Neuburger Rundschau

Die Deutsche Bahn bleibt eine Großbauste­lle

Dem Unternehme­n stehen Milliarden zur Verfügung. Sie fließen auch in Projekte in Süddeutsch­land. Doch Experten sagen, es müsste deutlich mehr passieren. Für die Reisenden bedeutet das aktuell, dass manche Bahnhöfe zeitweise nicht erreichbar sind. Zum Beis

- VON JOACHIM BOMHARD

Augsburg Der Bahnhof in Kißlegg im Allgäu: eine Baustelle. Der Hauptbahnh­of in Augsburg: eine große Baustelle. Der Hauptbahnh­of in Stuttgart: eine noch viel größere. Das deutsche Eisenbahns­ystem muss sich dringend modernisie­ren, braucht einen Ausbau seiner Infrastruk­tur, um des erwarteten Ansturms mit mehr Fahrgästen in mehr Zügen Herr zu werden.

Erst kürzlich haben Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) und Bahnchef Richard Lutz einen Vertrag unterschri­eben, der in den kommenden zehn Jahren Investitio­nen in Höhe von insgesamt 86 Milliarden Euro in die Instandset­zung des bestehende­n Netzes vorsieht. Vor allem Gleise, Weichen, Signalanla­gen, Brücken und Bahnhöfe müssen erneuert werden.

Die Deutsche Bahn ist im doppelten Wortsinn eine Großbauste­lle. Und sie wird es in den kommenden Jahren auch bleiben. Experten wie der Eisenbahn-Professor Christian Böttger sagen, jetzt würden erst mal alte Rückstände aufgearbei­tet. Aber es geht ja um mehr. „Um tatsächlic­h mehr Verkehr auf der Schiene bewältigen zu können, brauchen wir mehr Infrastruk­tur“, mahnt der an der Hochschule für Technik und Wissenscha­ft in Berlin tätige Forscher. Und dafür stünden zurzeit jährlich nur 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Böttger kürzlich im ZDF: „Wir bräuchten aber eigentlich etwa 100 Milliarden bis 2030.“Im Hintergrun­d steht das politische Ziel, für den Klimaschut­z deutlich mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Angepeilt ist eine Verdoppelu­ng der Fahrgastza­hlen.

Wo liegen die zentralen Probleme? Die Zufahrten zu den großen

Bahnknoten­punkten Köln, Frankfurt, München, Berlin und Hamburg sind „bis an den Anschlag ausgelaste­t“(Böttger), nicht nur im Personenve­rkehr. Der Experte fordert einen massiven Ausbau der Infrastruk­tur, neue Trassen und Ausweichst­recken. Die zunehmende Digitalisi­erung könnte dafür sorgen, dass die Züge in kürzeren Abständen fahren. Es muss aber auch das Material geben, das darauf rollt. Im Augenblick läuft die weitere Anschaffun­g neuer ICE- und IC-Garnituren – allerdings, wie berichtet, nicht so reibungslo­s wie gedacht, weil die elektronis­chen Bordsystem­e instabil sind. Diese Woche gab die Bahn bekannt, von den österreich­ischen Kollegen 17 gebrauchte doppelstöc­kige Intercityz­üge erworben zu haben. Sie verkehren ab März zwischen Berlin und Dresden.

Natürlich wird jetzt schon allerorten gebaut. Milliarden fließen beispielsw­eise in den Bau von Stuttgart 21 und die Hochgeschw­indigkeits­strecke von dort nach Ulm. Das größte laufende Projekt in der Region ist die Elektrifiz­ierung der Bahnstreck­e München nach Lindau. Damit soll die Fahrzeit zwischen Bayern

und der Schweiz deutlich verringert werden. Die Arbeiten auf Bayerns längster Baustelle begannen im März 2018 und sollen im Sommer abgeschlos­sen sein. Zum Fahrplanwe­chsel im Dezember fahren die Eurocitys von München bis Zürich durchgehen­d elektrisch angetriebe­n. Der Lokwechsel von Diesel auf elektrisch in Lindau entfällt. Für die rund 300 Kilometer brauchen die Züge noch dreieinhal­b Stunden, eine weniger als bisher und sind damit konkurrenz­fähig zum Flugzeug.

Bis es so weit ist, herrscht auf der Strecke Ausnahmezu­stand. Derzeit ist der Abschnitt zwischen Wangen und Hergatz gesperrt, unter anderem für die Fertigstel­lung des aufwendigs­ten Vorhabens des gesamten Ausbaus, wie ein Bahnsprech­er erklärt: In Wangen entstand neben der Strecke eine 116 Meter lange neue Brücke über das Tal der Oberen Argen. Jetzt wird die alte Brücke abgerissen und die neue an ihrer Stelle eingeschob­en.

In der Faschingsw­oche, wenn Ferien sind, wird Lindau vom Zugverkehr weitgehend abgeschnit­ten sein. Vom 25. bis 27. Februar verkehren nur noch Nahverkehr­szüge aus und in Richtung Bregenz. Wer von Buchloe/Kempten oder Ulm/Friedrichs­hafen fährt, muss laut Fahrplan auf Busse (Schienener­satzverkeh­r) umsteigen. Die Eurocitys zwischen München und Zürich enden an diesen Tagen in Kempten beziehungs­weise Bregenz, so ein Bahnsprech­er.

Parallel wird derzeit für rund 250 Millionen Euro auch die 126 Kilometer lange Strecke Ulm–Friedrichs­hafen–Lindau elektrifiz­iert. Deshalb wird es in diesem Jahr auf einzelnen Abschnitte­n zu einer längerfris­tigen Einstellun­g des Zugverkehr­s kommen (siehe Grafik). Reisende müssen auf Ersatzbuss­e umsteigen. In allen Fällen empfiehlt es sich, den Fahrplan für den jeweiligen Reisetag ganz genau zu studieren. Die Bahn sagt: Es gilt das, was im Internet steht. Die Bauarbeite­n sollen Ende 2021 abgeschlos­sen sein. Lindau ist dann endgültig ein moderner Bahnknoten­punkt mit verkürzten Fahrzeiten in alle Richtungen. Eine Fahrt nach Stuttgart soll künftig nur noch eine Stunde und 40 Minuten dauern statt 2 Stunden und 15 Minuten. Allein durch den nicht mehr notwendige­n Lokwechsel in Ulm sparen sich Reisende zehn Minuten. Und die E-Loks sind dann mit bis zu 160 Stundenkil­ometern unterwegs. Dieselloko­motiven schaffen nur Tempo 140.

Auch ehemalige Neubaustre­cken kommen mal in die Jahre. Im vergangene­n Jahr wurde der Schienenst­rang zwischen Göttingen und Hannover komplett saniert, was die Fahrzeiten aus Süddeutsch­land Richtung Hamburg deutlich verlängert­e. In diesem Jahr nimmt sich die Deutsche Bahn die 29 Jahre alte und 99 Kilometer lange Schnellfah­rstrecke Mannheim–Stuttgart vor. Von April bis Oktober werden die Züge umgeleitet, um Schienen und Weichen komplett auszutausc­hen. Dafür gibt die Bahn in diesem Jahr 183 Millionen Euro aus, sagt Infrastruk­tur-Vorstand Ronald Pofalla. Danach kehren die Bauarbeite­r auf die Strecke Würzburg–Hannover zurück, um in jährlichen Etappen die Abschnitte Kassel–Göttingen (2021), Würzburg–Fulda (2022) und Fulda–Kassel zu erneuern.

Pofalla wird sich nun an seiner Aussage messen lassen müssen, die gesammelte­n Baumaßnahm­en auch noch „so kundenfreu­ndlich wie noch nie“über die Bühne zu bringen, das heißt mit möglichst wenigen Einschränk­ungen und vor allem Zugverspät­ungen. Ermögliche­n sollen das Ersatzbrüc­ken und Ausweichgl­eise, die nun für die Bauzeit errichtet werden können, weil der Bund das dafür erforderli­che Geld zur Verfügung stelle.

Es empfiehlt sich, die Fahrpläne genau zu lesen

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Archivfoto: Tobias Hase, dpa Auf dem Münchner Hauptbahnh­of herrscht Hochbetrie­b: Die Züge sind schon jetzt häufig überfüllt. Damit noch mehr eingesetzt werden können, muss dringend in neue Gleise, Züge und Bahnhöfe investiert werden.

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