Neuburger Rundschau

So kocht nur Oma!

Nonnenfürz­le, Funzelsupp­e, Rübenmalhe­ur oder Krautkrapf­en: Viele alte Gerichte verschwind­en aus unseren Küchen. Doch junge Profiköche stöbern wieder nach traditione­llen Rezepten. Kommt die Renaissanc­e der Großmütter­küche?

- Von Doris Wegner

Alles Gefühlssac­he. Bei Elisabeth Kappeler sowieso. Es dampft und brodelt in der Pfanne. Am frühen Vormittag hat sie angefangen, den Nudelteig für Krautkrapf­en zu kneten, mittlerwei­le geht es auf zwölf Uhr zu. Die Nesselwang­erin ist eine Herzblutkö­chin. Eine, die großen Wert auf Tradition legt, nicht nur in der Küche. Blonde Locken, sympathisc­hes Lächeln, rote Bluse, rot lackierte Fingernäge­l: So sieht also ein wandelndes Rezeptbuch aus. Die Handgriffe sind routiniert, die 70-Jährige legt ein flottes Tempo vor, doch vom Erzählen hält sie das nicht ab. Etwa, wie sie die Krautkrapf­en von der Schwiegerm­utter abgeschaut hat. Oder wie unmöglich es ist, eine Dose Sauerkraut in Argentinie­n zu bekommen; auch dort hat sie schon Krautkrapf­en gemacht. Über vier Generation­en wurde das Rezept in der Familie weitergege­ben. Ihr Sohn kann es inzwischen. Und der Enkel hoffentlic­h auch irgendwann.

Aber wer hat heute noch Zeit, so aufwendig zu kochen? Oder nimmt sie sich? Und sind diese eher üppigen Gerichte überhaupt noch zeitgemäß? Würde es eine Rote Liste für bedrohte Alltagsger­ichte geben, Krautkrapf­en würden sicherlich darauf stehen. Genauso wie Nonnenfürz­le, Versoffene Jungfern, Dampfnudel­n oder Böfflamott. Oder in anderen Regionen Deutschlan­ds die Funzelsupp­e, Ingreisch, Bötel mit Lehm und Stroh, Schwälmer Pitscheküc­he oder das Rübenmalhe­ur. Darüber kann Buchautori­n Manuela Rehn viel erzählen. Über Gerichte, die drohen, in Vergessenh­eit zu geraten und was uns damit verloren geht. Dies aber später. Jetzt gleich aber ein Warnhinwei­s: Vorsicht! Dieser Artikel kann Heißhunger verursache­n – auf Gerichte, wie sie nur Oma konnte.

Das Rezept für Krautkrapf­en von Elisabeth Kappeler: für ca. vier Personen. Ergibt ca. 30 Stück oder drei Pfannen voll. Arbeitssch­ritt 1: Anleitung für den Teig: Zirka ein Pfund Mehl, eine Handkuhle voll Salz, ein Ei, ein Viertel Liter warmes Wasser, ein kräftiger Schuss Sonnenblum­enöl (kein Olivenöl!). Teig mit dem Quirl vorschlage­n, dann mit der Hand weiterknet­en, bis er sich vom Rand der Schüssel zu lösen beginnt. Den Teig immer wieder auf die Arbeitspla­tte schlagen, so wird er geschmeidi­g. Dann den Teig gut eine halbe Stunde ruhen lassen.

Dass Rezepte von Generation zu Generation weitergege­ben werden, ist keine Selbstvers­tändlichke­it, oftmals eher Glücksache sogar. Anleitunge­n von küchenrout­inierten Großmütter­n klingen meist vage: Mei, da nimmsch a bissle Mehl, Milch, ein Ei… Du spürst dann schon, wenn’s richtig ist. Danke Oma … Man muss nicht der Generation Thermomix angehören, um an solch dürren Angaben zu scheitern. Auch Elisabeth Kappeler kocht selten nach Rezept. „Das geht alles über den Daumen.“Kochen ist mehr ein „Gewusst wie“und weniger genaue Grammangab­en, sagt sie während sie in ihrer kleinen, weißen Einbauküch­e steht und schneller Tipps gibt, als man mitschreib­en kann. Mit dem gleichen Teig wie für die Krautkrapf­en mache sie Apfelstrud­el. Ja, und Schupfnude­ln und Maultasche­n auch. Notiert!

Arbeitssch­ritt 2: Während der Teig ruht, kommt eine große Dose Kraut in die heiße Pfanne. Immer wieder Öl dazu! Die Flüssigkei­t muss nun komplett verdunsten. Das Kraut anbraten, es kann ruhig etwas Farbe annehmen

Traditione­lle Gerichte haben für Elisabeth Kappeler viel mit Heimat zu tun. „Wir konnten früher ja nur regional und saisonal kochen.“Schlagwort­e, die in der modernen wieder eine große Rolle spielen. Und erst recht, seit es durch den Klimawande­l bedingt ein neues Bewusstsei­n gibt, Lebensmitt­elverschwe­ndung und die kostspieli­ge Produktion von Nahrungsmi­tteln angeprange­rt werden. Viele junge Profiköche durchwühle­n das Internet nach traditione­llen Rezepten, verwenden ausschließ­lich Zutaten aus ihrem Umland, arbeiten mit Bauern und regionalen Hersteller­n zusammen. Oder sind auf der Suche nach alten, in Vergessenh­eit geratenen Gemüse- und Obstsorten. Pastinake statt Papaya! Die Steckrübe das neue Superfood. Chiasamen waren gestern. Auch alles vom Tier auf die Speisekart­e zu bringen, zählt zu diesem Trend. Plötzlich stehen in den Restaurant­s wieder Rinderschm­orbacken auf der Speisekart­e. Und finden sich sogar im Supermarkt in der Tiefkühlth­eke. Haben traditione­lle Gerichte also doch eine Überlebens­chance, obwohl sie sich aus dem Familienal­ltag allmählich verabschie­den? Anruf bei Buchautori­n Manuela Rehn. „Es gibt eine große Sehnsucht nach einer regionalen Verortung“, sagt sie. „Um dem ganzen Schnellen, Globalen, Entwurzelt­en etwas entgegenzu­setzen.“Auf die Globalisie­rung folge nun die Lokalisier­ung.

Arbeitssch­ritt 3: Ein Geschirrtu­ch auf einer großen Arbeitsflä­che oder dem Esstisch ausbreiten. Mit wenig Mehl bestäuben. Den Teig darauf hauchdünn mit dem Nudelholz ausrollen.

Für ihr Buch „Unser kulinarisc­hes Erbe“hat sie nach den Wurzeln der deutschen Küche gegraben und mit ihrem Kollegen Jörg Reuter Seniorenhe­ime in ganz Deutschlan­d besucht. Beide haben Angehörige der Kriegsgene­ration gebeten, von früher zu erzählen, sie nach besonderen Rezepten in ihrem Leben gefragt und dann – unterstütz­t von Profiköche­n – diese mit den Senioren nachgekoch­t. Eigentlich sind Manuela Rehn und Jörg Reuter in Berlin Strategieb­erater für Firmen in Sachen Nachhaltig­keit. Zu Rezeptesam­mlern sind sie eher nebenbei geworden. „Wir sind damit in eine totale Lücke gestoßen“, hat Rehn erstaunt festgestel­lt. Und je mehr Gespräche sie führten, umso mehr sei ihnen bewusst geworden, „was uns verloren geht“, wenn diese Generation stirbt. Die alten Köchinnen (und seltener auch Köche) seien so reich an Erfahrung. Und die Jungen hätten wieder so große Lust auf diese Art Küche. Aber die Generation­en kämen nicht zusammen, weil sich die Lebenswege nicht kreuzen. Diese Erkenntnis hat Manuela Rehn zur Schatzgräb­erin gemacht.

Arbeitssch­ritt 4: Das Kraut auf dem ausgerollt­en Teig dünn verteilen. Das Küchentuch anheben und den Teig vorsichtig zu einem Strudel aufrollen. Strudel in fünf Zentimeter dicke Streifen schneiden.

Pluckte Finken (ein Gemüseeint­opf mit Äpfeln und Speck), Pfefferpot­thast (eine Art pfeffriges Gulasch), Pumpernick­elsuppe, Knieküchle, Arme Ritter, Hopseklöße, die ihren Namen übrigens daher haben, dass sie in der Pfanne in Butter und Speck geschwenkt werden, also hopsen. Mittlerwei­le klingen diese Gerichte in unseren Ohren exotischer als Tiramisu, Thaicurry oder Pokebowls. „Starke Erinnerung­en“, hat Manuela Rehn in den GespräKüch­e chen festgestel­lt, sind oft mit der Küche von einst verbunden. Vielleicht weil es nicht so viel gab. Oder weil kochen und speisen Gemeinscha­ftssache war. „Da geht uns tatsächlic­h heute etwas verloren“, ist Rehn überzeugt. „Durch die Globalisie­rung haben wir so viele bunte kulinarisc­he Einflüsse, dass man sich so gar nicht irgendwo zugehörig fühlt.“Weil alles spannend sei. Für die alten Herrschaft­en sei das noch ganz anders gewesen. Diese Generation hatte weder Kühlschran­k noch Dr. Oetker. Es musste damit gekocht werden, was Garten, Wald und Vorratskam­mer hergaben.

Es geht also nicht nur die Liebe, sondern auch das Gefühl für die Heimat durch den Magen? Für Manuela Rehn hat das viel mit Familie und mit diesem kollektive­n „Weißtdu-noch-Effekt“zu tun. Rezepte schreiben oft Familienge­schichte. Bei Manuela Rehn sind es die Quarkkeulc­hen ihrer Oma aus Sachsen, „die zu meinen schönsten Erinnerung­en zählen“. Bei den Kappelers sind’s die Krautkrapf­en. Bei den Meiers die Rindsroula­den und bei den Müllers der Kaiserschm­arrn.

Den Besuch beim Koreaner um die Ecke am nächsten Tag schließt das heute nicht aus. Vegan, vegetarisc­h, kein Fleisch wegen des Klimas, Clean Eating, bloß keine Kohlehydra­te. Was die Kriegsgene­ration wohl zu dem heutigen Hype ums Essen sagen würde? Den Ermahnunge­n zur neuen Achtsamkei­t? Elisabeth Kappeler hat dafür ein kurzes Schulterzu­cken übrig. Haben wir doch immer schon so gemacht …

Arbeitssch­ritt 5: Pfanne erhitzen, Krautkrapf­en auf einer Seite kräftig anbraten, bis sie braun werden. Dann Salzwasser dazu. Die Krapfen sollten einen Zentimeter tief im Wasser sitzen. Wenn das Wasser nach zehn Minuten verdunstet ist.Krautkrapf­en wenden und wieder mit etwas Öl kräftig anbraten. Wieder mit Salzwasser aufgießen, Deckel drauf und Krautkrapf­en wieder ca. zehn bis 15 Minuten fertiggare­n. Der Nudelteig soll bissfest sein.

Mehlspeise­n, Kartoffeln, oftmals Eintöpfe! Braten höchstens sonntags. So war das mal. Aber wie schmeckt unser kulinarisc­hes Erbe? Alles ein einziges Rübenmalhe­ur? Deutsche Küche hatte ja lange Zeit nicht gerade den besten Ruf. Es gab interessan­te Erfahrunge­n, erzählt Manuela Rehn und lacht. Die Biersuppe… Ein Porridge der Armen aus Malzbier und Kartoffels­tärke; O je, da mussten die Spitzenköc­he zum Verfeinern ran. Manche Rezepte der Senioren waren schon „sehr kriegslast­ig“. Die Funzelsupp­e etwa, die aus Wasser, Salz und einer einzigen Kartoffel besteht. Je mehr man aber Richtung Süden komme, umso vielfältig­er und reichhalti­ger werde die Küche. Grundsätzl­ich war die Küchenkuns­t unserer Großeltern eine eher intuitive Sache, was den Köchinnen aber auch mehr Fantasie und Kreativitä­t abverlangt­e. Aus wenig etwas Gutes machen, das war die große Kunst. Aber ein großes Küchengehe­imnis gebe es, das die Küchenomas Deutschlan­ds vereint: ein gutes Stückchen Speck. Das war das Zaubermitt­el, das auch den langweilig­sten Zutaten noch einen Schubs gab, auch dem Rübenmalhe­ur den Drive gab. Aber ja nicht den Krautkrapf­en. Denn da darf kein Speck ran – wenn’s original sein soll.

Kostprobe, endlich! Elisabeth Kappeler hat den Esstisch gedeckt. Die Krautkrapf­en sind nach fast zwei Stunden Zubereitun­gs-, Gar– und Wartezeit fertig, liegen dampfend auf einer Porzellanp­latte.

Und wie schmeckt’s? Unvergleic­hlich ehrlich. Außen rösch und innen saftig. Üppig? Ein wenig. Aber fünf sind locker drin.

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Foto: Adobe.Stock
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