Akten ermordeter Frauen verschwunden
Mindestens 168 psychisch kranke Patientinnen sind 1940 von den Nazis aus Lauingen deportiert worden. Ordensschwestern hüteten die Unterlagen. Doch nun sind sie weg
Lauingen Ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte holt jetzt die Elisabethenstiftung in Lauingen (Landkreis Dillingen) wieder ein. In dem Psychiatriezentrum sind Unterlagen aus der Nazi-Zeit verschwunden, die Ordensschwestern sorgfältig gehütet hatten. Es handelt sich dabei um die Akten psychisch kranker Frauen, die im November 1940 aus Lauingen deportiert und anschließend ermordet wurden. Gernot Römer, früherer Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen, beschreibt in seinem Buch „Die grauen Busse in Schwaben“die furchtbaren Szenen, die sich damals in Lauingen abgespielt haben. Nach einem Besuch von Behördenmitarbeitern in den Tagen zuvor wussten offensichtlich alle Beteiligten, dass den Patientinnen dort, deren Leben von den Nazi-Ideologen als lebensunwert eingestuft worden war, Schlimmes bevorstehen würde. „Wir werden alle umgebracht“, schrie eine Frau, die mit ihren Leidensgenossinnen vor der Deportation noch in einer heiligen Messe eine Art Generalabsolution erhalten hatte. Mindestens 168 Heimbewohnerinnen – anderen Angaben zufolge 176 – wurden schließlich abgeholt und umgebracht.
Die Krankenakten der Frauen schlummerten danach in der Elisabethenstiftung. In der Zeit nach 2013 seien die Akten aber verschwunden, behauptet Psychiater Albert Pröller. Der Lauinger macht dafür den früheren Stiftungsdirektor Helmuth Zengerle verantwortlich, der die Anschuldigung aber vehement zurückweist. Er habe keine Ahnung, was mit den Akten geschehen sei. „Ich wüsste gar nicht, wo die gelagert waren“, teilt der einstige Bezirksrat mit. „Warum sollte ich diese Akten verschwinden lassen?“, fragt Zengerle. Schließlich habe er eigens ein Denkmal im Hof der Elisabethenstiftung errichten lassen, um der Opfer des Nazi-Terrors zu gedenken.
In der Stiftung selbst – der Dillinger Landrat Leo Schrell ist Stiftungsratsvorsitzender – herrscht
Betroffenheit. Der Vorsitzende des Vorstands, Jörg Fröhlich, sagt, dass er erst seit dem 1. Januar 2016 im Amt sei. Die Akten mit Angaben zu den Krankheiten der ermordeten Frauen seien da schon nicht mehr in der Stiftung gewesen. Fröhlich sagt: „Stiftung und Stiftungsrat bedauern es zutiefst, dass diese Unterlagen nicht mehr da sind.“Das Verschwinden sei Gegenstand der Ermittlungen der Kriminalpolizei gewesen.
Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat 2017 nach einem Bericht in unserer Zeitung ein Ermittlungsverfahren gegen den früheren Stiftungsdirektor Helmuth Zengerle wegen des Verdachts der Untreue eingeleitet. Der einstige Leiter, der Ende 2015 in den Ruhestand ging, soll Zulagen ohne vertragliche Grundlage erhalten haben. Nach dem Wechsel an der Führungsspitze sollen weitere Unregelmäßigkeiten ans Licht gekommen sein. Nach Informationen unserer Zeitung kam es zu einer außergerichtlichen Einigung. Zengerle, der im Dezember 2017 von seinen Ämtern als Lauinger CSU-Ortsvorsitzender und Dritter Bürgermeister zurücktrat, soll mehr als 100 000 Euro an die Stiftung zurückbezahlt haben.
Zweieinhalb Jahre laufen inzwischen die Ermittlungen. „Sie sind noch nicht abgeschlossen“, teilt Oberstaatsanwalt Matthias Nickolai mit. Er bestätigt, dass im Rahmen dieser Ermittlungen „nebenbei“Vorwürfe geäußert worden seien, dass alte Akten in der Elisabethenstiftung vernichtet worden sein sollen. Im Moment, so Nickolai, könne mit den Informationen, die bisher vorliegen, „kein Strafvorwurf begründet werden“.
Einem glücklichen Umstand ist es zu verdanken, dass die Namen der Opfer in Lauingen nicht für immer verschwunden sind. Eine Mitarbeiterin der Einrichtung habe das „Pfleglings-Journal“verwahrt, sagt Fröhlich, der beim Durchblättern mit den Tränen ringt. „Wir sind sehr, sehr froh, dass wir dieses Buch haben.“So könne man den Opfern Namen geben.