Bleibt 40 Jahre alter Fall ungelöst?
Spektakuläre Wende in Mordprozess
Aschaffenburg Ein widersprüchliches Gutachten einer Zahnmedizinerin hat zu einer beispiellosen Wende im Prozess um einen vor 40 Jahren begangenen Mord in Aschaffenburg geführt. Das Gericht musste den Haftbefehl gegen den 57-jährigen Angeklagten aufheben, der Mann sei unverzüglich aus der U-Haft – wo er seit Mai 2019 einsaß – zu entlassen. Es bestehe kein dringender Tatverdacht mehr. Die Staatsanwaltschaft hatte den Mann wegen des Mordes an einer damals 15-Jährigen angeklagt.
Die Tat soll sich im Dezember 1979 im Schlosspark von Aschaffenburg zugetragen haben. An der Leiche des Mädchens war eine Bissspur gefunden worden. Die Sachverständige hatte das Gebiss des 57-Jährigen eindeutig der Wunde an der Leiche zugeordnet. Doch dem Gericht fielen immer mehr Widersprüche auf.
Als die Sachverständige nun ein zweites Mal bei Gericht erscheinen musste, platzte die Bombe: „Überraschenderweise vermochte die Sachverständige die von der Kammer sodann aufgezeigten Widersprüche
Massive Zweifel an Kompetenz der Gutachterin
in ihrer Gutachtenerstattung in keiner Weise fundiert zu entkräften“, hieß es vom Gericht – selbst in der zurückhaltenden Sprache der Juristen klingt das nach einem deutlichen Urteil. Die Sachverständige, die sich schon bei zahlreichen Einsätzen nach Katastrophen international einen Namen gemacht hatte, hatte offenbar überhaupt keine Ahnung, was sie eigentlich in ihrem Gutachten geschrieben hatte.
Ein fehlender Zahn, den die Sachverständige der Technischen Universität München als genetische Anomalie im Kiefer des Angeklagten erkannt hatte, war in Wirklichkeit 1997 laut Röntgenbildern noch vorhanden. Ein weiterer Zahn, den die Medizinerin im aktuellen Gebiss als existent bezeichnet hatte, fehlte dagegen in Wirklichkeit. Die entsprechenden Unterlagen, darunter Röntgenbilder, hatten ihr zwar die Ermittler zur Verfügung gestellt. Sie schickte sie aber zurück – „mangels Relevanz“.
Das Gericht will nun erst einmal weiterverhandeln. Was am Ende des Prozesses herauskommt, steht aber in den Sternen. Möglich erscheint ein zweites zahnmedizinisches Gutachten. Genauso möglich erscheint auch ein Freispruch, falls der Mann als Täter ausgeschlossen werden kann – wie vom Gericht bereits erwogen.