtschaftet wurde, bei einem Gesamtumsatz der Branche von rund 109 Milliarden Euro. Die Schätzung ist mit großen Unschärfen behaftet, da die genaue Abgrenzung der Tätigkeiten, die zur Schattenwirtschaft gezählt werden, nicht so einfach ist. Aber die Summe ist in jedem Fall beeindruckend.
Gestützt werden die Zahlen des Professors von der offiziellen Statistik. Der Zoll, in dessen Zuständigkeit die Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung fällt, veröffentlicht seine Jahreszahlen erst im Frühjahr. Aber wie aus einer Antwort des Bundesfinanzministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke hervorgeht, hat die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) allein von Januar bis Juni 2019 im Bereich des Hauptzollamts Augsburg 128 Bauunternehmen kontrolliert und dabei einen Schaden von 2,9 Millionen Euro wegen nicht gezahlter Steuern und Sozialabgaben aufgedeckt. Das Hauptzollamt Augsburg ist zuständig für Schwaben und die angrenzenden Landkreise Neuburg-Schrobenhausen, Pfaffenhofen an der Ilm, Eichstätt und die Stadt Ingolstadt.
Die Schadenssumme für das Vorjahr ist ebenfalls beeindruckend: Im Jahr 2018 bilanzierte das Hauptzollamt Augsburg eine Schadenssumme von rund 34,4 Millionen Euro durch Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung quer durch alle Branchen. Allein auf den Bau entfielen davon 22,8 Millionen – nach 11,9 Millionen im Jahr 2017. In ganz Deutschland betrug die Gesamtschadenssumme über alle Branchen hinweg rund 835 Millionen Euro.
Das Personal für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich aufgestockt worden. Inzwischen arbeiten allein in diesem Bereich des
Hauptzollamts Augsburg fast 180 Personen. Dennoch schlüpfen noch immer viele Betrüger ungehindert durch das Kontrollraster. Auch weil sie zum Teil mit hoher krimineller Energie vorgehen und ihre Methoden immer raffinierter werden. Eine FKS-Beamtin, die seit Jahren mit großen Fällen aus dem Bereich beschäftigt ist, sagt: „Es ist wie bei allen Strukturen aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität, man kann sie nie zerstören, sondern nur stören.“
Vor allem drei Betrugsmaschen werden auf dem Bau immer wieder versucht. Zum einen werden Kolonnen von Bauarbeitern oft ganz regulär gemeldet. Doch laut Lohnzettel arbeiten viele von ihnen nur einen Bruchteil der Stunden, die sie tatsächlich auf der Baustelle sind. Für diese Stunden wird der Lohn ganz regulär überwiesen. Der Rest wird bar auf die Hand ausbezahlt. Dafür braucht der Unternehmer Schwarzgeld. Das besorgt er sich in der Regel mit Hilfe von Serviceunternehmen.
Ein Beispiel: Der Unternehmer braucht 10000 Euro Schwarzgeld. Er beauftragt also Firma X, ihm über diesen Betrag eine Rechnung für fiktive Leistungen auszustellen. Diese Rechnung wird bezahlt. Nach ein bis zwei Tagen wird die Überweisung des Unternehmers von der Servicefirma in bar abgehoben und nach Abzug einer Servicepauschale von zehn Prozent an den Unternehmer zurückgereicht. Kick-backZahlungen nennen die Ermittler das. Nun hat der Unternehmer Geld, um seine Arbeiter in bar auszuzahlen. Angenehmer Nebeneffekt: Die Rechnung drückt zudem den Gewinn des Unternehmens und damit die Steuerlast.
Weil der Anteil der Personalkosten an den Gesamtkosten auf dem Bau so hoch ist, kann mit dem Hinterziehen der Sozialleistungen viel Geld am Fiskus vorbeigeschleust werden.
Ein weiteres Einfallstor für unsaubere Geschäftspraktiken sind die Scheinselbstständigkeit und drittens die europäische Entsenderichtlinie, die vielfach missbräuchlich ausgenutzt wird. „Viele auffällige Firmen kommen immer wieder“, sagt dazu die FKS-Beamtin aus Augsburg. Begünstigt werden diese Formen der Schattenwirtschaft von den Strukturen auf dem Bau, wo noch immer Kettenverträge mit zahlreichen Subunternehmen weit verbreitet sind: Ein Auftrag oder Teile davon werden so lange durchgereicht, bis für Außenstehende kaum mehr zu kontrollieren ist, welche Firma für was verantwortlich ist – und ob die Firma am Ende nicht nur aus einem Mann besteht und gar keine anderen Auftraggeber hat.
Weil die Lage bei Zollkontrollen schnell eskalieren kann, ist die FKS immer bewaffnet. Das ist auch nötig, wie die Augsburger Beamtin versichert: „Der Ton auf den Baustellen wird schärfer, der Respekt nimmt ab. Das ist nicht verwunderlich, denn mein Gegenüber bei der Kontrolle weiß ja nicht, wie viel ich weiß. Da gehen mitunter die Nerven durch.“
Opfer des Betrugs sind nicht nur die Steuerzahler. Auch die ehrlichen Unternehmen der Branche verlieren Aufträge und Umsatz, wenn andere ihre Leistungen zu niedrigeren Preisen anbieten können. Zum Teil passiert das Unterlaufen des Sozialversicherungsschutzes sogar mit aktiver Unterstützung anderer EUStaaten.
Die Gewerkschaft IG BauenAgrar-Umwelt wirft konkret Slowenien vor, durch eine unfaire Gesetzgebung den Export von Arbeitskräften auf deutsche Baustellen gezielt zu forcieren. Heimische Unternehmen, die Arbeitnehmer in das EU-Ausland entsendeten, seien in Slowenien von einem Großteil der Sozialabgaben befreit. Das drückt die Löhne nach Berechnungen der Gewerkschaft um gut 1000 Euro pro Bauarbeiter und Jahr.
Dazu kommt: Wer von seinem Arbeitgeber vorübergehend in einen anderen EU-Staat geschickt wird, um dort zu arbeiten, braucht eine Bescheinigung, die bestätigt, dass für ihn in seinem Heimatland Sozialversicherung bezahlt wird. Doch ob ein Unternehmen in einem anderen EU-Staat die Entsendebescheinigung zu Recht ausgestellt hat – oder ob dort de facto nur eine Briefkastenfirma am Werk ist, die massenhaft billige Arbeitskräfte in ein anderes EU-Land exportiert, kann der deutsche Staat kaum prüfen.
Die Organisierte Kriminalität lässt sich nie ganz zerstören