Neuburger Rundschau

„Der Wolf wird geschützt bleiben“

Die Wildtiere breiten sich in Bayern aus. Zum Leidwesen vieler Bauern. Was der internatio­nal anerkannte Experte Kurt Kotrschal Tierhalter­n und Spaziergän­gern rät

- Interview: Daniela Hungbaur

In Bayern breitet sich der Wolf aus. Jüngst sind Tiere im Allgäu und im Landkreis Fürth gesichtet worden. Herr Professor Kotrschal, Sie sind ein internatio­nal anerkannte­r Experte für Wölfe, haben mit zwei Kolleginne­n im österreich­ischen Ernstbrunn das WolfScienc­e-Center aufgebaut und sind auf Einladung des Augsburger Tierschutz­vereins nach Augsburg gekommen – wie wahrschein­lich ist es, dass ich jetzt als Spaziergän­ger einem Wolf begegne? Prof. Kurt Kotrschal: Möglich ist es schon, aber es bleibt eher unwahrsche­inlich. Denn Wölfe sind zwar sehr neugierige, aber auch sehr scheue Tiere und meiden in der Regel den Menschen. Passieren kann es natürlich schon, dass jetzt einmal ein junger Wolf durch ein Dorf läuft.

Und was ist dann zu tun?

Kotrschal: Nichts. Lassen Sie ihn durchlaufe­n. Allzu nett sollten Sie allerdings nicht zu ihm sein. Sollte ein junger Wolf wirklich näher kommen, kann man ihn anschreien oder einen Stein nach ihm werfen – dann hauen die Tiere in der Regel ab. Was auf gar keinen Fall getan werden darf, ist die Tiere anzufütter­n. Das ist ein absolutes Tabu. Wölfe, die abgeschoss­en werden mussten – oft unter großem Aufschrei der Tierschütz­er – waren meist angefütter­te Wölfe, die ihre angeborene Distanz zum Menschen verloren haben.

Gerade Bauern, die Schafe züchten, fordern nicht selten mehr Abschussmö­glichkeite­n für Wölfe. Verstehen Sie die Ängste der Bauern? Kotrschal: Ein gewisses Verständni­s habe ich. Aber es nützt nichts. Der Wolf ist eine Tatsache. Und er ist gesetzlich ein streng geschützte­s Tier, das wird auch so bleiben. Dies hat auch mit der EU zu tun. Dort bekommen die Deutschen und Österreich­er, in deren Reihen Vertreter sind, die den Wolf zum Abschuss frei geben wollen, nie eine Mehrheit. Weil die meisten anderen Länder, die im Übrigen viel mehr Wölfe haben als wir, mit den Tieren wenig Probleme haben. Osteuropa zum Beispiel. Aber auch Italien.

Warum haben wir mehr Probleme mit dem Wolf als die anderen Länder? Kotrschal: Da kann man nur Vermutunge­n anstellen. In Deutschlan­d, aber auch in der Schweiz ist der Kontrollzw­ang viel ausgeprägt­er. Es hat sicher mit dem Lebensstil zu tun: In Italien beispielsw­eise herrscht einfach eher die Einstellun­g, leben und leben lassen. Dort finden sich auch längst in der Hauptstadt, also in Rom, auf einem alten Industrieg­ebiet Wölfe. Und Berlin wird folgen: In Berlin könnte es bald Wölfe geben.

Der Wolf wird sich weiter ausbreiten? Kotrschal: Ja, die Zahl der Wölfe wird zunehmen. Momentan haben wir in Deutschlan­d etwa 1000 Wölfe, aber die Zahlen schwanken stark, je nachdem, ob man das zuständige Bundesamt oder den Jagdverban­d konsultier­t. Dazu muss man aber wissen, dass in wolfgesätt­igten Gegenden wie etwa in Nordsachse­n keine weiteren Wolfsrudel hinzukomme­n werden. Ein Rudel, das sind im Schnitt vier bis acht Tiere, braucht etwa 200 bis 400 Quadratkil­ometer. Auch in diesen gesättigte­n Gebieten bleiben die Wolfsdicht­en also relativ gering. Probleme bereiten eher die einzelnen Jungwölfe, die noch kein festes Rudel haben. Sie richten die meisten Schäden an.

Gerade für Almbauern in Bayern ist die Aussicht, dass es immer mehr Wölfe geben wird, sicher ein Albtraum. Kotrschal: Wie gesagt, sie sind aber da und wir brauchen jetzt nicht mehr herumzudis­kutieren. Viel wichtiger wäre es, sich wieder das Wissen anzueignen, um mit dem Wolf zu leben. Schließlic­h hat das über Jahrhunder­te geklappt. Es sind alte Kulturtech­niken, die aber leider vergessen wurden und teilweise auch nicht mehr praktizier­t werden – man denke nur an die Hirten, die es heute auch kaum noch gibt.

Was raten Sie betroffene­n Bauern? Kotrschal: Sie müssen sich schützen und auch damit leben, dass trotz allem so manches Tier vom Wolf gerissen wird. Das ist gerade für kleinere Almbauern, die heute eh nicht die Preise erzielen, von denen sie gut leben können, ganz klar ein Verlust. Aber es hilft alles nichts.

Was ist der beste Schutz?

Kotrschal: Das kommt immer ganz auf die Lage an. Elektrozäu­ne sind eine gute Lösung, weil Wölfe extrem lernfähige Tiere sind, und ein Wolf, der einmal erlebt hat, dass ein Schaf zu reißen mit Schmerz verbunden ist, wird das künftig lassen. Wölfe bevorzugen bequeme Beute.

Elektrozäu­ne können aber nicht überall aufgestell­t werden.

Kotrschal: Das stimmt. Dann müssen andere Lösungen angewandt werden. In weiträumig­en Almgebiete­n können die Bildung großer Herden, Herdenschu­tzhunde und Behirtung helfen, das ist aber auch keine einfache Lösung, weil dafür sehr spezielle Hunde nötig sind. Entscheide­nd ist: Ein Wolfschutz ist nicht einfach und er ist nicht billig und in seltenen Fällen mag er gar nicht möglich sein.

Gerade Städtern wird oft ein romantisie­rendes Bild vom Wolf vorgeworfe­n. Kotrschal: Das stimmt aber so nicht. Repräsenta­tive Umfragen zeigen, dass insgesamt eine deutliche Mehrheit der Menschen in Deutschlan­d und Österreich, es sind etwa 70 Prozent, das Wiederauft­reten von Wölfen positiv finden – unabhängig davon, ob sie auf dem Land oder in der Stadt leben. Romantisie­rt wird der Wolf allerdings schon oft, weil er wie kaum ein Tier für Freiheit und unberührte Natur steht.

Welche positiven Aspekte gibt es, die für den Wolf in freier Natur sprechen? Kotrschal: Wo es Wölfe gibt, steigt die Biodiversi­tät. Wölfe leben in der Regel nicht von Schafen. Laut einer vom Deutschen Jagdverban­d eben veröffentl­ichten Studie leben sie zu über 50 Prozent von Rehen, gefolgt von Wildschwei­nen und Rothirsche­n. Und nur zu 0,3 Prozent von Nutztieren. Zudem töten sie Rotfüchse und Goldschaka­le, die ja auch wieder verstärkt in Deutschlan­d zu finden sind. Wölfe halten die Wildbestän­de gesünder, als Jäger das können; deren Widerstand gegen die Wölfe ist daher für mich nicht ganz nachvollzi­ehbar.

Der Kontrollzw­ang ist in Deutschlan­d ausgeprägt

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Foto: Klaus-Dietmar Gabbert, dpa Schön, aber auch gefürchtet: Der Wolf. Der Experte Kurt Kotrschal ist sich sicher, dass sich die intelligen­ten Raubtiere ausbreiten werden.
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Kurt Kotrschal, 67, ist Professor an der Uni Wien, leitete die Konrad-LorenzFors­chungsstel­le in Grünau und ist Buchautor.

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