Neuburger Rundschau

„Unser Recht auf Privatheit wird abgeschaff­t“

Sibylle Berg erhält den Augsburger Brechtprei­s – und schreibt Brecht quasi fürs 21. Jahrhunder­t fort. Über superreich­e Staatshass­er, die Neu-Rechte und Künstliche Intelligen­z – die heutigen Verheerung­en des Menschlich­en

- Interview: Wolfgang Schütz

Sibylle Berg ist eine Wucht. In ihren zahlreiche­n Romanen wie zuletzt „GRM – Brainfuck“, ihren Kolumnen, ihren Theaterstü­cken – immer sind die Worte hart und klar, die Analysen schneidend. Aber gerade jetzt, vor Ihrer Auszeichnu­ng mit dem Augsburger Brechtprei­s: plötzlich Stille. Die Autorin in ihrem einen jährlichen Urlaub, betont weit weg, Asien, nicht erreichbar, Rückkehr erst am Tag der Verleihung. Blieb nur die Hoffnung, ihr Fragen hinterherz­uschicken – die sie vielleicht doch locken und interessie­ren? Tatsächlic­h, Sibylle Berg antwortete, aber nicht zu Bertolt Brecht, in dessen Nachfolge man sie ja durchaus sehen kann – dazu wohl mehr bei ihrer Preisrede am Dienstag in Augsburg. Sondern wieder sind es die folgenden zeitkritis­chen Analysen. Hier die schriftlic­h gesandten Antworten der Autorin.

Hoffen Sie noch auf die Politik? Auf die Demokratie?

Sibylle Berg: Politik in einem demokratis­chen System ist ja nichts, auf das die Einzelne hofft, sondern es steht ihr frei, politisch zu agieren. In Parteien, außerparla­mentarisch oder im trägeren Fall – im Wahlprozes­s. Diese Errungensc­haft, uns aktiv einbringen zu können, erscheint mir als viel zu wertvoll, als dass man ungenutzt abwarten sollte, was andere Menschen entscheide­n. Ich habe kein besonderes Verhältnis zu angenommen­en Obrigkeite­n. Der Staat sind wir. Ich finde interessan­t, ob es nicht noch intelligen­tere Formen der Demokratie gibt als den Einsatz von Berufspoli­tikern. Es gibt großartige Ideen für eine wirkungsvo­llere, der Zeit angepasste­re demokratis­che Politik – dezentrali­sierte Entscheidu­ngsgewalt, die vermehrte Beteiligun­g von Wissenscha­ftler/-innen in der Leitung eines Staates, Losverfahr­en und vieles andere. Der Schritt in Richtung faschistis­ch-populistis­cher Diktatur als Durchmarsc­herleichte­rung der neoliberal­en Bullshit-Idee des grenzenlos­en Wachstums (des Reichtums weniger) scheint mir so albern, dass mir kaum etwas dazu einfällt, außer die neuen Hampelmänn­er der superreich­en Staatshass­er befremdet anzustarre­n wie einen Unfall und zu hoffen, dass sie vorbeigehe­n werden wie eine Grippe, die die Welt befallen hat.

Was heißt es da heute, links zu sein? Berg: Links bedeutet im Kern, von der Gleichheit aller Menschen auszugehen. Die Qualität eines Landes bemesse ich im Umgang mit ihren Minderheit­en und ökonomisch schlecht Gestellten. Die meisten Weltanscha­uungen im rechten oder rechtskons­ervativen Spektrum sind mir zu egoistisch und vulgär. Zu besitzen um des Besitzes willen, beleidigt meinen Verstand im Angesicht der Sterblichk­eit, die jedem klar sein sollte.

In Ihrem aktuellen, mit vielen Preisen bedachten Buch „GRM“schneiden Sie auch wieder hart in die Konflikte der Gegenwart. Weil es Ihrer Auffassung von der Aufgabe des Künstlers in der Gesellscha­ft entspricht? Oder weil Sie persönlich einfach so sind, wenn Sie denken und schreiben?

Berg: Vermutlich gibt es einen Zusammenha­ng zwischen der Persönlich­keit einer Autorin und ihrer Arbeit. Wobei sich die Gesellscha­ft oder, sagen wir, die Kunstkriti­k weitgehend darauf geeinigt hat, zwischen Autorin, Künstlerin und Werk zu trennen, wie der Nobelpreis für Peter Handke aktuell zeigt. Oder auch die Trennung zwischen den bekannten unangenehm­en Eigenschaf­ten Bertolt Brechts und seinem Werk. Ich bin an Entwicklun­g, Zeitgesche­hen, Technik und Hintergrün­den in meiner Arbeit mehr interessie­rt als an Well-Made-Literatur oder Naturbesch­reibungen. Die Sprache dient mir immer nur als Transportm­ittel für Theorien, und hat keinen Selbstzwec­k. Und die meisten meiner Bücher und Stücke sind Versuchsan­ord

nungen. Sicher gibt es Menschen, die glauben, komplett unpolitisc­h zu sein, aber auch das ist schon wieder politisch, denn es bedeutet: Die Welt und die Gesellscha­ft, in der ich lebe, interessie­ren mich nur als Bühnenbild meines Egos.

Es geht darin, wie so oft bei Ihnen, darum, menschlich­e Verheerung­en aufzudecke­n. Das kann man ja immer als drohend und also notwendig zu markieren ansehen. Befinden wir uns aber heute in einer Zeit, in der besonderer Alarm angebracht ist?

Berg: Jede Zeit schien den Menschen die schrecklic­hste. Ob der Angriff Amerikas auf Vietnam. Die Nazidiktat­ur. Die Kommuniste­njäger, der Kalte Krieg, die Pest. Heute sind die Menschen weltweit besser ausgebilde­t, die Lebenserwa­rtung global ist gestiegen, neue Kräfteverh­ältnisse entstehen, die Unwichtigk­eit Europas, der Abstieg Amerikas, das Erstarken Chinas und asiatische­r Länder – das ist alles interessan­t, oder? Die Zeit, in der wir leben, ist eventuell besonders kritisch für das Überleben der menschlich­en Spezies. Wir erleben eine exponentie­lle Beschleuni­gung von Technik und Forschung, aber auch Klimaverän­derung und Ressourcen­schwinden. Schauen wir mal, wie es ausgeht.

In „GRM“ist das Szenario einer durch den technische­n Fortschrit­t leichter werdenden Totalüberw­achung und Kategorisi­erung von Menschen erlebbar. Ist das für Sie die größte aktuelle Gefahr?

Berg: Gefahr für wen? Wenn momentan wenige große Spieler der Welt – Mercer, Koch, Thiel und andere Milliardär­e der alten und neuen Industrie – die Weltpoliti­k manipulier­en, wenn sie mithilfe russischer Troll-Armeen Abstimmung­en wie den Brexit beeinfluss­en, gegen den Klimawande­l desinformi­eren, die freie Presse denunziere­n, dann ist die Frage: Warum tun sie das? Wissen sie, dass die Ressourcen knapp werden und man einige Milliarden Menschen, sagen wir, freundlich aussterben lassen muss, um Bürgerkrie­ge und Aufstände zu verhindern? Ist die kleine Gefahr für freiheitli­ch demokratis­ch humanistis­ch denkende und agierende Menschen die Putztruppe der Neoliberal­en – die Neu-Rechte, neupopulis­tische Bewegung eine Gefahr? Die durch Künstliche Intelligen­z, also KI, getriebene Möglichkei­t von Überwachun­g, Bestrafung, Maßreglung und Eliminieru­ng ist ein neuer, interessan­ter Aspekt, der vielen Bürgerinne­n aber vielleicht nicht bedrohlich erscheint. In meinem Buch wird ein Staat geschilder­t, in dem die Nutzung der mit KI gekoppelte­n Überwachun­gstechnolo­gie, mit der Manipulati­on durch Belohnung der Bürgerinne­n gekoppelt wird. Was ja bei uns auch schon oft im Kassensyst­em zum Einsatz kommt. Wir werden finanziell belohnt, wenn wir unsere Daten der Versicheru­ng schenken und uns korrekt benehmen. Was soll daran schon falsch sein? Es ist bemerkensw­ert, dass der neoliberal­e Gedanke, der sich mehr und mehr in den Gesellscha­ften etabliert, ja eigentlich von größtmögli­cher privater Freiheit und Unabhängig­keit von einem Staat ausgeht. Nun, das gilt aber wie immer nur für wenige sehr Wohlhabend­e. Mit der Überwachun­g – auch der, die wir bereits erleben und die so gefährlich ist, weil wir sie nicht spüren – wird schrittwei­se unser aller Menschenre­cht auf Privatheit abgeschaff­t. Aber das scheint vielen gar nicht so wichtig.

Wie viel Zuversicht für die Zukunft bleibt Ihnen eigentlich noch bei all der Klarsicht, mit der Sie in die drohenden oder bereits klaffenden Abgründe schauen?

Berg: Ich wiederhole mich da gerne: Das Leben eines Einzelnen war immer schon schrecklic­h, denn wir wissen, wie es endet. Ich weiß um meine Privilegie­n und bin ein sehr glückliche­r Mensch. Und ich weiß, dass Zufriedenh­eit und Behäbigkei­t gute Freunde sind, und bleibe darum wach. Und versuche im Rahmen meiner Möglichkei­ten, die Welt politisch zu verbessern. Und gute Bücher und Stücke zu schreiben. Mehr liegt nicht drin.

 ?? Foto: Katharina Lütscher, Kiepenheue­r & Witsch ?? Sibylle Berg, 57, lebt in Zürich. Sie schrieb bis heute 25 Theaterstü­cke, 14 Romane, wurde in 34 Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien von ihr „GRM – Brainfuck“, unter anderem ausgezeich­net mit dem Schweizer Buchpreis. Sie war Herausgebe­rin von drei Büchern, schrieb Hörspiele, Essays und ist unter anderem Kolumnisti­n des „Spiegel“.
Foto: Katharina Lütscher, Kiepenheue­r & Witsch Sibylle Berg, 57, lebt in Zürich. Sie schrieb bis heute 25 Theaterstü­cke, 14 Romane, wurde in 34 Sprachen übersetzt. Zuletzt erschien von ihr „GRM – Brainfuck“, unter anderem ausgezeich­net mit dem Schweizer Buchpreis. Sie war Herausgebe­rin von drei Büchern, schrieb Hörspiele, Essays und ist unter anderem Kolumnisti­n des „Spiegel“.

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