Operettenvergnügen in Endzeitstimmung
Die „Csárdásfürstin“in Ulm begeistert sowohl mit Schmäh als auch mit historischem Hintersinn
Ulm Der erste Akt rauscht vorbei wie ein Wimmelbild. Ein Show-Zirkus auf der Bühne des Ulmer Theaters tummelt sich um eine einzig Frau – die Csárdásfürstin. Da der starke August, dort die bärtige Dame, eine Akrobatin im Tutu, ein Weißclown mit Luftballon – ein Engel im Glitzerkostüm pafft genüsslich durch eine Zigarettenspitze. Den ganzen Akt könnte man nur diese Figurenschar mustern, wenn man nicht die Ohren spitzen müsste, um zu genießen, wie schön der kostümierte Bühnenchor singt. Wuchtig schillert sein Klang im Finale des ersten Akts, als leise Klangwolke berührt der Chor in tragischen Momenten des zweiten Akts. Das Ensemble ist der Pulsgeber der Inszenierung von Emmerich Kálmáns Operette am Theater Ulm.
Eigentlich dreht sich das Stück um den adeligen Boni und den nicht minder adeligen Edwin – die in der Halb- und Show-Welt um die Chansonnette Sylva Varescu, die Csárdásfürstin, herumscharwenzeln. „Glück ist überall, denn überall wohnt Liebe“, singen die drei. Die Ulmer Philharmoniker unter Timo Handschuh geben dazu die spiellustige Csárdáskapelle, garniert mit feinen Holzbläsersoli. Richtig blüht das Ensemble auf, wenn es im Walzertakt schwingt. Aber: War da was? Ist nicht Krieg? Blüht Lebemann Edwin nicht die Einberufung? Dass diesem Kálmán, geboren in Österreich-Ungarn, beim Komponieren zwischen erstem und zweitem Akt der Ausbruch des Ersten Weltkriegs dazwischenfunkte, macht die Inszenierung von Benjamin Künzel spürbar.
Warum sollte man heute noch Operette sehen, dieses Fossil? Spätestens Akt zwei gibt Antworten: Operette kann so viel mehr sein als eine puffärmelige Wer-mit-wemVerwechslungsromanze. Ein riesiges Schlachtengemälde deutet es im Bühnenbild an und die dritte Szene macht es bedrückend klar. Ein Bahnhof. Soldaten nehmen Abschied. Endstation Krieg, Wiedersehen ungewiss. Von Abschiedsschmerz und
Liebeskummer singen die Liebespaare und der Krieg schwingt mit.
Maria Rosendorfsky gibt eine brillante Csárdásfürstin: charmant, stark, durchsetzungsfähig. Publikumsliebling ist der Schmäh versprühende Tollpatsch Boni (Philippe Spiegel). Kálmáns Musik birgt zwar nicht die Finesse eines Offenbach, nicht die Eleganz der Straussens. Aber der Witz liegt hier im Libretto, in der Schwere der Leichtigkeit, im Zeitgeist-Bewusstsein. Regisseur Künzel kitzelt aus dem Stück heraus, was es hergibt, und zeigt, was Operette heute noch zu sagen hat. O Weitere Termine am 11., 21., 26. und 28. Februar.