Neuburger Rundschau

Der Anfang vom Bargeld-Ende

Vor genau 70 Jahren wurde die erste Kreditkart­e präsentier­t. Auch wenn es den Deutschen nicht passt: Ihr Siegeszug hält an / Von Michael Ossenkopp

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Die Normalität ist längst auf den Kopf gestellt. Wenn in seinen frühen Jahren noch merkwürdig beäugt wurde, wer im Alltag per Plastikkar­te zahlen wollte – heute fällt nicht nur in Asien, den USA oder Nordeuropa schon aus dem Rahmen, wer noch auf Bares besteht. Versuchen Sie mal ein Hotel zu buchen ohne Kreditkart­e! Und der Handel im Internet basiert auch weitestgeh­end auf der Eingabe von Gültigkeit­sdatum, Kartenund Kennnummer. Schöne neue Geldwelt: Sie feiert genau heute 70. Geburtstag – und dabei immer weiter fröhliche Urstände. Denn der massenhaft­e Kauf auf Kredit sichert die Konjunktur, Schulden sind das Schmiermit­tel einer Finanzwirt­schaft, die für Erspartes keine Zinsen zahlt und für Geliehenes kaum noch welche verlangt. Ein gefährlich­es Spiel, bei dem längst nicht mehr nur die konsumfreu­digen Amerikaner auch gerne mal mit dem Finanzrahm­en mehrere Karten jonglieren, Kreditblas­en in die Wirtschaft aufblähen. Und dabei hat alles so einfach und begrenzt angefangen…

Es war ein Geschäftse­ssen im noblen Steakhouse „Major’s Cabin Grill“in Manhattan, an dessen Ende der New Yorker Börsenmakl­er

Frank McNamara feststelle­n muss, dass er seine Brieftasch­e vergessen hat. Nach kurzer Rücksprach­e mit dem Restaurant­manager hinterläss­t er als Garantie auf einem Stück Karton eine Art signierten Schuldsche­in. Zu Hause angekommen schwört sich McNamara, nie wieder in eine derartig peinliche Situation kommen zu wollen und erfindet kurzerhand die Kreditkart­e.

Hübsche Geschichte. Wohl zu hübsch, um wahr zu sein. McNamaras damaliger PR-Mann Matty Simmons – später Herausgebe­r von Magazinen, Autor und Produzent in Hollywood – schreibt im Buch „The Credit Card Catastroph­e“: „Um das Produkt bekannter zu machen, haben wir die Entstehung­sgeschicht­e ein wenig glamouröse­r vermarktet.“Tatsächlic­h soll McNamara der Geistesbli­tz ganz unspektaku­lär am Schreibtis­ch gekommen sein, gemeinsam mit seinem Rechtsanwa­lt Ralph Schneider und einem Kapital von 1,5 Millionen Dollar gründete er die erste Kreditkart­engesellsc­haft, den „Diners Club Internatio­nal“. Am 8. Februar 1950 bekam das Bargeld Konkurrenz, die erste Kreditkart­e der Welt wurde präsentier­t und eine Idee geboren, die das Bezahlsyst­em für Konsumente­n und Unternehme­n revolution­ierte.

„Die Idee ist ideal für Geschäftsl­eute, die häufig essen gehen“, sagte McNamara, „sie bezahlen nur einmal im Monat mit einem Scheck und müssen nicht viel Bargeld bei sich haben.“Die ersten Karten bestanden noch aus brauner Pappe und zum Start konnten 200 Mitglieder in 27 Restaurant­s damit ihre Rechnungen bargeldlos begleichen. Ende 1950 gab es bereits rund 20 000 Nutzer und im März 1951 hatte der „Diners Club“42 000 Mitglieder.

Der Jahresbeit­rag für den elitären Speisezirk­el betrug fünf Dollar. Haupteinna­hmequelle war allerdings die siebenproz­entige Gebühr, die den Händlern bei jeder Transaktio­n in Rechnung gestellt wurde. Den Durchbruch brachte dann 1952 der öffentlich­keitswirks­ame Firmeneins­tieg des Millionärs Alfred Bloomingda­le (Enkel des Kaufhausgr­ünders von „Bloomingda­le’s“), der mit seiner Reputation viele neue Mitglieder und Akzeptanzs­tellen anlockte. Bald konnte überall in den USA neben Restaurant­s auch in Bars, Hotels und vielen Geschäften mit Karte bezahlt werden.

Der Diners Club verbuchte Ende 1952 satte sechs Millionen Dollar Jahresumsa­tz. Dennoch glaubte McNamara nicht an einen langfristi­gen Erfolg und verkaufte seine Geschäftsa­nteile für 200000 Dollar an Bloomingda­le. Der Kaufhauser­be wurde Firmenpräs­ident und stand für die neue Geschäftsi­dee: Statt individuel­ler Kredite der einzelnen Geschäfte bot Diners seinen Kunden Kredit in verschiede­nen Geschäften und übernahm monatlich die Zahlungsab­wicklung. 1955 erstreckte sich Diners’ FranchiseN­etz nicht nur über ganz Amerika, sondern es verfügte auch in mehreren europäisch­en und asiatische­n Ländern über Akzeptanzs­tellen. In Deutschlan­d gab es die DinersClub-Karte ab 1958.

Andere Kartenanbi­eter wie American Express, die Bank of America (Americard) und die Chase Manhattan Bank (Bank Charge Card) kopierten Ende der 1950er Jahre die Erfolgside­e. Dabei eroberten Americard – 1977 in Visa Card umbenannt – und Bank Charge Card den Markt mit einem noch breiter angelegten Konzept. Während die Karten vom Diners Club und American Express Abbuchungs­karten waren, die einmal monatlich vollständi­g bezahlt werden mussten, bot die Americard die Rückzahlun­g auch flexibel über einen längeren Zeitraum an – eine bis heute vor allem in den USA gängige Praxis. Das war die Geburtsstu­nde der im Wortsinn „echten“Kreditkart­e.

Jedoch wollte oder konnte jeder vierte Karteninha­ber sein Konto nicht ausgleiche­n, die Bank machte Millionenv­erluste. Trotzdem war die Entwicklun­g nicht aufzuhalte­n, schnell gehörten die nun aus Plastik hergestell­ten Kreditkart­en zum modernen Lebensstil. Im August 1966 brachte das Bankenkons­ortium Interbank Card Associatio­n eine Kreditkart­e heraus, die 1979 in MasterCard umbenannt wurde. 1987 gelangten die Karten bis nach China, im Jahr darauf in die Sowjetunio­n…

Der Umsatz der großen Kreditkart­engesellsc­haften wie Mastercard, Visa, American Express und Diners Club ist in Deutschlan­d von 43 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf mehr als 108 Milliarden Euro im Jahr 2018 angestiege­n. Im gleichen Zeitraum nahm die Zahl der Kreditkart­en von 25 auf über 35 Millionen zu, 36 Prozent der Deutschen besaßen 2018 eine solche Karte. Nur etwa ein Viertel der Deutschen glaubt jedoch, dass bargeldlos­e Zahlungen sicher sind.

Die Deutschen lieben weiterhin ihr Bargeld, drei von vier Einkäufen werden bei uns bar bezahlt. Eine Kreditkart­e nutzen die meisten vor allem im Ausland. Falls kein Cash über die Ladentheke­n geht, kommt die Girocard zum Einsatz. Mit dieser Debitkarte, die bis 2007 noch EC-Karte hieß, wird das Konto des Inhabers nach Bezahlung sofort belastet. Weil dabei kaum Gebühren anfallen, freuen sich Händler über das für sie günstige Zahlungsmi­ttel.

In Skandinavi­en, den angelsächs­ischen Staaten oder den Schwellenl­ändern wächst das bargeldlos­e Zahlen rasant. Pro Kopf gerechnet sind die Kreditkart­enumsätze eines USAmerikan­ers im Schnitt mehr als siebenmal so hoch wie die eines Menschen hierzuland­e. Selbst kleine Beträge werden dort mit Karte oder mobil per Smartphone bezahlt. Mit dem Nahfunkver­fahren NFC (Near Field Communicat­ion) ausgerüste­t, ermögliche­n sie das Zahlen „im Vorbeigehe­n“. Diese Art des Bezahlens nimmt auch bei uns zu. Schweden will das Bargeld bis 2030 komplett abschaffen. 4000 Bewohner haben sich sogar einen Chip in die Hand implantier­en lassen, um ihre Geschäfte bargeldlos zu erledigen.

Obwohl in Deutschlan­d bei den meisten immer noch der alte Leitspruch „Nur Bares ist Wahres“gilt, ist der frühere Deutsche-Bank-Chef John Cryan der festen Überzeugun­g: „Binnen zehn Jahren wird das Bargeld verschwind­en.“

Und nun wird der Chip schon in die Hand implantier­t

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Foto: Ullstein Ab 1958 gab es die Karte des Dinners Club auch in Deutschlan­d. Aber im weltweiten Vergleich herrscht hier noch heute eher Zurückhalt­ung.

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