Neuburger Rundschau

Salonfähig

Kriselt die Wirtschaft, läuft das Geschäft mit den Nägeln. So ist der kleine Luxus im Studio auch hier zum Alltag geworden. Über die schönen und weniger schönen Seiten einer boomenden Branche

- Von Stefanie Wirsching

Es gibt Geschichte­n, die klingen ein klein wenig ausgedacht. Als ob man noch etwas daran geschönt hätte, damit sie sich besser erzählen lassen, auch wenn es nicht so ist. Beginnen wir mit der von Manuela Neumann, früher Bahnangest­ellte und Nagelbeiße­rin, wie sie sagt, heute Nageldesig­nerin und Kosmetiker­n mit eigenem Studio. Name: „Das Schönheits­prinzip.“In dem sie neben dem Behandlung­stisch eine Karte mit einem Zitat von Winston Churchill platziert hat. „Man muss dem Körper Gutes tun, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen.“Keine Ahnung, woran Winston Churchill, Zigarrensc­hmaucher, Whiskytrin­ker, bei diesen Worten dachte, vermutlich aber nicht an Hände und Fingernäge­l. Genau deswegen hat ihr das Zitat aber auch so gut gefallen, sagt Manuela Neumann, ausgerechn­et Churchill. Ausgerechn­et sie.

Wobei man auch mit Terri Malon, Gründerin des Verbandes Deutscher Nageldesig­ner, beginnen könnte. Auch eine tolle Geschichte. Gelernte Krankensch­wester, arbeitete beim amerikanis­chen Militär, liebte ihre Nägel! Als sie in Fürth vor 32 Jahren eines der ersten Nagelstudi­os in Deutschlan­d eröffnete, kamen erst nur die Frauen der amerikanis­chen Soldaten, die kannten das von zu Hause, dann ganz langsam auch die deutschen. Ihr Studio lag in einem Ärztehaus, „da konnten meine Kundinnen reingehen, und später sagen, ich war beim HNOArzt“. Malon, drei Kinder, alleinerzi­ehend, führte später sieben Nagelstudi­os und einen Großhandel, gründete eine eigene Zeitschrif­t, gab auch das alles wieder auf, aber nach wie vor kämpft sie: für eine bessere

Ausbildung, für ein besseres Image. „Nennen Sie mich ruhig den Dinosaurie­r der Branche“, sagt Malon und lacht. Sie ist im Übrigen auch die Erfinderin des Babyboomer­Looks, den man vielleicht am besten so beschreibe­n kann: Der Übergang zwischen dem Nudeton der Nägel und dem Nagelweiß an der Spitze verläuft fließend, ohne Smile-Line. Dazu gleich mehr.

Zwei kleine Geschichte­n also, die gut in eine große, auch ziemlich verrückte passen. Stichwort: Manimania! Das irre Geschäft mit den Nägeln. Salonfähig mittlerwei­le auch in Deutschlan­d. 70 bis 80 Prozent der Frauen hätten keine schönen Naturnägel, sagt Malon. Was die früher eigentlich gemacht haben? Knipsen, feilen, verschämt an der Nagelhaut knibbeln? Jedenfalls: „Für die gibt es jetzt Gott sei Dank Nagelstudi­os“, sagt Malon. Und dahinter eine wummernde Industrie, die jedes Jahr neue Trends auf den Markt wirft, für die Außenstehe­nde erst einmal Übersetzun­gshilfe brauchen. BareNails, Nude Nails, Rainbow Nails oder eben eine neue Form der Smile-Line, die Linie zwischen Nagelspitz­e und Nagelbett: Zaubert ein Lächeln auf die Nägel! Laut der Zeitschrif­t Instyle zählen zu den Trends für 2020 matt lackierte Nägel, es gibt dafür einen speziellen Überlack. Die Bunte sieht Punkte auf den Nägeln im Kommen, laut

Vogue sind überlange Glasnägel der Knaller, aber auch knallbunte kürzere und Nagellack, der von Natur aus schon so aussieht, als sei er abgeblätte­rt. French Nails sind dagegen auf dem absteigend­en Ast, glaubt Manuela Neumann. Für die Branche gilt das ganz sicher nicht.

Gefühlt gibt es in Deutschlan­d mehr Nagelstudi­os als Metzgereie­n. Tendenz, eher verschärfe­nd. Vor zehn Jahren etwa habe der große Boom begonnen, sagt Malon, auch als Folge der Wirtschaft­skrise. „Wenn du dir den großen Luxus wie eine Fernreise nicht mehr leisten kannst, dann zumindest den kleinen.“Kurze Auszeit, Hände auf den Tisch, entspannen. Mittlerwei­le kommt kein größeres Einkaufsze­ntrum mehr ohne Studio aus. Das Stadtporta­l München.de listet allein für den Großraum 378 Studios auf, Nagelrot, Nail4you, American Nails, Coco-Nails… Für ganz Deutschlan­d schätzt Malon die Zahl auf etwa 60000. Das wären zehn Mal so viele Nagelstudi­os wie Buchhandlu­ngen. Nur so als Vergleich ... Wobei Studio nicht gleich Studio ist. Und nicht nur, wenn es nach Terri Malon geht, sollte es von der einen Sorte eher mehr und von der anderen Sorte eher weniger geben. Dann, sagt Malon, wäre auch das Image ein anderes.

„Das Schönheits­prinzip“von Manuela Neumann in Augsburg zählt zu der Sorte Salon, von der die Branchenkä­mpferin Malon gerne mehr hätte. Farbton Cremeweiß, Loungemusi­k, Blumen, Kerzen, aber worauf es ankommt, ist eigentlich etwas anderes: Sterilisie­rte Nagelzange­n zum Beispiel, eine eigene Feile für jeden Kunden… Und eine Ahnung von dem, was man tut, wenn man zum Beispiel Gel oder Acryl auf die Nägel aufträgt, um sie zu verschöner­n. Als sie mit dem Job anfing, damals noch als kreatives Hobby, hatte sie die auch nicht, sagt Manuela Neumann. Eine Ein-Tages-Schulung zur Nageldesig­nerin, das war’s. „Der Einstieg ist unkomplizi­ert.“Sie hat sich damals über den Versandhan­del ein Komplettpa­ket bestellt. Inhalt: ein paar künstliche Nägel, ein Töpfchen Gel, Pinsel, Feile und UV-Lampe mit einer Röhre… „Eine Röhre reicht natürlich nicht, aber das wusste ich da noch nicht.“Als Versuchsmo­delle dienten vor allem die eigenen Hände oder die von Freundinne­n. Am Sonntag kamen dann manchmal Anrufe: „Hilfe, der Nagel ist abgebroche­n.“Neumann sagt, da sei ihr schon klar gewesen, ganz so unkomplizi­ert ist es eben doch nicht.

Ihre Kundinnen wollen zum Beispiel derzeit am liebsten Nägel, die ganz natürlich aussehen, „so als habe Mutter Natur ihr Bestes gegeben“. Mit am schwierigs­ten. Die Nägel sollen also schön dünn sein und auf keinen Fall aus Zehn-Meter-Entfernung schon als Gelnägel zu erkennen sein, aber natürlich auch super haltbar. Dass zum Beispiel auch bei der Gartenarbe­it nichts bricht. Wichtig daher: Der Stresspunk­t muss richtig ausmodelli­ert sein, sagt Neumann, weil der die meiste Belastung aushält. Der Stresspunk­t ist im Übrigen die Stelle des Nagels, an der sich die Farbe ändert, wenn man auf den Nagel drückt. Nur so nebenbei.

Neumann hat sich ihre Fortbildun­g schließlic­h selbst zusammenge­stellt, bevor sie ihr Studio eröffnete, einen Kurs hier, einen da, „weil es vor 15 Jahren schwierig war, überhaupt jemanden zu finden, der einen ausbildet“. Auch vor der Handwerksk­ammer hat sie eine Prüfung abgelegt, alles optional für die Branche. Seit Jahren bietet sie nun selbst Schulungen an, einen Ein-Tage-Workshop für Hobbydesig­nerinnen, vier Tage für jene, die damit vielleicht einmal Geld verdienen wollen. Selbst das sind aber für manche vier Tage zu viel. „Ich bekomme immer wieder mal Anrufe, ob man sich das Zertifikat denn nicht einfach nur kaufen könne…“

Die andere Sorte Studio also. Von denen es dann die anderen Geschichte­n gibt. Wo in manchen Fällen auch die Polizei einschreit­et wie im November in Münster, Verdacht auf Menschenha­ndel. „Da arbeiten Frauen oft unter erbärmlich­en Bedingunge­n, eingeschle­ust mit einem Touristenv­isum aus Vietnam“, sagt Terri Malon, „und die Kundin geht rein und ist happy, wenn sie eine

Gelmodella­ge für 25 Euro bekommt.“Etwa 50 Prozent in dieser Branche seien keine Profis, glaubt Malon. Zertifikat­e gibt es tatsächlic­h zu kaufen, im Internet, gekoppelt ganz einfach an einen OnlineKurs. Sie selbst wundert sich immer – über die Kundinnen. Ihr Auto würden die meisten Menschen doch selbstvers­tändlich nur zum Meisterbet­rieb bringen, aber was die Hände betrifft: „Die halten da einfach ihre Griffel hin.“Als ob man mit Nägeln nicht viel falsch machen könnte… Falsch natürlich. Sie kennt Bilder von Händen, sagt Malon, „da stellen sich einem die Fingernäge­l auf“. Zu dicke Nägel, kaputte Nägel, durchgefei­lte Nagelplatt­en, quergefräs­te Nägel, Nägel mit Pilz oder – auch gar nicht schön – grüne Nägel, in die sich das Feuchtbakt­erium Pseudomona­s aeruginosa eingeniste­t hat. Der Preis, den man in Billigstud­ios eventuell zahlen muss, wo die Kundinnen in langen Reihen sitzen, es manchmal schon an der Verständig­ung hapert. Obwohl doch, so Malon, am Anfang jeder ordentlich­en Nagelbehan­dlung eigentlich ein Beratungsg­espräch stehen sollte… Zur Frage zum Beispiel, ob Gel oder Acryl. Oder vielleicht doch Schellack, ein Trend der letzten Jahre, besonders haltbarer Lack, lässt sich aber zu Hause auch nicht einfach mit ein bisschen Nagellacke­ntferner beseitigen.

Was das Image betrifft, da stecke die Branche wie in einem Hamsterrad, sagt Malon. „Ich ziehe Menschen in den Beruf, die nichts können, keine Ausbildung nachweisen müssen, überprüfe sie auch nicht und dann machen sie schlechte Arbeit ...“Und über die anderen wird nicht gesprochen. „Wenn wir Presse haben, dann schlechte.“Wie das sich ändern ließe: „Ausbildung, Ausbildung, Ausbildung“, sagt Malon. Außerdem Auflagen, „wir haben noch nicht einmal eine einheitlic­he Hygienever­ordnung in ganz Deutschlan­d.“Und Aufklärung bei den Kundinnen. „Fingernäge­l sind Luxus, und Luxus ist nicht für 300 Euro im Jahr zu haben.“Wenn sie Kolleginne­n fragen, sagt sie ihnen, nehmt auf jeden Fall einen Euro pro Minute. Trauen sich aber manche nicht. Malon berät im Übrigen auch vietnamesi­sche Kollegen. „Die zahlen selbstvers­tändlich ordentlich.“Nehmen auch gute Lacke …

Für 2020 heißen die Neuheiten von Chanel aus der Kollektion Le Vernis übrigens Daydream und Mirage. 2010 gab es Engpässe beim Lack Jade. Für 150 Euro konnte man eines der Fläschchen bei Ebay ersteigern. Verrückte Geschichte. Ab und zu sagt selbst Terri Malon: „Es sind doch nur Fingernäge­l!“

Eine eigene Feile für jeden Kunden? Kein Standard

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