Die Deutsche Bahn bleibt eine Großbaustelle
Dem Unternehmen stehen Milliarden zur Verfügung. Sie fließen auch in Projekte in Süddeutschland. Doch Experten sagen, es müsste deutlich mehr passieren. Für die Reisenden bedeutet das aktuell, dass manche Bahnhöfe zeitweise nicht erreichbar sind. Zum Beis
Augsburg Der Bahnhof in Kißlegg im Allgäu: eine Baustelle. Der Hauptbahnhof in Augsburg: eine große Baustelle. Der Hauptbahnhof in Stuttgart: eine noch viel größere. Das deutsche Eisenbahnsystem muss sich dringend modernisieren, braucht einen Ausbau seiner Infrastruktur, um des erwarteten Ansturms mit mehr Fahrgästen in mehr Zügen Herr zu werden.
Erst kürzlich haben Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Bahnchef Richard Lutz einen Vertrag unterschrieben, der in den kommenden zehn Jahren Investitionen in Höhe von insgesamt 86 Milliarden Euro in die Instandsetzung des bestehenden Netzes vorsieht. Vor allem Gleise, Weichen, Signalanlagen, Brücken und Bahnhöfe müssen erneuert werden.
Die Deutsche Bahn ist im doppelten Wortsinn eine Großbaustelle. Und sie wird es in den kommenden Jahren auch bleiben. Experten wie der Eisenbahn-Professor Christian Böttger sagen, jetzt würden erst mal alte Rückstände aufgearbeitet. Aber es geht ja um mehr. „Um tatsächlich mehr Verkehr auf der Schiene bewältigen zu können, brauchen wir mehr Infrastruktur“, mahnt der an der Hochschule für Technik und Wissenschaft in Berlin tätige Forscher. Und dafür stünden zurzeit jährlich nur 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Böttger kürzlich im ZDF: „Wir bräuchten aber eigentlich etwa 100 Milliarden bis 2030.“Im Hintergrund steht das politische Ziel, für den Klimaschutz deutlich mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Angepeilt ist eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen.
Wo liegen die zentralen Probleme? Die Zufahrten zu den großen
Bahnknotenpunkten Köln, Frankfurt, München, Berlin und Hamburg sind „bis an den Anschlag ausgelastet“(Böttger), nicht nur im Personenverkehr. Der Experte fordert einen massiven Ausbau der Infrastruktur, neue Trassen und Ausweichstrecken. Die zunehmende Digitalisierung könnte dafür sorgen, dass die Züge in kürzeren Abständen fahren. Es muss aber auch das Material geben, das darauf rollt. Im Augenblick läuft die weitere Anschaffung neuer ICE- und IC-Garnituren – allerdings, wie berichtet, nicht so reibungslos wie gedacht, weil die elektronischen Bordsysteme instabil sind. Diese Woche gab die Bahn bekannt, von den österreichischen Kollegen 17 gebrauchte doppelstöckige Intercityzüge erworben zu haben. Sie verkehren ab März zwischen Berlin und Dresden.
Natürlich wird jetzt schon allerorten gebaut. Milliarden fließen beispielsweise in den Bau von Stuttgart 21 und die Hochgeschwindigkeitsstrecke von dort nach Ulm. Das größte laufende Projekt in der Region ist die Elektrifizierung der Bahnstrecke München nach Lindau. Damit soll die Fahrzeit zwischen Bayern
und der Schweiz deutlich verringert werden. Die Arbeiten auf Bayerns längster Baustelle begannen im März 2018 und sollen im Sommer abgeschlossen sein. Zum Fahrplanwechsel im Dezember fahren die Eurocitys von München bis Zürich durchgehend elektrisch angetrieben. Der Lokwechsel von Diesel auf elektrisch in Lindau entfällt. Für die rund 300 Kilometer brauchen die Züge noch dreieinhalb Stunden, eine weniger als bisher und sind damit konkurrenzfähig zum Flugzeug.
Bis es so weit ist, herrscht auf der Strecke Ausnahmezustand. Derzeit ist der Abschnitt zwischen Wangen und Hergatz gesperrt, unter anderem für die Fertigstellung des aufwendigsten Vorhabens des gesamten Ausbaus, wie ein Bahnsprecher erklärt: In Wangen entstand neben der Strecke eine 116 Meter lange neue Brücke über das Tal der Oberen Argen. Jetzt wird die alte Brücke abgerissen und die neue an ihrer Stelle eingeschoben.
In der Faschingswoche, wenn Ferien sind, wird Lindau vom Zugverkehr weitgehend abgeschnitten sein. Vom 25. bis 27. Februar verkehren nur noch Nahverkehrszüge aus und in Richtung Bregenz. Wer von Buchloe/Kempten oder Ulm/Friedrichshafen fährt, muss laut Fahrplan auf Busse (Schienenersatzverkehr) umsteigen. Die Eurocitys zwischen München und Zürich enden an diesen Tagen in Kempten beziehungsweise Bregenz, so ein Bahnsprecher.
Parallel wird derzeit für rund 250 Millionen Euro auch die 126 Kilometer lange Strecke Ulm–Friedrichshafen–Lindau elektrifiziert. Deshalb wird es in diesem Jahr auf einzelnen Abschnitten zu einer längerfristigen Einstellung des Zugverkehrs kommen (siehe Grafik). Reisende müssen auf Ersatzbusse umsteigen. In allen Fällen empfiehlt es sich, den Fahrplan für den jeweiligen Reisetag ganz genau zu studieren. Die Bahn sagt: Es gilt das, was im Internet steht. Die Bauarbeiten sollen Ende 2021 abgeschlossen sein. Lindau ist dann endgültig ein moderner Bahnknotenpunkt mit verkürzten Fahrzeiten in alle Richtungen. Eine Fahrt nach Stuttgart soll künftig nur noch eine Stunde und 40 Minuten dauern statt 2 Stunden und 15 Minuten. Allein durch den nicht mehr notwendigen Lokwechsel in Ulm sparen sich Reisende zehn Minuten. Und die E-Loks sind dann mit bis zu 160 Stundenkilometern unterwegs. Diesellokomotiven schaffen nur Tempo 140.
Auch ehemalige Neubaustrecken kommen mal in die Jahre. Im vergangenen Jahr wurde der Schienenstrang zwischen Göttingen und Hannover komplett saniert, was die Fahrzeiten aus Süddeutschland Richtung Hamburg deutlich verlängerte. In diesem Jahr nimmt sich die Deutsche Bahn die 29 Jahre alte und 99 Kilometer lange Schnellfahrstrecke Mannheim–Stuttgart vor. Von April bis Oktober werden die Züge umgeleitet, um Schienen und Weichen komplett auszutauschen. Dafür gibt die Bahn in diesem Jahr 183 Millionen Euro aus, sagt Infrastruktur-Vorstand Ronald Pofalla. Danach kehren die Bauarbeiter auf die Strecke Würzburg–Hannover zurück, um in jährlichen Etappen die Abschnitte Kassel–Göttingen (2021), Würzburg–Fulda (2022) und Fulda–Kassel zu erneuern.
Pofalla wird sich nun an seiner Aussage messen lassen müssen, die gesammelten Baumaßnahmen auch noch „so kundenfreundlich wie noch nie“über die Bühne zu bringen, das heißt mit möglichst wenigen Einschränkungen und vor allem Zugverspätungen. Ermöglichen sollen das Ersatzbrücken und Ausweichgleise, die nun für die Bauzeit errichtet werden können, weil der Bund das dafür erforderliche Geld zur Verfügung stelle.
Es empfiehlt sich, die Fahrpläne genau zu lesen