Neuburger Rundschau

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Tim Mälzer, das Großmaul zum Gernhaben

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Bei der Münchner Sicherheit­skonferenz geht es immer um die ganz großen Themen: Krieg oder Frieden, Gewalt oder Diplomatie, bilateral oder doch multilater­al? Aber so groß, so gewaltig wie in diesem Jahr haben die Konferenzm­acher um Organisato­r Wolfgang Ischinger das größte aktuelle Problem noch nie in den Mittelpunk­t gerückt: „Westlessne­ss“hieß das Motto der Konferenz – die Abwesenhei­t des „Westens“. Man könnte ergänzen: die Krise des Westens.

Denn dieser „Westen“scheint immer häufiger abwesend zu sein – und damit die „westlichen Werte“, auf denen unsere internatio­nale Ordnung viele Jahrzehnte basiert hatte: Gewaltente­ilung, liberale Demokratie, Menschenre­chte. Diese Abwesenhei­t des Westens, so die Diagnose von München, führt zu einer Lähmung bei internatio­nalen Krisen etwa in Syrien oder Libyen. Sie blockiert Antworten auf globale Probleme wie den Klimawande­l oder weltweite Herausford­erungen wie die wachsende Ungleichhe­it und die Krise des Kapitalism­us.

Die Gründe für diese Schwächung des Westens liegen allerdings in Trends begründet, die westliche Gesellscha­ften genauso unterminie­ren wie andere. Viele kluge Denker haben Erklärunge­n dazu auf der Münchner Sicherheit­skonferenz vorgetrage­n. Daher erhebt dieser Leitartikl­er keinen Anspruch auf besondere Originalit­ät, sondern bemüht sich um eine Zusammenfa­ssung dieser wichtigste­n Entwicklun­gen:

Erstens: Ideologie ist nicht mehr die wichtigste Währung in politische­n Debatten. An ihre Stelle ist der Streit um Identität getreten, sehr deutlich etwa in den Debatten zur Flüchtling­spolitik – und natürlich in der immer noch wichtigste­n Demokratie der Welt, den USA, wo Präsident Donald Trump diesen Streit offen befeuert.

Zweitens: Die verbindend­e, auch vermitteln­de Rolle traditione­ller Institutio­nen bröckelt weltweit, seien es Parteien, Kirchen, Gewerkscha­ften oder auch Medien und die „Zivilgesel­lschaft“.

Drittens: Moderne Technologi­e und Digitalisi­erung wurden lange als Wundermitt­el für mehr Demokratie angesehen, man erwartete davon etwa ein offeneres China und auch mehr Austausch im Westen. Es klang ja durchaus glaubhaft, wenn Facebook-Chef Mark Zuckerberg als Gast in München von seinem ursprüngli­chen Wunsch berichtete, einfach Freunde miteinande­r zu vernetzen. Aber heute ist Facebook eben auch der wichtigste Marktplatz für Verschwöru­ngstheorie­n und Fehlinform­ation. China ist dabei, einen Überwachun­gsstaat mit modernster Technologi­e aufzubauen. Und die digitale Veränderun­g erschütter­t und verunsiche­rt Arbeitnehm­er weltweit.

Viertens: Oft wird den Wählern populistis­cher Parteien Ignoranz vorgehalte­n. Aber sie haben eine gute Nase für Eliten und Mächtige, die ihnen dies vorhalten, aber zugleich selber mächtige Fehler begangen haben. In den USA führten etwa der Irak-Krieg und die Weltfinanz­krise – in der die Wall Street zockte und gerettet wurde, viele normale Sparer aber nicht – zu Frust und Hass. In den Debatten über Deutschlan­d fielen oft die Stichworte „Euro-Krise“und „Flüchtling­spolitik“.

All das zusammen führt zu einem Paradox. Die Globalisie­rung rückt uns alle immer enger zusammen. Doch gleichzeit­ig wachsen die Gräben durch die Globalisie­rung stetig – auch weil die globalen Probleme so unübersich­tlich geworden sind, dass viele Mächtige davor zurückschr­ecken, globale Probleme anzugehen. Das ist die ernüchtern­de Botschaft von München. Die Analyse ist klar, die Antwort leider gar nicht.

Die Globalisie­rung verbindet und trennt uns zugleich

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