Wie eine späte Ausbildung gelingen kann
Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels steigen die Chancen, auch mit über 30 Jahren in einem Betrieb eingestellt zu werden. Dennoch gibt es Hürden. Welche Berufe gefragt sind und warum selbstsicheres Auftreten ein Pluspunkt ist
berlin/Aachen Mit 37 Jahren geht Christoph Szostak wieder zur Schule, manche seiner Klassenkameraden sind knapp halb so alt wie er. „Die Vorstellung, wieder lernen zu müssen, war für mich ein absoluter Albtraum“, gesteht der Berliner. Er nahm die Herausforderung dennoch an: Vor knapp zwei Jahren hat er sich zu einer Ausbildung als Fachinformatiker für Systemintegration entschieden. Nach seiner Prüfung wird er IT-Systeme planen, einrichten und betreuen. Szostak war nach zwei abgebrochenen Lehren mehrere Jahre arbeitslos. „Für die Familie sorgen zu können“war einer der Gründe, mit Unterstützung des Jobcenters einen dritten Anlauf in Form einer Umschulung zu versuchen, die zwei statt drei Jahre dauert.
Knapp 20 Jahre ist der Durchschnittsauszubildende in Deutschland alt, Lehrlinge jenseits der 30 sind in der Minderheit. Doch der Trendpfeil zeigt nach oben. Im Jahr 2017 waren laut Datenreport des Bundesinstituts für Berufsbildung etwa zwölf Prozent der Auszubildenden zwischen 24 und 40 Jahre alt, im Jahr 2007 lag dieser Wert noch bei sechs Prozent. Die Gründe für eine späte Ausbildung seien vielfältig, sagt Aneta Schikora von der Bundesagentur für Arbeit: „Möglicherweise mussten manche früher eine Familie ernähren, wurden durch einen Unfall oder eine längere Krankheit aus der Bahn geworfen oder sehen für sich keine Perspektiven mehr in ihrem alten Beruf.“
Wie gut die Chancen der älteren Bewerber im Vergleich mit jüngeren Konkurrenten sind, lasse sich nicht pauschal beantworten. Durch den Mangel an Fachkräften steige aber in den Betrieben die Bereitschaft, ältere Kandidaten einzustellen, beobachtet Kirsten KielbassaSchnepp. Sie ist beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) für Berufsorientierung und Nachwuchsförderung zuständig. Sie rät Bewerbern, „offensiv darzulegen, warum sie sich so spät für eine Ausbildung entscheiden“.
Für die Älteren bedeute vor allem die Tatsache, wieder lernen zu müssen, eine Umstellung. „Auf der anderen Seite bringen sie mehr persönliche Reife mit, das erleichtert es ihnen, Probleme zu lösen.“Selbstsicheres Auftreten ist ein Pluspunkt. Solche Rückmeldungen hört auch
Lotta Conrads immer wieder. Sie betreut in Aachen das Projekt „Switch 2.0“, das Studienabbrecher in Ausbildungen vermittelt. Auch sie sind oft schon zwischen 20 und 30 – und durchaus gefragt bei Unternehmen in der Region: „Sie treten selbstsicherer auf und können deshalb oft schon direkt im Kundenkontakt eingesetzt werden.“Die
Ausbildung für die Ex-Studierenden dauert 18 bis 24 Monate.
Nicht nur in technischen Berufen, sondern auch in der Pflege und in der Kinderbetreuung werden qualifizierte Kräfte händeringend gesucht. „Deshalb ist dort die Wahrscheinlichkeit, einen Ausbildungsplatz zu finden, sicherlich größer als beispielsweise in kaufmännischen Berufen“, sagt Aneta
Schikora. Denn etwas höher seien die Hürden für Bewerber über 30 dann doch: „Aus Sicht mancher Arbeitgeber sind sie zu alt für Einstiegspositionen. Möglicherweise wird auch befürchtet, dass sie sich aufgrund ihrer Lebenserfahrung nicht mehr so prägen lassen wie ein Jugendlicher.“Dennoch spreche vieles dafür, den Sprung zu wagen: „Wer mit 30 Jahren eine Berufsausbildung beginnt, hat nach einem erfolgreichen Abschluss noch immer 30 Jahre Erwerbstätigkeit vor sich“, sagt Schikora – und sei deutlich besser vor Arbeitslosigkeit geschützt als ungelernte Arbeitskräfte.
Besonders gefördert werden deshalb junge Erwachsene zwischen 25 und 35 Jahren, die noch keinen qualifizierten Abschluss haben, wie beim Projekt „Zukunftsstarter“der Arbeitsagentur, das einen Berufsabschluss zum Ziel hat. Fördermöglichkeiten gibt es viele. „Welche Unterstützung gewährt werden kann, sollten Bewerber vor Abschluss eines Vertrags mit ihrem Jobcenter beziehungsweise ihrer Arbeitsagentur besprechen: Sie ist abhängig von der persönlichen Lebenssituation“, sagt Schikora.