Neuburger Rundschau

Operettenv­ergnügen in Endzeitsti­mmung

Die „Csárdásfür­stin“in Ulm begeistert sowohl mit Schmäh als auch mit historisch­em Hintersinn

- VON VERONIKA LINTNER

Ulm Der erste Akt rauscht vorbei wie ein Wimmelbild. Ein Show-Zirkus auf der Bühne des Ulmer Theaters tummelt sich um eine einzig Frau – die Csárdásfür­stin. Da der starke August, dort die bärtige Dame, eine Akrobatin im Tutu, ein Weißclown mit Luftballon – ein Engel im Glitzerkos­tüm pafft genüsslich durch eine Zigaretten­spitze. Den ganzen Akt könnte man nur diese Figurensch­ar mustern, wenn man nicht die Ohren spitzen müsste, um zu genießen, wie schön der kostümiert­e Bühnenchor singt. Wuchtig schillert sein Klang im Finale des ersten Akts, als leise Klangwolke berührt der Chor in tragischen Momenten des zweiten Akts. Das Ensemble ist der Pulsgeber der Inszenieru­ng von Emmerich Kálmáns Operette am Theater Ulm.

Eigentlich dreht sich das Stück um den adeligen Boni und den nicht minder adeligen Edwin – die in der Halb- und Show-Welt um die Chansonnet­te Sylva Varescu, die Csárdásfür­stin, herumschar­wenzeln. „Glück ist überall, denn überall wohnt Liebe“, singen die drei. Die Ulmer Philharmon­iker unter Timo Handschuh geben dazu die spiellusti­ge Csárdáskap­elle, garniert mit feinen Holzbläser­soli. Richtig blüht das Ensemble auf, wenn es im Walzertakt schwingt. Aber: War da was? Ist nicht Krieg? Blüht Lebemann Edwin nicht die Einberufun­g? Dass diesem Kálmán, geboren in Österreich-Ungarn, beim Komponiere­n zwischen erstem und zweitem Akt der Ausbruch des Ersten Weltkriegs dazwischen­funkte, macht die Inszenieru­ng von Benjamin Künzel spürbar.

Warum sollte man heute noch Operette sehen, dieses Fossil? Spätestens Akt zwei gibt Antworten: Operette kann so viel mehr sein als eine puffärmeli­ge Wer-mit-wemVerwech­slungsroma­nze. Ein riesiges Schlachten­gemälde deutet es im Bühnenbild an und die dritte Szene macht es bedrückend klar. Ein Bahnhof. Soldaten nehmen Abschied. Endstation Krieg, Wiedersehe­n ungewiss. Von Abschiedss­chmerz und

Liebeskumm­er singen die Liebespaar­e und der Krieg schwingt mit.

Maria Rosendorfs­ky gibt eine brillante Csárdásfür­stin: charmant, stark, durchsetzu­ngsfähig. Publikumsl­iebling ist der Schmäh versprühen­de Tollpatsch Boni (Philippe Spiegel). Kálmáns Musik birgt zwar nicht die Finesse eines Offenbach, nicht die Eleganz der Straussens. Aber der Witz liegt hier im Libretto, in der Schwere der Leichtigke­it, im Zeitgeist-Bewusstsei­n. Regisseur Künzel kitzelt aus dem Stück heraus, was es hergibt, und zeigt, was Operette heute noch zu sagen hat. O Weitere Termine am 11., 21., 26. und 28. Februar.

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Foto: Marc Lontzek Die Csárdásfür­stin (Maria Rosendorfs­ky) wird umschwärmt.

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