Neuburger Rundschau

„Wir wählen keinen neuen CDU-Kanzler“

SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil hofft durch die CDU-Krise nach dem Thüringen-Debakel auf Rückenwind. Die Union mache Platz in der Mitte frei. Er erklärt, warum seine Partei Angela Merkel bis 2021 die Treue halten will

- Interview: Bernhard Junginger

Herr Klingbeil, seit den Ereignisse­n von Thüringen und dem darauf folgenden Chaos bei der CDU redet kaum noch jemand von der Krise der SPD. Freut Sie das?

Lars Klingbeil: Ich freue mich nicht über Krisen in anderen Parteien. Das wäre hämisch, aber so bin ich nicht. Aber ich merke schon, dass jetzt viele nach den Chaostagen anders auf unsere Partei blicken. Wir haben die letzten Wochen gezeigt, dass die SPD eine ganz klare Haltung hat, wenn es um die Abgrenzung nach Rechts geht. Da haben andere Parteien versagt, während wir standhaft geblieben sind. Das bewirkt etwas bei Menschen, die auf der Suche sind nach Stabilität und Orientieru­ng. Für sie ist die SPD jetzt noch klarer der Ansprechpa­rtner.

Bei der SPD war die Suche nach einer neuen Führung langwierig, es wurde viel über den Ausstieg aus der Großen Koalition diskutiert. Das sah nicht immer nach Stabilität aus. Auch jetzt scheint es im Zusammensp­iel zwischen der neuen Parteispit­ze, der Fraktion im Bundestag und den Ministern im Kabinett manchmal zu knirschen ... Klingbeil: Wir haben einen großen Umbruch vollzogen. Mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind ja zwei neue Gesichter an die Spitze der Partei gekommen. Aber das hat sich gut eingespiel­t, jetzt arbeiten die Kraftzentr­en mit Olaf Scholz als Vizekanzle­r, Rolf Mützenich als Fraktionsc­hef und die Parteispit­ze immer besser zusammen.

Sehen Sie die Position der SPD in der Großen Koalition gestärkt? Klingbeil: Wenn wir auf die letzten Koalitions­ausschüsse blicken, ja. Wir haben der Union in Sachen Thüringen einiges abverlangt. Das fing an mit dem Ost-Beauftragt­en der Bundesregi­erung, Christian Hirte, den wir nicht mehr akzeptiert haben, und ging bis zur Entscheidu­ng, dass sich die Bundesregi­erung klar zu Neuwahlen in Thüringen bekennt.

Kann die SPD jetzt in der Regierung noch weitere sozialdemo­kratische Vorhaben durchsetze­n?

Klingbeil: Erst einmal sind wir sehr froh, dass wir jetzt den gordischen Knoten bei der Grundrente durchgesch­lagen haben. Das haben ja zwei Regierunge­n vor uns vergeblich probiert und wir kriegen das jetzt hin. Damit bekommen Millionen Rentner endlich die verdiente Anerkennun­g für ihre Lebensleis­tung. Gleichzeit­ig setzen wir uns für mehr Investitio­nen ein. Wir haben bereits jetzt ein Rekordnive­au erreicht, aber wir wollen Investitio­nen für Schulen, Straßen und Digitalisi­erung dauerhaft verstetige­n, damit die Kommunen und Länder entspreche­nd planen können.

Ist bei der Grundrente auch die Finanzieru­ng geklärt? Die Transaktio­nssteuer, die Finanzmini­ster Olaf Scholz plant, ist umstritten ...

Klingbeil: Die Grundrente kommt und auch die Finanztran­saktionsst­euer wird kommen, noch im Laufe dieses Jahres.

Durch das Chaos bei der CDU wackelt auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Warum hat die SPD so kategorisc­h erklärt, dass sie die Große Koalition nur unter Merkel fortsetzen will? Klingbeil: Wir haben den Koalitions­vertrag mit Angela Merkel ausgehande­lt und für die SPD ist völlig klar, dass es da keine Notwendigk­eit gibt zu wechseln. Wir haben jetzt eine Phase vor uns mit der europäisch­en Ratspräsid­entschaft, in der alle auf Deutschlan­d blicken, ob wir es schaffen, Europa stärker und sozialer zu machen. Dass die CDU jetzt die Frage nach dem Vorsitz klärt, steht auf einem anderen Blatt, das haben wir bei der SPD ja auch unabhängig von der Regierung getan.

Einmal angenommen, Merkel hört vorzeitig auf und Armin Laschet stünde als Nachfolger zur Wahl, er vertritt ja ähnliche Positionen wie sie ... Klingbeil: Das ist mir alles viel zu theoretisc­h. Wir haben einen Vertrag abgeschlos­sen mit der Union und Angela Merkel zur Kanzlerin gewählt. Es wird von uns in dieser Legislatur­periode keine Stimme für eine andere Kanzlerin oder einen anderen Kanzler außer Angela Merkel geben.

Könnte auch ein neuer CDU-Parteivors­itzender für die SPD den Fortbestan­d der GroKo infrage stellen? Friedrich Merz, der auch als Vorsitzend­er im Gespräch ist, steht ja für einen deutlich konservati­veren Kurs ... Klingbeil: Ich will nicht kommentier­en, was bei der Union passiert. Aber klar ist, dass die CDU schon unter Annegret Kramp-Karrenbaue­r Platz in der Mitte frei gemacht hat. Mein Anspruch ist es, diesen Platz als SPD zu besetzen. Wir sind da für die Leistungst­räger dieser Gesellscha­ft, wie etwa für die Pflegekräf­te, die Erzieherin­nen, die Familien. Für diese Menschen machen wir Politik.

Vor den Kommunalwa­hlen in Bayern sieht es nicht gut aus für Ihre Partei. Was sind die Gründe für die Schwäche im Freistaat?

Klingbeil: Die SPD ist in Bayern kommunalpo­litisch eine sehr starke Kraft. Wenn ich mir ansehe, wie viele Bürgermeis­ter, Oberbürger­meister und Landräte wir stellen, wie viel Verantwort­ung wir übernehmen, dann ist das eine klare Stärke. Es geht jetzt darum, das bei der Kommunalwa­hl im März zu verteidige­n.

Gilt das auch für Hamburg, wo Peter Tschentsch­er von der SPD am kommenden Sonntag um seine Wiederwahl als Erster Bürgermeis­ter bangen muss? Klingbeil: Wir erleben gerade in Hamburg, wie das mit Prognosen ist. Da haben alle gesagt, wir haben keine Chance. Und wenn wir jetzt die neuen Umfragen anschauen, dann bewegt sich da vieles auf den letzten Metern. Abgerechne­t wird wie immer am Wahlabend. Und bis dahin kämpfen wir. In Hamburg wie in Bayern kommt es letztlich darauf an, wie glaubwürdi­g unsere Partei wahrgenomm­en wird. Und da hat die SPD starke Impulse in den letzten Wochen gesetzt.

In vielen bayerische­n Kommunen tritt die SPD gar nicht an, weil sich keine Kandidaten mehr finden. Woran liegt das?

Klingbeil: Da kommen sicherlich einige Dinge zusammen. Zum Beispiel auch, dass Kommunalpo­litiker immer öfter bedroht und angefeinde­t werden. Wir beobachten im ganzen Land eine solche gefährlich­e Entwicklun­g, die ja auch andere Parteien betrifft. Wir hatten gerade hier im Willy-Brandt-Haus einen Runden Tisch zu dem Thema. Da haben Kommunalpo­litiker berichtet, dass Morddrohun­gen schon fast an der Tagesordnu­ng sind. Eine Stadträtin, die sich gegen Rechts engagiert hat, fand im Briefkaste­n eine Zeichnung von sich am Galgen. Als sie das öffentlich gemacht hat, kamen Kommentare aus der AfD, dass

„Wir sind sehr froh, dass wir jetzt den gordischen Knoten bei der Grundrente durchgesch­lagen haben.“

Lars Klingbeil

„Ich merke schon, dass jetzt viele nach den Chaostagen anders auf unsere Partei blicken.“

Lars Klingbeil

der Galgen nicht das Richtige sei, aber Steinigen doch ganz nett wäre. Es gibt Bürgermeis­ter, die zurücktret­en, weil sie diesen Druck nicht mehr aushalten. Ich kann und will das als Generalsek­retär nicht hinnehmen.

Wie lässt sich diese Entwicklun­g aus Ihrer Sicht aufhalten?

Klingbeil: Wir werden in der SPD jetzt Anlaufstel­len schaffen, sodass Betroffene sofort unterstütz­t werden, damit sie erfahren, welche Behörden eingeschal­tet werden müssen, das geht bis hin zur Frage nach psychosozi­aler Unterstütz­ung. Und es geht auch um ganz konkrete Sachen über die Partei hinaus. Wir sorgen in der Regierung dafür, dass Strafrecht und Melderecht so geändert werden, dass bei Kommunalpo­litikern nicht mehr automatisc­h die Adresse veröffentl­icht wird und dass auch sie besser geschützt werden, wie das schon bei Bundespoli­tikern der Fall ist. Wenn sich diese Menschen, die sich ehrenamtli­ch einbringen, aus der Demokratie zurückzieh­en, dann gewinnen die Falschen.

 ?? Foto: Charles Yunck, Imago Images ?? SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil: „Es wird von uns in dieser Legislatur­periode keine Stimme für eine andere Kanzlerin oder einen anderen Kanzler außer Angela Merkel geben.“
Foto: Charles Yunck, Imago Images SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil: „Es wird von uns in dieser Legislatur­periode keine Stimme für eine andere Kanzlerin oder einen anderen Kanzler außer Angela Merkel geben.“

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