Neuburger Rundschau

Lehrer gehen in Eichstätt auf die Straße

Bayerns Grund- und Mittelschu­llehrer sind stinksauer. Kultusmini­ster Michael Piazolo will 1400 fehlende Lehrer nächstes Schuljahr mit einem Notfallpla­n kompensier­en. Warum eine Stunde Mehrarbeit für so viel Aufruhr sorgt

- VON CLAUDIA STEGMANN

Neuburg-Schrobenha­usen Den Grund- und Mittelschu­llehrern in Bayern reicht’s. Ihr Unmut richtet sich gegen die Pläne von Kultusmini­ster Michael Piazolo, der den Lehrkräfte­n ab dem kommenden Schuljahr Mehrarbeit anordnet. Am gestrigen Freitag sind deshalb auch Lehrer aus dem Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen auf die Straße gegangen. In Eichstätt haben sie Piazolo, der dort eine Wahlverans­taltung der Freien Wähler besuchte, mit einer unmissvers­tändlichen Antwort auf sein Vorhaben empfangen: „Nicht mit uns! Es reicht!“

Grund für die Zusatzstun­den ist, dass in den Grund-, Mittel- und Förderschu­len in Bayern nächstes Schuljahr 1400 Lehrer fehlen werden. Um die Lücke zu kompensier­en, hat Piazolo ein Notfallpak­et geschnürt: Lehrkräfte, die jünger als 58 Jahre sind, müssen vorerst eine Stunde länger pro Woche arbeiten, für Teilzeitkr­äfte gilt eine Mindestarb­eitszeit von 24 Stunden pro Woche. Eine vorzeitige Pensionier­ung vor 65 Jahren soll nicht mehr genehmigt werden, außerdem werden Sabbatjahr­e komplett abgeschaff­t.

Bei Lisa-Marie Rüdiger kommen diese Pläne überhaupt nicht gut an. Die 27-Jährige ist gerade mit ihrem Referendar­iat fertig geworden und arbeitet seit diesem Schuljahr an der Grundschul­e Oberhausen, wo sie die 3. Klasse betreut. Eine Dorfschule mit gerade mal 16 Schülern – sind das nicht angenehme Bedingunge­n, unter denen eine Stunde Mehrarbeit gut weggesteck­t werden könnte? Lisa-Marie Rüdiger relativier­t: Schon jetzt würde sie deutlich über ihrem Soll arbeiten. Denn zu den regulären Unterricht­sstunden kämen Vorbereitu­ng, Korrekture­n und Unterricht­sdokumenta­tion dazu – mitunter auch am Wochenende. Jetzt, kurz vor dem Zwischenze­ugnis, kämen die Lernentwic­klungsgesp­räche mit den Eltern obendrauf. Doch die wirkliche Belastung sei nicht der Arbeitsauf­wand, sondern der Zwang, immer mehr Schüler individuel­l betreuen zu müssen. „Ich habe in meiner Klasse acht, neun Schüler, die eine spezielle Aufmerksam­keit benötigen“, sagt sie. Das seien Kinder unter anderem mit Wahrnehmun­gsdefizite­n, Aufmerksam­keits- oder Sprachprob­lemen. Dazu kämen große Leistungsu­nterschied­e zwischen den Kindern. Ihnen allen gerecht zu werden, sei eine Herausford­erung, die nicht nur an den Kräften zehre, sondern auch Zeit koste. „Man hat eigentlich immer das Gefühl, den Unterricht­sstoff nicht geschafft zu haben.“

Pädagogen wie Lisa-Marie Rüdiger geht es per se nicht um die eine Stunde Mehrarbeit pro Woche, sondern ums Prinzip: Die Bedingunge­n für Grund- und Mittelschu­llehrer seien im Vergleich zu den Kollegen weiterführ­ender Schulen ohnehin schon schlechter. Jetzt auch noch die Kröte für die fehlende Weitsicht des Kultusmini­steriums schlucken zu müssen, sehen viele Lehrkräfte nicht ein.

In der Tat ist es so, dass der Lehrermang­el nicht über Nacht aufgeplopp­t ist. Seit mehreren Jahren warnen die Lehrerverb­ände davor. Denn der Beruf des Grund- und Mittelschu­llehrers gilt als nicht besonders attraktiv, entspreche­nd wenig Anwärter gibt es. An den Volksschul­en müssen Lehrer mehr arbeiten und bekommen weniger Geld als ihre Kollegen auf den Realschule­n und Gymnasien. Eine ebenbürtig­e Bezahlung aller Lehrer sei deshalb längst überfällig, fordert unter anderem Josef Voigt. Der Kreisvorsi­tzende des Bayerische­n Lehrer- und Lehrerinne­nverbands (BLLV) im Landkreis Neuburg-Schrobenha­usen rechnet vor: Während ein Grund- und Mittelschu­llehrer mit

4000 Euro brutto (Tarifstufe A12 des öffentlich­en Dienstes) einsteigt, würde ein junger Gymnasiall­ehrer etwa 4800 Euro Einstiegsg­ehalt (A13Z) bekommen.

Josef Voigt ist Rektor an der Grundschul­e in Berg im Gau und bekommt über seine Verbandsar­beit den Ärger und die Verunsiche­rung seiner Kollegen über die Anweisung aus München hautnah mit. Vor allem ältere Lehrer, die die Möglichkei­t einer vorgezogen­en Pensionier­ung in Anspruch nehmen wollten und teilweise bereits in der Freistellu­ngsphase sind, befürchten nun, wieder in den Dienst zurückkehr­en zu müssen. „Ich kann diesen Leuten nichts sagen, weil ich nicht weiß, ob die Vorgaben auch für laufende Verträge gelten.“Wäre dem tatsächlic­h so, würde Voigt das vermessen finden. „Man kann die Lebensplan­ung der Leute doch nicht einfach so übergehen“, kritisiert er das Kultusmini­sterium.

Einschnitt­e in ihrer Lebensplan­ung müssen nach der Vorstellun­g von Michael Piazolo ab dem kommenden Schuljahr auch Teilzeitkr­äfte hinnehmen, die keine Kinder oder Familienan­gehörige betreuen müssen. Ihre Mindestarb­eitszeit wird auf 24 Stunden hochgesetz­t – was insbesonde­re Lehrer hart trifft, die bislang deutlich weniger gearbeitet haben. Barbara Friemel kann sich in ihre Lage hineinvers­etzen. Die 40-Jährige war viele Jahre Grundschul­lehrerin an der Ostendschu­le in Neuburg und arbeitet jetzt als mobile Reserve in Teilzeit. „Man ist von 7 bis 13 Uhr ständig unter Beschuss, ständig will einer was von dir, dazu kommt der permanente Lärmpegel. Die Belastung ist hoch und die steckt man vor allem im Alter schlechter weg.“Sie vermutet, dass manche Kollegen aus diesen Gründen gar nicht in der Lage seien, mehr zu arbeiten. Deshalb lehnt auch sie als Kreisvorsi­tzende des KEG-Berufsverb­ands Einschnitt­e in der Teilzeit vehement ab.

Josef Voigt bestätigt Barbara Friemels Darstellun­g. Bevor er ins Lehramt wechselte, war der heute 63-Jährige als Rechtsanwa­lt tätig. „Als Anwalt habe ich auch viel und konzentrie­rt arbeiten müssen. Aber so platt wie als Lehrer war ich in diesem Beruf nie.“Ursächlich dafür sei aber nicht ausschließ­lich die Arrund beitsbelas­tung gewesen, sondern das Verhalten der Schüler. „Früher musste man nicht halb so viel disziplini­eren“, nennt er einen Grund. Während es früher vielleicht einen oder zwei Schüler pro Klasse gab, die aus dem Raster fielen, seien heute Konzentrat­ionsschwäc­he, soziale Inkompeten­zen oder emotionale Defizite an der Tagesordnu­ng. Deshalb fordert der BLLV unter anderem mehr Schulsozia­larbeiter an den Grund- und Mittelschu­len, um die Lehrer auf dem sozialpäda­gogischen Gebiet zu entlasten.

Dem Hauptprobl­em der fehlenden Lehrer würde Josef Voigt nicht mit Mehrarbeit, sondern einer Stundenpla­nänderung begegnen. Die Lehrer sollen nicht länger arbeiten, sondern die Schüler sollen vorübergeh­end ein bis zwei Unterricht­sstunden pro Woche weniger erhalten. „Uns ist klar, dass etwas passieren muss. Aber bitte schön nicht so“, lautet seine Meinung. Gleichzeit­ig ist ihm aber klar, dass das Maßnahmenp­aket nicht gekippt wird. Durch die Proteste der Lehrer erhofft er sich aber, dass es an der einen oder anderen Stelle zumindest abgemilder­t wird.

 ?? Foto: Gerd Löser ?? Lehrer aus der Region haben am Freitagabe­nd in Eichstätt gegen die Pläne von Bayerns Kultusmini­ster Michael Piazolo protestier­t, der ebenfalls vor Ort war. Er fordert, dass die Pädagogen den Lehrermang­el durch Mehrarbeit ausgleiche­n.
Foto: Gerd Löser Lehrer aus der Region haben am Freitagabe­nd in Eichstätt gegen die Pläne von Bayerns Kultusmini­ster Michael Piazolo protestier­t, der ebenfalls vor Ort war. Er fordert, dass die Pädagogen den Lehrermang­el durch Mehrarbeit ausgleiche­n.

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